Klassische Philatelie: Der Danziger Postkrieg
Das Konstrukt der Freien Stadt Danzig schien von Anfang an zum Scheitern verurteilt. In dem Bemühen, Interessenskonflikte zwischen Deutschen und Polen durch Kompromisse zu regeln, erschufen die Alliierten ein Flickwerk an Zuständigkeiten, das zu entwirren selbst engen Freunden schwergefallen wäre. Doch von Freundschaft konnte keine Rede sein. Auf beiden Seiten kochten nationalistische Gefühle hoch, und keine Seite ließ sich die Chance entgehen, den Gegner in die Schranken zu weisen oder zu demütigen. Ein Konfliktpunkt war der Postdienst in der Stadt und im Hafen.
Konfliktträchtige Kompromisse
Grundsätzlich lag die Postverwaltung Danzigs im eigenen Zuständigkeitsbereich. Wegen der wichtigen Rolle Danzigs für den polnischen Außenhandel war Polen jedoch nicht nur die uneingeschränkte Nutzung des Hafens und Mitbestimmung in der Hafenverwaltung garantiert worden. Gemäß Artikel 29 der Pariser Konvention von 1920 durfte Polen darüber hinaus im Hafen einen eigenen Postdienst betreiben. Damit sollte der unabhängige Nachrichtenverkehr mit dem polnischen Umland gewährleistet werden. Was auf dem Papier gut und vernünftig schien, schürte jedoch in der Praxis einen anhaltenden Konflikt, denn der Hohe Kommissar hatte die exakten Grenzen der Zuständigkeiten nicht klar umrissen.
Eine Frage der Auslegung
Auf eine Anfrage bezüglich der korrekten Auslegung der Pariser Konvention antwortete der Völkerbund schwammig: Danzig habe Polen mit allen Mitteln zu versehen, um einen Post-, Telegraphen und Fernsprechdienst in der Nähe des Danziger Hafens einzurichten. Polen habe das Recht, von der Danziger Regierung zu angemessenen Bedingungen und überall im Gebiet der Freien Stadt die notwendigen Gelände oder Gebäude zur Einrichtung dieses Dienstes und zu seiner zweckmäßigen und bequemen Weiterleitung durch das Danziger Gebiet hindurch zu kaufen oder zu verkaufen. Der Postverkehr müsse zwischen Danzig und Polen vor sich gehen.
Für Polen war die Sache klar: Die polnische Post durfte im gesamten Danziger Stadtgebiet Postämter eröffnen. Die Danziger fühlten sich düpiert, waren sie doch davon ausgegangen, dass es nur ein einziges polnisches Postamt im Hafen geben würde.
Der Briefkastenstreit
In der Nacht zum 5. Januar 1925 schufen die Polen vollendete Tatsachen. An zehn polnischen Banken und Bürogebäuden im Stadtgebiet prangten am Morgen Briefkästen in den polnischen Nationalfarben. Nur mit Mühe konnte der Senatspräsident die Danziger Bürger davon abhalten, die Kästen abzureißen. Er suchte die Schlichtung durch den Hohen Kommissar. Doch während er noch auf einen Termin wartete, schlugen die deutschen Nationalisten zurück. Mit schwarzer Farbe verwandelten sie die polnischen Briefkästen in kaiserliche. Warschau tobte und drohte mit dem Einmarsch. Der Kommissar ordnete dennoch die Entfernung der Briefkästen an, worauf Polen die Angelegenheit im März 1925 vor den Völkerbundrat brachte. Dieser leitete die Sache an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag weiter, der wiederum polnische Briefkästen „in Hafennähe“ gestattete und diese räumliche Zuschreibung auf fast die komplette Danziger Innenstadt ausweitete.
Eigene Postwertzeichen
Für Philatelisten noch viel wichtiger aber ist die Tatsache, dass ab dem 5. Januar 1925 die polnische Post in Danzig eigene Postwertzeichen verwendete. In der Regel waren das reguläre Freimarken mit dem Aufdruck „Port Gdańsk“. Obwohl sie strenggenommen nur für den Versand nach Polen gültig waren, sind jedoch Briefe erhalten, die direkt bis nach Deutschland oder andere europäische Ziele transportiert worden sind. Der polnische Postdienst endete am 1. September 1939 mit dem Einmarsch der Deutschen.