Bordeaux-Brief: Globaler Handel
Ein Kulturgut, ein StĂŒck Welterbe der Menschheit ziert die aktuelle Ausgabe zum Tag der Briefmarke. Gewiss, in die lange Liste der Unesco ist er bislang nicht eingetragen, wie ĂŒberhaupt postgeschichtliche Kostbarkeiten darin fehlen. Zweifellos fĂ€nden Preziosen wie die Erstausgabe aus Mauritius, die Orangerote und die Blaue Mauritius, darin aber einen wĂŒrdigen Platz, ganz speziell der Bordeaux-Brief, der zum einen vom Postverkehr Mitte des 19. Jahrhunderts erzĂ€hlt. Aufgegeben am 4. Oktober 1847 in Port Louis, reiste er mit dem Schiff vorbei am Kap der Guten Hoffnung via England nach Frankreich. Die französische Post leitete ihn ĂŒber Boulogne und Paris nach Bordeaux weiter. Dort traf er nach fast drei Monaten Laufzeit am 28. Dezember ein.
Beginn der Globalisierung
Zum anderen berichtet er aus der Wirtschaftsgeschichte, vom Welthandel seiner Zeit. Schon damals dachten Viele global und knĂŒpften Kontakte sogar in geopolitisch eher konkurrierende LĂ€nder. Der WeinhĂ€ndler Edward Francis richtete den Brief an die Messieurs Ducan & Lurguie, die in Bordeaux ihrerseits eine Weinhandlung betrieben. Sie verkauften den edlen Tropfen indessen nicht nur vor Ort, sondern versandten ihn in alle Welt. Daher bestĂ€tigte Francis in dem Brief, 48 FĂ€sser Wein erhalten zu haben. Da er dafĂŒr einen recht groĂen Bogen verwendete, musste er statt der zwei Pence fĂŒr den Auslandsbrief erster einen Penny mehr fĂŒr die zweite Gewichtsklasse entrichten. Der einzige erhaltene Satzbrief â der Begriff sollte nicht ausschlieĂlich negativ gebraucht werden â mit der Orangeroten und Blauen Mauritius war entstanden.
GlĂŒcklicherweise bewahrten die Messieurs Ducan & Lurguie ihre GeschĂ€ftskorrespondenz sorgfĂ€ltig auf. Daher machte ein Nachkomme der WeinhĂ€ndler 1902 die Entdeckung seines Lebens. In der Fachzeitschrift Le PhilatĂ©list Français hatte der SchĂŒler eine Artikelfolge zu den KulturgĂŒtern aus Mauritius gelesen. Autor war Herausgeber ThĂ©ophile Lemaire, ein Ă€uĂerst bekannter Philatelist und BriefmarkenhĂ€ndler.
Die Mutter des Jungens erinnerte sich, dass einstmals GeschĂ€ftskontakte nach Mauritius bestanden, und erlaubte, die alten Korrespondenzen zu durchsuchen. Neben dem Bordeaux-Brief fand der SchĂŒler einen Brief gerichtet an dieselbe GeschĂ€ftsadresse, freigemacht als einfacher Auslandsbrief mit einer Blauen Mauritius. Heute steht er als Brief nach Bordeaux in den BĂŒchern, um ihn von dem Bordeaux-Brief mit bestimmtem Artikel eindeutig unterscheiden zu können. Eine Blaue Mauritius ist schlieĂlich auch nicht die Blaue Mauritius.
Stolze 1600âPfund zahlte Lemaire fĂŒr den Fund. Interessanterweise zĂ€hlt der Bordeaux-Brief zu den Legenden der Philatelie, die nie in den Alben Philipp von Ferraris steckten. Mit den Provenienzen Alfred F. Lichtenstein, Arthur Hind, Maurice Burrus und Kanai Hiroyuki können indessen auch nur wenige Kostbarkeiten glĂ€nzen. Sein heutiger EigentĂŒmer ist unbekannt. Erfreulicherweise gehört er zu jenen Philatelisten, die ihr GlĂŒck auch mit anderen teilen können, und gestattet von Zeit zu Zeit die öffentliche PrĂ€sentation des Bordeaux-Briefes.
Mit ihm und dem etwas weniger bekannten Brief nach Bordeaux machten sich die Messieurs Ducan & Lurguie unsterblich. Zugleich erinnern die Briefe an die schon im 19. Jahrhundert bestehenden wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den LĂ€ndern Europas. Nicht einmal die Einnahme Mauritiusâ durch die Briten wĂ€hrend der NapolĂ©onischen Kriege â bis dahin gehörte die Insel zum französischen Kolonialreich â hatte den Handel dauerhaft beeintrĂ€chtigen können. Postalische Dokumente können das bestens belegen. Ganz nebenher erinnern die Briefe daran, dass sich Weine aus Bordeaux schon immer groĂer Beliebtheit erfreuten. Den aufwĂ€ndigen Transport von 48 FĂ€ssern ĂŒber das Meer nahm man nur fĂŒr Spitzenweine auf sich.
Briefe an einen Reeder
Die Messieurs Ducan & Lurguie waren aber nicht die einzigen GeschĂ€ftsleute inâBordeaux, die mit Mauritius in Kontakt standen. Auch Adolphe Borchard pflegte intensive Kontakte zur Insel, gehörte aber nicht zu den Produzenten oder HĂ€ndlern, sondern zu den, wie man heute sagen wĂŒrde, Dienstleistern. Seine Reederei bot Transporte nach und von Mauritius an. Da auch er seine GeschĂ€ftskorrespondenz sorgfĂ€ltig aufbewahrte, hielt die sĂŒdwestfranzösische Hafenstadt ein weiteres Mal Einzug in das Geschichtsbuch der Philatelie.
Allerdings steht nicht Adolphe Borchard im Mittelpunkt, sondern Jeanne Borchard, seine Gemahlin. Sie zĂ€hlte zu den frĂŒhen Philatelistinnen und besaĂ eines der frĂŒhen Vordruckalben, möglicherweise eines von Lallier. Dann könnte nĂ€mlich die Legende stimmen, dass Borchard ihre Entdeckungen vertauschte und verkaufte, weil sie nicht im Vordruckalbum enthalten waren. Belegbar ist indessen nur, dass Borchard zwischen 1864 und 1869 nicht weniger als 13 Orangerote und Blaue Mauritius fand, aus den Briefen schnitt, wusch und presste. Damit tat sie etwas, das nach ihr Generationen von PhilÂatelisten taten.
Auf einem Brief, den Borchard entdeckte, klebten wie auf dem Bordeaux-Brief beide Marken. Anhand des lĂŒckenlos ĂŒbergehenden âPaidâ-Stempels können wir nachvollziehen, dass die Marken Ă€hnlich eng nebeneinander platziert waren wie auf dem Bordeaux-Brief. In den Sammlungen Ferraris und Burrusâ waren sie vereint. 1985 gelang Altmeister Wolfgang Jakubek die Sensation, gleich beide Marken auf ein und derselben Auktion ausrufen zu dĂŒrfen. Im Auktionskatalog zeigte er sie so, wie sie einstmals auf dem Brief geklebt haben.
Als Jeanne Borchard ihre Entdeckungen verkaufte, trat eine dritte Dame in der Geschichte der Orangeroten und Blauen Mauritius auf das Tapet. Marie Desbois gehörte zu den frĂŒheren BriefmarkenhĂ€ndlerinnen weltweit, wobei man an dieser Stelle ohne Weiteres ein âund BriefmarkenhĂ€ndlernâ hinzufĂŒgen kann, da wohl ein jeder, der in den 60er-Jahren mit Briefmarken handelte, in das Geschichtsbuch der PhilÂatelie Einzug hielt. Leider kennen wir nicht den Kundenkreis, den sich Desbois aufgebaut hatte. Ebenso wenig wissen wir von den Tauschpartnern Borchards. Daher können wir nur mutmaĂen, dass unter ihnen möglicherweise auch MĂ€nner gewesen sein können.
BĂŒrokratie in Gang bringen
Schrieb ich soeben âdrei Frauenâ? Nun, im Geiste haben ich natĂŒrlich jene Dame bereits mitgerechnet, die der Legende zufolge die Initiatorin der beiden Briefmarken gewesen sein soll. Lady Elizabeth Ann Gomm hat demnach die Briefmarken veranlasst, um damit die Einladungen zu einem Ball freimachen zu können. Zweifelsfrei wahr ist daran, dass Gomm tatsĂ€chlich markenfrankierte Einladungsbriefe versandte. Von den sogenannten Ball Covers sind drei StĂŒck der Nachwelt erhalten geblieben, adressiert an Alcide Marquay,âEd. Duivivier Esq. und H. Adam Esq. Jun. Die Postaufgabe erfolgte stets am 21. September 1847. Wie viele Einladungen die Lady seinerzeit versandte, ist unbekannt.
Allerdings dĂŒrfte der Ball die Herstellung der Briefmarken bestenfalls beschleunigt haben. Die groĂe Neuheit waren Briefmarken anno 1847 nicht mehr. Zumindest unter den britischstĂ€mmigen Siedlern auf Mauritius dĂŒrfte jeder schon Post aus GroĂbritannien mit den sieben Jahre zuvor eingefĂŒhrten Briefmarken erhalten haben. Sir William Maynard Gomm, Lady Gomms Gemahl, war zudem schon seit 1842 Gouveneur von Mauritius. Somit gab es vorher durchaus Gelegenheiten, die GĂ€ste mit markenfrankierten Einladungen zu ĂŒberraschen.
Geplante Postreform
Daher spricht alles dafĂŒr, dass die EinfĂŒhrung der Briefmarken Teil der lange geplanten, am 17. Dezember 1846 dann offiziell vom Gouverneur angeordneten Postreform nach britischem Muster war. Neun Tage spĂ€ter meldete die Gouvernment Gazette, das Amtsblatt, die Verordnung. Eine Ăberraschung stellten die Briefmarken fĂŒr die britischstĂ€mmigen Siedler daher wohl kaum dar. Ebenso wenig dĂŒrfte es sie ĂŒberrascht haben, dass Königin Victoria auf den Briefmarken erschien, die dem britischen Vorbild sehr eng nachempfunden waren.
Nur auf das Experiment einer schwarzen Marke zum Auftakt verzichtete man â die Erfahrungen aus dem Mutterland dĂŒrften den Verantwortlichen in der Kolonie bekannt gewesen sein. Womöglich ĂŒbte Elizabeth Ann Gomm zum richtigen Zeitpunkt etwas Druck aus, um die Umsetzung der Planungen zu beschleunigen. BĂŒrokratien in Gang zu bringen, gehörte schon immer zu den schwierigen Aufgaben, der Hinweis auf einen bevorstehenden Ball könnte dabei durchaus hilfreich gewesen sein. Allein mit den Ball Covers hat sich Lady Gomm bereits ihren Platz im Geschichtsbuch der Philatelie erarbeitet, da bedarf es nicht unbedingt einer eher unrealistisch erscheinenden Legende.
Wie im Mutterland wĂ€hlte man auch auf Mauritius das edelste aller Druckverfahren fĂŒr die Erstausgabe, den Stichtiefdruck. Allerdings produzierte keine der alteingesessenen, in der Herstellung von Banknoten und anderen Wertpapieren erfahrenen britischen Sicherheitsdruckereien die Marken, sondern ein Hersteller von Visitenkarten und Ă€hnlichen Druckerzeugnissen vor Ort. So geschah es, dass die weltweit berĂŒhmteste Briefmarke auf einem Drucker zurĂŒckgeht, der nur dank ihrer seinen Platz im Geschichtsbuch gefunden hat. Der Gedanke, die EinfĂŒhrung der Briefmarken zu beschleunigen, dĂŒrfte bei der Auftragsvergabe keine Rolle gespielt haben, da auch die kommenden Ausgaben vor Ort und nicht im fernen Europa entstanden.
Joseph Osmond Barnard beherrschte die Technik des Stichtiefdruckes und konnte auch leidlich stechen. Man darf ihm mit Fug und Recht bescheinigen, recht gelungene Kopien der britischen Postwertzeichen erstellt zu haben. Zwei Techniken beherrschte er jedoch nicht. Zum einen vermochte er nicht mit Schiebern zu arbeiten. Darunter verstehen Drucker jene Teile der Druckplatte, die austauschbar sind, beispielsweise das WertkĂ€stchen bei ansonsten gleich aussehenden Freimarken. FĂŒr die Herstellung der Druckplatte braucht man dann nur den Schieber zu tauschen. Zum anderen kannte Barnard auch keine anderen Reproduktionstechniken, um die auf beiden Marken gleich ausschauenden Teile kopieren zu können. FĂŒr die vor 1847 von ihm bearbeiteten AuftrĂ€ge dĂŒrfte solches Wissen auch ĂŒberflĂŒssig gewesen sein.
Rekordpreis fĂŒr Kupfer
Dies brachte gleich zwei Besonderheiten hervor. FĂŒr die Erstausgabe, die in einer Auflage von jeweils 500 StĂŒck entstehen sollte, stach er beide Marken in ein- und dieselbe Kupferplatte. GlĂŒcklicherweise bewahrte entweder Barnard oder â das ist wahrscheinlicher â die Post das Original auf. Als nicht mehr zu befĂŒrchten war, dass sie jemand missbrĂ€uchlich nutzen konnte, erhielt Elizabeth Ann Gomm die Platte, wahrscheinlich als Geschenk. Sie schenkte die Druckplatte 1874 ihrem Neffen Dominic Henry Colnaghi, der sie 1912 dem BriefmarkenhĂ€ndler Neville Stocken verkaufte. Ăber David Fields und Sydney Loder gelangte sie 1930 schlieĂlich in den Besitz Maurice Burrusâ, dessen Briefmarkensammlung spĂ€ter in mehreren Auktionen detailliert wurde. Die Druckplatte vermachte er seiner Nichte Odile. Nach deren Ableben, 2013, durfte David Feldman die 46 Gramm schwere Kupferplatte am 1. Dezember 2016 ausrufen und zum stolzen Preis von 1,1 Millionen Euro zuschlagen. Auf die am Weltmarkt ĂŒblicherweise gehandelte Tonne umgerechnet, bedeutet dies eine Kupferpreis von 23,9 Milliarden Euro. Wirtschaftshistorikern gilt indessen nach wie vor der 14. Februar 2011 als der Tag, an dem der Kupferpreis seinen Höchststand erreichte â mit bescheidenen 10180 US-Dollar pro Tonne.
Ăberlieferung
Auf der 81,05 mal 60,6 Millimeter messenden Platten steht links die Orangerote und rechts die Blaue Mauritius. Ob Barnard beide Werte zusammen druckte, also in 500 DruckgĂ€ngen je eine Orangerote und Blaue Mauritius fertigte, oder zweimal 500 DruckgĂ€nge absolvierte, wissen wir nicht. Nachgewiesen anhand der Akten ist aber inzwischen, dass er den Auftrag hatte, âPost Officeâ zu stechen, die Legende von einem Irrtum also eindeutig falsch ist. Möglicherweise beruht sie auf der in âPost Paidâ geĂ€nderten Inschrift der zweiten Ausgabe von Mauritius. Ăber Generationen trugen Philatelisten die Geschichte weiter, fragten sich aber nie, was an der sprachlich rundum korrekten Inschrift âMauritius Post Officeâ zu bemĂ€ngeln gewesen sein sollte.
Schaut man ein wenig ĂŒber das Jahr 1847 hinaus, dann erkennt man rasch, weshalbâBarnard fĂŒr die Post neue Platten stach. Nicht die Inschrift machte den groĂen Unterschied, sondern die Gestaltung der Druckplatten selbst. Noch einmal 500 StĂŒck in EinzelabzĂŒgen oder mit zwei Marken pro Nutzen herzustellen, erschien nicht nur alles andere als wirtschaftlich. Auch war allen Beteiligten nach den Erfahrungen aus GroĂbritannien bewusst, dass mit der Postreform das Briefaufkommen deutlich wachsen wĂŒrde, also höhere Auflagen der Briefmarken nötig wĂŒrden. Daher stellte Barnard neue Druckplatten fĂŒr zwölf Marken pro Schalterbogen her.
Typische Merkmale
Kenntnisse der Reproduktionstechniken hatte er sich indessen noch immer nicht angeeignet, weshalb er alle zwölf Marken einzeln in das Kupfer stach. Dass dies nicht hundertprozentig exakt erfolgen konnte, liegt nahe; das wĂŒrde selbst den herausragendsten KĂŒnstlern des Stichtiefdruckes misslingen. Barnard war zwar begabt, aber kein Meister seines Genres. Philatelisten können fĂŒr jedes der zwölf Bogenfelder typische Merkmale nachweisen und sich â wenn der Geldbeutel mitzieht â auch an Plattierungen versuchen.
LĂ€sst der Kontostand eine Mauritius-Sammlung ab Nummer Eins komplett nicht zu, können Bund-Sammler zumindest den Bordeaux-Brief in ihre Alben einsortieren. Zum 174. Jahrestag seiner Entstehung ziert er die Ausgabe zum Tag der Briefmarke. Der eine oder andere dĂŒrfte sich daher fragen, weshalb die Verantwortlichen nicht bis zum 175. Jahrestag, 2022, gewartet haben, um mit einer dann zuschlagsfreien Briefmarke, die etwa drei Millionen Auflage erreichen dĂŒrfte, fĂŒr die Philatelie zu werben. Die Frage wird wie manche andere in der Philatelie offen bleiben.
Affen- oder Hundskopf?
NatĂŒrlich reisten auch mit spĂ€teren Ausgaben frankierte Briefe von Mauritius nach Bordeaux. Der vom Auktionshaus Spink ausgerufene Brief zeigt ein senkrechtes Paar des 2-Pence-Wertes der Lapirot-Ausgabe mit ungewöhnlich breitem Bogenrand rechts. Der Absender verfĂŒgte den Laufweg via Aden und Marseille, das General Post Office Aden verewigte sich rĂŒckseitig mit einem Transitstempel.
Nachdem Joseph Osmond Barnard auch die Druckplatten der direkt auf die Erstausgabe folgenden Marken gestochen hatte, ging 1859 der Auftrag an den Schauspieler Jules Lapirot. Dessen Talent fĂŒr den Kupferstich fiel allerdings nicht sonderlich groĂ aus, weshalb Königin Victoria auf der Briefmarke kaum wiederzuerkennen war. Im britischen Sprachraum ging bald die Bezeichnung âmonkey headâ um, in Deutschland spricht man vom âHundskopfâ.
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