Roseninsel oder Traum vom freien Leben
Ein eigener Staat, ohne einschränkende Kontrollen und Gesetze. Ein Ort, an dem man frei und in Freuden sein kann und Geleichgesinnte trifft, sein eigener Herr ist und das Leben unter der Sonne des Mittelmeeres in vollen Zügen genießt. Warum nicht einfach eine eigene Insel bauen, auf der man genau so leben kann, wie es einem gefällt?
So oder so ähnlich mögen die Gedanken gewesen sein, die dem begabten, aber in seiner Heimat nicht sehr anerkannten Ingenieur Giorgio Rosa (1925 – 2017) durch den Kopf gingen, als er sich 1967 entschied, elf Kilometer vor der italienischen Adriaküste seine eigene Insel zu bauen.
Ja, Sie lesen richtig: Er baute seine Trauminsel aus Stahl und Beton als eine große Plattform, die auf dicken Stahlsäulen im Meer steht. Abenteuerlich war die Planung, noch abenteuerlicher muss die Umsetzung gewesen sein, denn Rosa verfügte nur über begrenzte finanzielle Mittel und konnte sich nur auf seine und die Arbeitskraft weniger Mitstreiter verlassen. Die „Insel“ bestand aus einer 400 Quadratmeter großen Fläche, an deren Rand sich luftige, zur Seeseite offene Räume befanden. Auf der großen Freifläche in der Mitte gab es genug Platz zum Sonnen, Tanzen und Relaxen.
Den Standort der künstlichen Insel hatte er bewusst gewählt, da sie sich dort außerhalb des italienischen Hoheitsrechtes im Meer befand und so nicht der italienischen Gesetzgebung unterlag. Folgerichtig erklärte Rosa am 1. Mai 1968 die Insel zum eigenständigen Staat und gab ihr den Namen: „Esperanta Respubliko de la Insulo de la Rozoj“ (Esperanto-Republik Roseninsel).
Der Ingenieur ernannte sich selbst zum Präsidenten und Esperanto zur Landessprache. Die italienischen Behörden wurden vorsorglich und sehr gewissenhaft von ihm darüber informiert, dass sich die Insel in internationalem Gewässer befinde und er beabsichtige, unter anderem ein Restaurant, eine Bar, Wohnräume und ein eigenes Postamt dort einzurichten. Ein Wappen, auf dem eine Rose abgebildet war, und Briefmarken mit einer Zeichnung und dem Standort der Insel wurden herausgegeben. Auch eine eigene Währung sollte eingeführt werden, was nötig und sinnvoll erschien: Mittlerweile hatte es sich bei den jungen Menschen an der Adria herumgesprochen, dass sich ein Besuch dieser Mikronation lohnten. Die Insel wurde schier überrannt. Auf Wasserski und mit Motorbooten kamen täglich Hunderte zum Feiern und um das Leben zu genießen.
1968 war nicht die richtige Zeit, um unabhängig zu leben
Die italienische Regierung unter Giuseppe Saragat hingegen teilte den freien und unabhängigen Lebensstil von Giorgio Rosa und dessen Anhängern so gar nicht. Vielmehr fühlte sich das große Land Italien durch diese verhältnismäßig winzige Insel bedroht. Könnten doch – gerade in der Zeit des damaligen Kalten Krieges – linke italienische Gruppierungen die Insel für ihre politischen Zwecke gebrauchen.
Mit diesem Argument wurde die Insel am 25. Juni 1968 von einer Carabinieri-Gruppe und dem italienischen Zoll (Guardia di Finanza) gestürmt. Damit übernahm Italien die Kontrolle über die Insel. Als am 11. und 13. Februar 1969 Spezialisten der italienischen Marine die Roseninsel durch mehrfache Sprengungen zu zerstören versuchten, stellte sich heraus, dass die Konstruktion dermaßen ausgeklügelt war und die Insel sich nicht so einfach wegsprengen lies. Erst nach einem Sturm am 26. Februar 1998 versanken die Roseninsel und alle damit verbundenen Träume, endgültig im Mittelmeer.
Für Taucher sind die mittlerweile überwachsenen Reste der Insel auf dem Meeresgrund der Adria, noch heute ein beliebtes Ziel. Vielleicht ist dort unten im Mittelmeer immer noch ein wenig vom großen Traum eines ambitionierten italienischen Ingenieurs zu spüren …
Film und Politik
Der im Jahr 2020 auf Netflix gestartete Spielfilm „Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel“ (Originaltitel: L’incredibile storia dell’Isola delle Rose) von Regisseur Sydney Sibilia beschreibt die Idee, die Umsetzung und den Kampf um den Erhalt der Roseninsel sehr realistisch. Laut Filmabspann weigerte sich der von Rosa angerufene Europarat in Straßburg, darüber zu entscheiden, ob die Roseninsel als unabhängiger Staat anzuerkennen sei. Die Begründung lautete, dass die Insel „außerhalb der europäischen Gewässer liege“.
Quellen:
- www.kultur-port.de
- Interview mit dem deutschen Mitstreiter (er wurde deutscher Botschafter des Staates) von Rosa: https://yagaloo.com/tom-wlaschiha-trifft-den-echten-rudy-neumann-von-der-roseninsel-netflix/netflix/)
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Wolfgang Rudy Neumann
wolfgang.neumann@golftour.de