Prachtausgabe zur Bayernphilatelie

Prachtausgabe zur Bayernphilatelie

Es ist unmöglich, von diesem Band nicht begeistert zu sein! In der Galerie mehrerer in letzter Zeit erschienener hervorragender Publikationen zur Philatelie Altdeutschlands – neben Bayern sind dies Preußen, Thurn und Taxis sowie Hannover – nimmt Peter Zollners Werk unbestritten einen Sonderplatz ein. Es vereint alle Vorzüge, die man sich von einem Buch nur wünschen kann!

Fangen wir mit dem Inhalt an. Denkt man an Bayerns Klassik, so kommen einem sofort die Ziffernmarken in den Sinn, und diese sind für jeden Sammler untrennbar verbunden mit den geschlossenen und offenen Mühlradstempeln. Tatsächlich dienten diese Stempel, wie der Autor in einer empirischen Untersuchung nachweist, statistisch in 97 Prozent der Fälle zur Markenentwertung. Zollner konzentriert sich in seinem Handbuch auf die restlichen 3 Prozent. Eingangs veranschaulicht ein Tortendiagramm die prozentuale Verteilung jener Entwertungen, die alternativ in dem verschwindend kleinen verbleibenden Segment möglich waren: vorschriftswidrig verwendete Orts- und Chargé-Stempel, dokumentarische Stempel wie etwa „München-Bahnhof“ oder Fingerhutstempel in Grotesk, Landbriefträger- und Postablagestempel, handschriftliche wie auch fiskalische Entwertungen, Vor- und Vorausentwertungen, unterschiedliche Typen von Bahnpost-Entwertungen inclusive grenzüberschreitender Bahnposten sowie eine ganze Reihe besonderer Stempel, farbige Stempel und badische Versuchsstempel – ein wahrlich weit gefächertes Spektrum, das dennoch nur eine Auswahl der behandelten Themen wiedergibt!

Differenzierte Themenstellung

Allein eine derart differenzierende Themenstellung ist alles andere als landläufig und lässt auf einen Philatelisten mit einem ungewöhnlich breiten Spezialwissen schließen. Zollner richtet sein Augenmerk nicht auf „die individuellen Stempel bestimmter Orte“ – diese sind bis auf wenige Neuentdeckungen mit ihren Erst- und Spätdaten erschöpfend in den klassischen Handbüchern von Winkler (1951) und Sem (1980er- und 1990er-Jahre) erfasst, beschrieben und bewertet. Stattdessen geht er der bislang zu Unrecht vernachlässigten Frage nach, warum eine bestimmte Marke „ausgerechnet diesen Stempel trägt und keinen anderen“. Im Vordergrund stehen mithin „die einzelnen Stempelformen und ihre verschiedenen Einsatz- und Verwendungszeiten“. Preisangaben in Euro und Cent sind bewusst ausgespart, nicht nur, weil jeder Beleg und jede Abstempelung „sozusagen ein Individuum“ darstellt, sondern weil dem Leser mit dem Handbuch ein Leitfaden zur postgeschichtlichen Einordnung angeboten wird, mit dessen Hilfe er selbst eine Entwertungsperiode identifizieren und die Seltenheit einer Abstempelung erkennen kann. Dafür sind wiederholt Angaben zur Häufigkeit oder zu Auktionsergebnissen eingestreut. Sechzehn Tabellen fassen Forschungsergebnisse knapp und übersichtlich zusammen. – Über zweihundert Literaturhinweise, gelegentliche Faksimile-Wiedergaben relevanter Verordnungen und ein sechsseitiges dicht gedrängtes Verzeichnis der Quellenangaben belegen die wissenschaftliche Qualität des Handbuchs.

Vorzüglicher Inhalt und ästhetische Gestaltung

Dem vorzüglichen Inhalt steht die ästhetische Gestaltung des Werks in nichts nach. Dank eines variablen Layouts hat jede Seite ihr eigenes Gesicht. Typografisch gefällig die Verwendung blauer Überschriften und klar abgesetzter Bildlegenden, bestechend der harmonische Einklang von Text, großzügigem Freiraum und gestochen scharfen Abbildungen, sämtlich präzise und fachkundig beschrieben. Das Gros der in opulenter Fülle präsentierten Belege stammt aus der renommierten Sammlung des Autors, ergänzt durch Vorlagen aus namhaften Auktionen und Leihgaben großer Sammler.

Ein weiterer Aspekt ist dem Rezensenten eine besondere Erwähnung wert. Nicht oft hat er ein Fachbuch in Händen gehalten, das neben einem logischen, stringenten Aufbau eine so klare, leicht verständliche und schnörkellose Sprache verwendet, die völlig auf Floskeln und unnötige Fremdwörter verzichtet. Hier kann der Autor seinen beruflichen Hintergrund als Gymnasialprofessor, wie es in Bayern heißt, nicht verbergen. Dieser pädagogischen Prägung ist wohl auch das Schlusskapitel mit dem Titel „Qualität oder Rarität“? geschuldet. Er hält dort einige Ratschläge parat „für Stempelsammler, die keinen materiellen Verlust erleiden wollen“. Sein wichtigster: „Kaufen Sie lieber einen Luxusbeleg als für das gleiche Geld drei oder vier optisch nicht ansprechende Stücke! Wobei es … auch optische Granaten gibt, die nicht die Welt kosten müssen.“ Und zeigt als Beweis drei „Eyecatcher“, an denen er immer wieder seine Freude hat.

Bei diesem Kompendium kommen viele auf ihre Kosten: langjährige fortgeschrittene Sammler ebenso wie Anfänger, denen behutsam ein faszinierendes Sammelgebiet erschlossen wird, Berufsphilatelisten, Altdeutschland- und Klassiksammler allgemein, und ganz besonders Augenmenschen. Empfehlung: Unbedingt zugreifen, so lange der Vorrat reicht!
Zollner, Peter, Die Entwertungen der bayerischen Ziffernausgabe. Handbuch und Anleitung zur Anlage einer Sammlung. Format DIN A4, Hardcover, 312 Seiten, farbige Abbildungen, 2023. (Schriften der Arbeitsgemeinschaft Bayern (klassisch) im BDPh e.V. Nr. 4). Preis: 50 Euro (Mitglieder der ArGe Bayern 40 Euro) + 5  Euro Versand. Bezug beim Autor. E-Mail: PZO.SR@t-online.de.

Rainer von Scharpen

Titelabbildung: Chargé-Stempel in Schreibschrift auf 1 Kreuzer rot. Der eingeschriebene Ortsbrief der 1. Gewichtsstufe aus München vom 9. September 1860 ist seit Langem literaturbekannt und in dieser Form ein Unikat.

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