50 Jahre Ärzte ohne Grenzen

50 Jahre Ärzte ohne Grenzen

„Die Arbeit in der humanitären Hilfe ist eine ganz einzigartige Möglichkeit, sich als Gesundheits- und Krankenpfleger für Menschen in Not einbringen zu können. Das wollte ich tun, das erschien mir als eine zutiefst sinnerfüllte Tätigkeit“, dies sagt Andreas Friedrich Lutz, der mit Ärzte ohne Grenzen als Gesundheits- und Krankenpfleger im Südsudan im Einsatz war. Die unabhängige internationale Hilfsorganisation, 1999 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, wurde am 22. Dezember 1971 in Paris gegründet.
Médecines Sans Frontières, so die internationale Bezeichnung, abgekürzt MSF, betreibt im Südsudan ein Krankenhaus in einer ländlichen und sehr abgelegenen Region. „Für die Menschen im Umkreis von achtzig Kilometern ist dies die einzige Möglichkeit, eine stationäre medizinische Gesundheitsversorgung zu erlangen. Ich war dort mit der Leitung des Pflegedienstes betraut, eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit, die ich schnell liebgewonnen habe“, berichtet der 1994 geborene examinierte Krankenpfleger. Als Leiter des Pflegedienstes war er im Südsudan nicht nur für achtzig Mitarbeitende des Krankenhauses verantwortlich, sondern organisierte zudem die Personalausbildung und übernahm Aufgaben der direkten Patientenversorgung. „Der Fokus der Arbeit richtete sich stets nach den humanitären Bedürfnissen der Menschen vor Ort und dies konnte sich sehr schnell ändern, als etwa verheerende Überflutungen eintraten oder uns die Corona-Pandemie erreichte.“

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Lieferung von Medikamenten während einer Masernepedemie in Boso Manzi im Norden der Demokratischen Republik Kongo auf ­einer Postkarte (Foto: Deutsche Post und MSF/Caroline Thirion).

Wie in vielen Ländern des Südens, hat COVID-19 die ohnehin prekäre Lage im vom Bürgerkrieg zerrissenen Südsudan weiter verschärft. Im gesamten Land mit seinen rund elf Millionen Menschen gab es zum Zeitpunkt des Nachweises des ersten Corona-Falls gerade einmal vier Beatmungsgeräte. Medikamente und Geräte mussten importiert werden, eine angesichts der weltweiten Ausbreitung des Virus fast unlösbare Aufgabe. Ein Lockdown als Schutz für die Menschen im Südsudan ist schlicht unmöglich angesichts hoher Temperaturen in den Hütten und der Notwendigkeit, tagsüber das Geld für die Ernährung der Familie verdienen zu müssen. Während seiner Arbeit, so berichtet Andreas Friedrich Lutz, zerstörten zudem Überflutungen die einfache Lebensgrundlage der Menschen, vernichteten die Ernte, sorgten für eine zusätzliche Ausbreitung der ohnehin grassierenden Malaria.

Der Klimawandel wirkte sich katastrophal direkt auf das Leben der Menschen des Südsudan aus. „Ich käme als Pflegender nie auf die Idee, eine Notfallsituation zu erkennen und dann nicht entsprechend zu handeln. Aber genau das passiert im Moment in Bezug auf unsere Lebensgrundlagen und das Klima“, erklärt Lutz auch in seinem Buch über die Arbeit von MSF im Südsudan, das soeben erschienen ist; siehe Literaturangaben am Schluss.

Über die Not berichten

Seit der Gründung hilft Ärzte ohne Grenzen nicht nur Menschen in Krisengebieten, die Organisation und ihre Mitarbeitenden berichten zudem regelmäßig über das Erlebte. Dadurch wird die schwierige Lage der von Katastrophen und Kriegen betroffenen Menschen in Regionen, zu denen Journalisten oft keinen Zutritt haben, weltweit bekannt. Diese Haltung seitens MSF geht auf Erfahrungen der Gründer zurück: Während des Sezessionskrieges um Biafra in Nigeria in den Jahren von 1967 bis 1970 verhängte die nigerianische Regierung eine Blockade über die im Südosten des Landes gelegene Region. Frankreich unterstützte die Bevölkerung im von der Versorgung abgeschnittenen Biafra und das Französische Rote Kreuz entsandte freiwillige Hilfskräfte. Dazu gehörte Bernard Kouchner, der dort in einem Krankenhaus arbeitete und Zeuge wurde, wie Zivilisten durch das Militär Nigerias ermordet wurden und Kinder verhungerten. Da jedoch das Rote Kreuz von allen Freiwilligen die Unterzeichnung einer Verpflichtung zur Neutralität und Verschwiegenheit verlangt hatte, durften diese der Welt nicht über die Vorgänge berichten.

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Maximumkarte mit Marke und Ersttagsstempel vom 15. November dieses Jahres aus dem Fürstentum Liechtenstein.

Später zurück in Frankreich, warfen Kouchner und weitere Ärzte dem Roten Kreuz aufgrund der verlangten Verschwiegenheit eine Mitverantwortung an der humanitären Katastrophe in Biafra vor. Es entwickelte sich die Idee einer Hilfsorganisation, die vorrangig den Opfern von Krieg und Katastrophen verpflichtet sein sollte, ohne Rücksichtnahme auf politische Interessen. 1970 gründete sich in Frankreich eine solche medizinische Notfallgruppe: Groupe d´Intervention Médicale et Chirurgicale en Urgence. Im gleichen Jahr gründete Raymond Borel, Herausgeber einer medizinischen Fachzeitschrift, die Organisation Secours Médical Français. Diese sollte sich um Opfer von Naturkatastrophen kümmern und war eine Reaktion auf 500000 Opfer des Wirbelsturms Bhole in Bangladesch, dem damaligen Ostpakistan.

Im Dezember 1971 wurden beide Hilfsorganisationen zu Médecins Sans Frontières zusammengelegt. Knapp ein Jahr später, am 23. Dezember 1972, zerstörte ein Erdbeben die nicaraguanische Hauptstadt Managua und forderte über 10000 Opfer. Für die Helfer von MSF war dies der erste Einsatz. Die drei Ereignisse in Biafra, Ostpakistan und Nicaragua haben sich auch philatelistisch ausgewirkt, wie die Abbildungen von Marken und Belegen auf Seite 36 illustrieren.

Weltweites Netzwerk

Heute ist Ärzte ohne Grenzen laut eigenen Angaben ein weltweites Netzwerk mit fünfundzwanzig Mitgliedsverbänden, das in mehr als siebzig Ländern medizinische Nothilfe leistet. Innerhalb des Netzwerks haben sich die Mitgliedsverbände zu fünf sogenannten operationellen Zentren in Amsterdam, Barcelona, Brüssel, Genf und Paris zusammengeschlossen. Die Verantwortlichen treffen dort gemein- same Entscheidungen über neue Projekte, entsenden Mitarbeitende und finanzieren diese Arbeit gemeinsam. Die deutsche Sektion, dazu gleich mehr, gehört zum Zentrum Amsterdam, gemeinsam mit den Niederlanden und Großbritannien sowie MSF Südasien als beratender Partner.

Das höchste Organ des MSF-Netzwerkes ist die internationale Generalversammlung. Diese besteht aus jeweils zwei Vertreterinnen oder Vertretern der fünfundzwanzig Mitgliedsverbände sowie einer internationalen Präsidentin oder eines Präsidenten. Die Generalversammlung legt die übergeordnete Strategie und Ausrichtung von MSF fest und stellt sicher, dass die Grundwerte der Organisation gewahrt werden: Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit.

Verein in Deutschland

Eine deutsche Sektion von Ärzte ohne Grenzen gründete sich am 9. Juni 1993 als eingetragener Verein mit Sitz in Berlin. Wie bei MSF üblich, wird die humanitäre Arbeit in den Einsatzgebieten auch hierzulande durch Spenden finanziert. Derzeit koordiniert die deutsche Sektion des internationalen Netzwerks Projekte in neun Ländern, darunter wie eingangs beschrieben im Südsudan. Neben der Entsendung von qualifizierten Mitarbeitenden aus medizinischen und nicht-medizinischen Berufen informiert man auch in Deutschland über die Situationen der Patientinnen und Patienten in den Einsatzgebieten. Nur so wird deren Not öffentlich bekannt.

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Die Deutsche Post gibt diesen Jubiläumsbrief anlässlich der neuen 270-Cent-Marke „50 Jahre Ärzte ohne Grenzen“, MiNr. 3650, heraus, Best.-Nr. 149509624; zum Lieferumfang gehört die Postkarte links.

Darüber hinaus engagiert sich der Verein mit der Unterstützung einer Medikamentenkampagne dafür, dass Menschen in ärmeren Ländern dringend benötigte Arzneimittel zu dort bezahlbaren Preisen bekommen können. Dabei geht es auch darum, dass solche Medikamente, etwa Impfstoff gegen COVID-19, vor Ort produziert werden können und die dafür benötigte Technologie sowie das Wissen zur Verfügung stehen. Weitere Informationen über die Access Campaign von Ärzte ohne Grenzen stehen auf einer eigenen Website.

Zur langfristigen und nachhaltigen finanziellen Unterstützung der humanitären Arbeit hat der Verein Ärzte ohne Grenzen e.V. im Jahr 2003 in Deutschland eine eigene gemeinnützige Stiftung gegründet. Finanziert werden aus Stiftungsmitteln in erster Linie Hilfsprojekte, wozu laut Eigendarstellung auch die Aus- und Weiterbildung humanitärer Helferinnen und Helfer gehört; siehe das eingangs vorgestellte Beispiel im Südsudan. Außerdem finanziert die Stiftung Tagungen, Seminare sowie den jährlichen Internationalen Humanitären Kongress in Berlin mit rund 1000 Teilnehmenden weltweit. Dieser fand in diesem Jahr vom 18. bis 21. Oktober statt, aufgrund von COVID-19 wie schon 2020 als virtuelle Veranstaltung. Aufzeichnungen von Vorträgen und Diskussionen von 2021 und 2020 stehen auf einem Videokanal. Zu mehreren Videodokumentationen über die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Krisenregionen gelangt man bei Youtube, sobald man dort in der Suchmaske „MSF“ eingibt.

Philatelie und MSF

Zu Jubiläen von MSF und zur Verleihung des Friedensnobelpreises sind Briefmarken erschienen. Zusätzlich zu den in diesem Beitrag gezeigten sind dies Dänemark MiNr 1337, Guinea MiNr. 1300, Mauretanien MiNr. 1002, Tschad MiNr. 1212–1216, Niederlande MiNr. 2262, Belgien MiNr. 2475, Schweden 2243, Wallis et Futuna MiNr. 591 sowie Frankreich MiNr. 3348.

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Die Post der Schweiz brachte am 11. November 2021 anlässlich 50 Jahre Ärzte ohne Grenzen zwei Marken zu 100 und zu 200 Rappen heraus; hier auf Erstagsbrief (Abbildung: Schweizerische Post AG).

Bemerkenswert war eine gemeinsame Aktion von MSF und dem Auktionshaus David Feldman im Dezember 2020: Kunden hatten mehrere Möglichkeiten, bei der Auktion „Raritäten aus der Welt“ für MSF und deren Kampf gegen COVID-19 in Projektländern zu spenden. Die Broschüre und der Katalog mit Ergebnissen stehen weiter online, der Link steht in der Literaturliste.

 

Literatur

  • Ulrike von Pilar (Herausgeberin): 40 Jahre MSF, 1971 – 2011; Ärzte ohne Grenzen, Berlin 2011.
  • Tankred Stöbe: Mut und Menschlichkeit – Als Arzt weltweit in Grenzsituationen; Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main 2019.
  • Andreas Friedrich Lutz: Menschsein im Krisengebiet – Erfahrungsbericht eines Gesundheits- und Krankenpflegers über die humanitäre Hilfe mit Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Südsudan; Hogrefe Verlag, Göttingen 2021.
  • Andreas Friedrich Lutz: Interview vom 19. Oktober 2021; www.hogrefe.com/de/thema/menschsein-im-krisengebiet
  • Ärzte ohne Grenzen Deutschland: www.aerzte-ohne-grenzen.de
  • Auktion „Raritäten der Welt“, Dezember 2020: www.davidfeldman.com/de/raritaeten-der-welt-auktion-in-partnerschaft-mit-msf/

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Authored by: Harald Kuhl

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