Berlin-Tempelhof: Ein Stück Weltgeschichte
Um es gleich vorwegzunehmen: Wie schon der Untertitel verrät, liegt kein rein postgeschichtliches Buch auf dem Schreibtisch. Vielmehr präsentierte Hans-Ulrich Schulz ein weiteres Standardwerk zur allgemeinen Geschichte des legendären Flughafens Tempelhof, einen Band, der Luftfahrtgeschichte ebenso erzählt wie Stadtgeschichte und der gewählten Zeit wegen auch Weltgeschichte. Folglich erfahren wir nicht nur Wissenswertes zu unserem Hobby, sondern beschäftigen uns auch mit Tragödien wie der Zwangsarbeit, die glücklicherweise inzwischen auch philatelistisch aufgearbeitet wird. Schulz widmet ihr das umfangreichste Kapitel im Buch und arbeitete dabei mit Matthias Heisig von der Berliner Geschichtswerkstatt zusammen.
Dieses perfekte gemeinsame Wirken zieht sich durch das ganze Buch. Eine solche Vielzahl Zitate und Verweise, beispielsweise auf Vorträge, findet man in der philatelistischen Fachliteratur eher selten, insbesondere wenn sie nichtphilatelistische Themen behandeln. In den Quellen- und Literaturhinweisen bilden philatelistische Publikationen denn auch die Minderheit.
Die vielfältigen Abbildungen im Band spiegeln dagegen eindeutig dessen Herkunft aus der Philatelie. Man darf mit Fug und Recht feststellen, dass sie auch reichlich Gebiete unseres Hobbys umfassen, an die man beim gewählten Sujet nicht unbedingt sofort denkt, beispielsweise die Olympischen Spiele 1936 – dargestellt mit einem raren Absenderfreistempel der Lufthansa – oder eine Zehnfachfrankatur nach der Währungsreform von 1948 auf einem Brief an die Wirtschaftsstelle Flughafen Tempelhof der Berliner Flughafen G.m.b.H. Dies zeigt bereits, dass Schulz über den gewählten Zeitraum und das Thema hinausblickt. Eine Besonderheit erster Güte stellt zudem eine sowjetische Ganzsachen-Postkarte mit Zusatzfrankatur dar, die von Stanislawow nach Kattowitz ging, dabei aber den Weg über Moskau, Königsberg und den Tempelhofer Ausweichflughafen Rangsdorf nahm.
Flüssig erzählt, attraktiv illustriert
So anschaulich wie die Illustrationen fallen die Texte aus. Präzise und flüssig erzählt Schulz die Entwicklungen, arbeitet Außergewöhnliches heraus, zeigt aber auch den Alltag auf, einschließlich jener Ereignisse, über die man zu anderen Zeiten geschmunzelt hätte. Behörden-Pingpong ist keine Erscheinung der Gegenwart; der Austausch zum Bau einer Post-U-Bahn spiegelt indessen die Planungen des Nord- und Südbahnhofs für eine Breitspurbahn in einer Reichshauptstadt Germania, ein Vorhaben, das den Wahn des damaligen Regimes so deutlich belegt, dass ihn ein jeder, der nur wollte, hätte erkennen können.
Fürwahr, Hans-Ulrich Schulz hat ein philatelistisches Geschichtsbuch der Meisterklasse vorgelegt. Es zu erwerben, ist nicht nur für Luftpost- und Berlin-Spezialisten ein Muss, sondern für alle, deren Interesse der Epoche und den unmittelbar zuvor und danach liegenden Zeiten gilt. Hat man den Band zu lesen begonnen, legt man ihn nicht so schnell wieder aus der Hand.
Der Zentralflughafen Berlin-Tempelhof im Zweiten Weltkrieg. Die dunklen Jahre. Post- und zeitgeschichtliche Betrachtungen. Von Hans-Ulrich Schulz. 190 Seiten, 226 Farbabbildungen, Format: 17,5 x 24,5 cm, gebunden mit Festeinband. Preis: 32,50 Euro (Mitglieder des Internationalen Aero-Philatelisten-Clubs „Otto Lilienthal“ 28 Euro) plus Versandkosten. Erhältlich bei Hans-Ulrich Schulz, Machonstr. 47, 12105 Berlin, Tel. 030/7067990, E-Mail: vorstand@fgberlin.de.