
Corona und die Philatelie
Das Jahr 2020 begann wie all die Jahre vorher mit Ideen, PlĂ€nen und Vorbereitungen. Mit dem 16. MĂ€rz 2020 war plötzlich alles anders: Das COVID-19-Virus hatte den ersten Lockdown Ăsterreichs herbeigefĂŒhrt. Lockdown, Kurzarbeit, Maskenpflicht und andere UmstĂ€nde schrĂ€nken die Wirtschaft und das gesamte Leben ein. SelbstverstĂ€ndlich ist auch der Freizeitbereich und damit auch die Philatelie betroffen.
Veranstaltungen
Praktisch alle Vereine mussten ihre regelmĂ€Ăigen Treffen absagen. Leere Tische statt lebhaften Vereinsbetriebs. Ganz besonders schwer traf es den Briefmarkensammler-Verein âdonauâ, den zweitgröĂten Verein Ăsterreichs. Das hundertjĂ€hrige Bestehen der berĂŒhmten Filmstudios âAm RosenhĂŒgelâ sollte gefeiert werden. Jahrzehntelang wurden dort berĂŒhmte Filme gedreht. Schauspieler von Heinz RĂŒhmann und Lili Palmer ĂŒber Peter Alexander, Gunter Philipp und Conny FroÂboess bis Peter Weck und Vico Torriani waren dort tĂ€tig.
Die von mir herausgegebene Vereinszeitung âdonau-postâ widmete diesem Ereignis eine ganze Ausgabe. Und eine Woche vor dem Fest, genau am selben Tag, an dem die Zeitung den Lesern zugestellt wurde, kam der Auftrag zur Absage aller Veranstaltungen. Die Arbeit von zwei Jahren war umsonst. Es kam noch Ă€rger: SelbstverstĂ€ndlich kĂŒmmerte man sich um einen Ersatztermin. Ein neuer Saal musste gefunden werden, alle Beteiligten mussten mit dem neuen Termin einverstanden sein, was besonders bei den alten Schauspielern schwierig war. Als der neue Termin anstand, kam der dritte Lockdown. Wieder wurde alles abgesagt!
Anderen Vereinen ging es nicht besser: Der Verein in Hirtenberg musste die ĂVEBRIA 2020, ranghöchste Briefmarkenausstellung des Jahres in Ăsterreich, absagen.
In Frankenburg am Hausruck sagte Obmann Erwin Hofbauer, VizeprĂ€sident des Verbandes Ăsterreichischer Philatelisten-Vereine (VĂPh), seine Feierlichkeiten zum JubilĂ€um â400 Jahre Markterhebung Frankenburgâ ab.
Der BSV Favoriten, der gröĂte Ortsverein in Ăsterreich, konnte seine traditionelle Sonderpostbeförderung mit historischer StraĂenbahn nicht durchfĂŒhren. Daraufhin beförderte der Vereinsobmann Alfred Graf, RegionalvizeprĂ€sident des VĂPh, die Briefe mit einem fahrplanmĂ€Ăigen StraĂenbahnzug der Linie 1 selbst und ĂŒbergab die Belege der Postdirektion.
Einzig der Ăsterreichische PhilÂatelistenverein âSt. Gabrielâ hatte GlĂŒck mit seinen Terminen: Als der zweite Lockdown zu Ende war, konnte Anfang Oktober 2020 die Sondermarke âChristus Salvatorâ in Spitz an der Donau prĂ€sentiert werden. Dank des prĂ€chtigen Wetters und der zahlreichen EhrengĂ€ste bis zum Bischof war dies sogar eine Ă€uĂerst erfolgreiche Veranstaltung. Zwei Tage spĂ€ter kam der nĂ€chste Lockdown. Die nĂ€chste Veranstaltung des Vereins, die PrĂ€sentation der Sondermarke âMillstĂ€tter Fastentuchâ, konnte nur im kleinen Kreis mit wenigen Teilnehmern durchgefĂŒhrt werden. Lediglich die vorbereiteten Belege wurden verkauft.
Verband
Auch der VĂPh musste reagieren. Aufgrund der guten Zusammenarbeit der Post mit dem Verband fanden viele MarkenprĂ€sentationen samt Ersttags-SonderpostĂ€mtern in den coronakonformen VerbandsrĂ€umen statt. Zeitweise fielen auch diese Veranstaltungen aus. Das BĂŒro blieb jedoch wĂ€hrend des gesamten Lockdowns geöffnet. Auch die Zeitschrift âDie Briefmarkeâ erschien und Vereine wurden betreut.
Die Wahl des âGrand Prix de lâExposition WIPAâ musste jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Diese Auszeichnung fĂŒr die schönste Marke der Welt war anlĂ€sslich der âWIPA 1981â gestiftet worden. Eine hochrangige Jury aus Post, Philatelie, KĂŒnstlern und Presse bewertet jedes Jahr jene Marken, die die einzelnen Postverwaltungen als ihre schönsten betrachten. Auch die philatelistische Weiterbildung litt: So musste mein Vortrag âĂsterreichs Post nach dem Ersten Weltkriegâ in der Volkshochschule schon zweimal verschoben werden.
Vereinsrecht
Einen besonderen Service bietet das Rechtsreferat des Verbandes: Der Leiter Dr. Christoph Wiesinger gibt den Vereinen Tipps zum Vereinsrecht. Besonders wichtig sind dabei die Auswirkungen auf die vorgeschriebenen Generalversammlungen. Aus rechtlicher Sicht ist die persönliche Anwesenheit der Vereinsmitglieder bei einer Generalversammlung nicht erforderlich. Die Veranstaltung kann virtuell durchgefĂŒhrt werden. Auch der Vereinsvorstand kann so gewĂ€hlt werden.
Post
Die Ăsterreichische Post AG hat ihr Ausgabeprogramm wie vorgesehen durchgezogen. Die Sonderstempel waren bereit und die Marken lĂ€ngst gedruckt. Die zugehörigen Veranstaltungen wurden aber abgesagt. Trotzdem können die Sammler an ihre Belege kommen. Die entsprechenden Sonderstempel sind durch Einsendungen an die Zentrale Stempelstelle und die veranstaltende Verkaufsstelle erhĂ€ltlich. Die Nachstempelfrist wurde auf drei Monate verlĂ€ngert.
Auch die Philatelietage in ganz Ăsterreich wurden abgesagt. Dabei wird in einzelnen Postfilialen das ganze Philatelie-Sortiment vor Ort angeboten. Bei einem Kauf von mehr als 25 Euro bekommt man eine personalisierte Marke. Auch diese werden nun in den Philatelie-Verkaufsstellen ausgegeben. FĂŒr rege Diskussion sorgten die âKlopapier-Markeâ und der dazugehörige Sonderstempel mit dem âBaby-Elefantenâ. Interessant war die Reaktion der Markensammler: Anfangs gab es heftige Diskussionen und viel Kritik, sehr bald jedoch wurde es ruhig, und jetzt spricht kaum jemand mehr ĂŒber diese Marke.
UnabhĂ€ngig von der Philatelie hat Corona der Ăsterreichischen Post AG Vorteile gebracht. Sie bezeichnet das Jahresergebnis fĂŒr 2020 als âhöchst erfreulichâ â das Paketvolumen stieg gigantisch dank des Online-Handels. An Weihnachten waren die Verteilzentren ĂŒberfordert, viele Pakete wurden verspĂ€tet geliefert.
Sammler und Auktionatoren
Die Sammler blieben bemerkenswert ruhig. SelbstverstĂ€ndlich bedauerten sie die vielen Absagen. Der Kontakt zu den anderen Mitgliedern fehlte vielen. Dies fĂŒhrte dazu, dass sich die Sammler mehr ihren eigenen Sammlungen widmeten. Die AuktionshĂ€user melden beachtliche ZuwĂ€chse und teilweise hohe ZuschlĂ€ge. Dies betrifft vor allem das Spitzenmaterial.
Das normale Standardmaterial, das die meisten Sammler haben, ist schwerer abzusetzen. Viele Sammler versuchen dies nun im Wege des Rundsendedienstes ihres Vereins. Das Kleben eines Rundsendeheftes ist zwar sehr zeitaufwĂ€ndig, die Sammler haben aber mehr Zeit. Dadurch erleben die Rundsendedienste einen unerwarteten Aufschwung. Die Sammler erhielten durch das Kleben von Tauschheften und die Durchsicht der Rundsendungen eine zusĂ€tzliche philatelistische BeschĂ€ftigung, fĂŒr die Vereine hatte es den angenehmen Nebeneffekt, dass der zwangsweise reduzierte Kontakt zu den Mitgliedern wenigstens teilweise erhalten blieb.
Corona in der Thematik
Die Sammler zeigen aber auch Humor und versuchen, Corona in die Philatelie einzubeziehen. Kaum war am 19. Februar 2020 die Marke mit dem die Erde fressenden âKonsum-Monsterâ erschienen, tauchte schon eine Karikatur auf, wo das Monster (hoffentlich bald) das Virus fressen wird.
Die Sammler erkannten schnell, dass es in der österreichischen Geschichte den Begriff âcoronaâ schon vor 100 Jahren gab: Auf den im Januar 1919 in den frĂŒher österreichischen Gebiete SĂŒdtirol, den Julischen Alpen, Venetien, Triest, Istrien und Dalmatien erschienenen Marken. Man bezog sich noch auf die österreichische Krone, die Nennwerte wurden aber in italienischer Sprache angegeben.
Heimatsammler fanden schnell heraus, dass es in Ăsterreich drei Wallfahrtskirchen gibt, die der Heiligen Corona geweiht sind. Die Heilige war eine frĂŒhchristliche MĂ€rtyrerin. In der katholischen Kirche wird sie als Schutzpatronin gegen Seuchen verehrt.
Zwei Orte St. Corona sind philÂatelistisch nachweisbar, der dritte ist eine Filialkirche bei Leiben nahe der Wachau. In St. Corona am Wechsel, einem Gebirgspass zwischen den BundeslĂ€ndern Niederösterreich und Steiermark, bestand von 1912 bis 1994 eine Postablage. St. Corona am Schöpfl war kurzfristig von 1977 bis 1981 ein Interessenten-Postamt eines Seniorenzentrums.
Ausblick
Die laufend durchgefĂŒhrten Impfungen geben Anlass zur Hoffnung auf eine Wiederbelebung. Wenn sich der Normalzustand einstellt, wird sich herausstellen, wie weit sich die BeschrĂ€nkungen auf die Philatelie ausgewirkt haben. Es scheint aber, dass es wohl keine allzu groĂen negativen Auswirkungen geben wird. Wenn man in der Geschichte der Philatelie zurĂŒckgeht, stellt man fest, dass der Untergang der Philatelie in regelmĂ€Ăigen AbstĂ€nden immer wieder vorhergesagt worden ist. Er ist nie eingetreten, auch wenn es manchmal Krisen gegeben hat.
Zweifellos geht die Zahl der Sammler zurĂŒck. Irgendwann wird diese Entwicklung aber aufhören, und dann wird ein harter Kern von Sammlern bleiben, die die Philatelie weiter pflegen. Dazu ein Beispiel: Die 1930er-Jahre werden als groĂe Zeit der österreichischen Philatelie angesehen. Damals hatte der PhilÂÂatelistenverband 3000 Mitglieder, heute sind es trotz des gewaltigen RĂŒckganges immer noch fast 10â 000. Heute beklagt man, dass die Auflagen der Sondermarken von vier Millionen auf 150â 000 zurĂŒckgegangen sind. Damals reichten 50â 000 StĂŒck, und sie sind heute noch gefragt. Welchen SpaĂ hat ein Sammler in Deutschland, wenn auĂer ihm noch 20 Millionen Menschen dieselbe Marke haben?
Wenn Corona die Teilnehmerzahl der Vereinstreffen reduziert, so ist dies zu bedauern. Am meisten leiden die VereinsfunktionĂ€re, die ohnehin nur schwer zu finden sind. Die Sammler, die trotzdem kommen werden, sind aber wohl diejenigen, die die PhilÂatelie weitertragen.
So schmerzlich die vielen TodesfĂ€lle der Pandemie sind, darf man nicht ĂŒbersehen, dass es schlimme Seuchen immer schon gegeben hat. Die âSpanische Grippeâ 1919 hat weltweit 50 Millionen Tote gefordert. Eines der prominentesten Opfer war der Maler Egon Schiele. Er pflegte seine kranke Frau Edith und infizierte sich. Drei Tage spĂ€ter starb er am 31. Oktober 1918, erst 28 Jahre alt. Die Menschheit hat es dennoch ĂŒberstanden und existiert noch heute. Und wir leben darin, ob mit oder ohne Corona.
Es besteht also kein Grund, an der derzeitigen Pandemie zu verzweifeln. Genauso, wie sich das menschliche Leben und die Wirtschaft erholen werden, wird auch die Philatelie weiterleben. Es liegt an uns, sie weiterhin am Leben zu erhalten!
Text: Prof. Richard Zimmerl

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