Weltwunder in Gefahr!
„G’Day“ – so sagt man „Guten Tag“ auf Australisch.
Wenn in wir uns in unseren Breiten über den Sommer freuen, ist auf der anderen Seite der Erde Winter. Allerdings unterscheiden sich die australischen Wintertemperaturen – sie liegen oft um 20 Grad Celsius – nicht unbedingt wesentlich von denen des deutschen Sommers. Dort, „Down Under“, wie Australien und einige seiner pazifischen Nachbarn wie Neuseeland, Fiji oder Samoa unterhalb des Äquators gerne bezeichnet werden, erwartet uns eine faszinierende fremde Welt. Begeben wir uns – zumindest auf dem Papier – einmal in dieses ferne Land, wo es meistens warm und sonnig ist, die Menschen den Ruf haben, besonders freundlich zu sein und vor dem im Korallenmeer eine grandiose Unterwasserwelt zu Hause ist.
Korallenriffe, soweit das Auge reicht
Vor der Nordostküste Australiens beherbergt der Pazifische Ozean die größte zusammenhängende Ansammlung von Korallenriffen der Erde. Über 2900 einzelne dieser Korallengebilde vereinen sich dort zum Great Barrier Reef, das seit 1981 zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört. Der Ursprung des heutigen Riffsystems liegt vor etwa 600000 Jahren. Mit einer Fläche von etwa 347800 Quadratkilometern und einer Länge von circa 2300 Kilometern umfasst das Riff eine Fläche, die so groß ist wie Deutschland. Es ist die größte von Lebewesen geschaffene Struktur der Erde. Sie wäre sogar vom Weltraum aus mit bloßem Auge zu erkennen – falls man sich gerade im Weltraum befindet. Da das aber für die wenigsten von uns möglich ist, erfreuen wir uns an diesem Anblick auf den Briefmarken (s.o. MiNr. 4007 und 4008).
Der obere, sichtbare Teil des Korallenriffs ist erst in den letzten 15000 Jahren gewachsen. Viel tiefer unten im Meer liegen Riffbereiche, die sogar bis zu 18 Millionen Jahre alt sind. In allen bisher erforschten Bereichen gibt es Leben und es werden immer noch neue Arten entdeckt.
Der steigende Wasserspiegel hat dazu geführt, dass aus großen Bereichen des Riffs, die ursprünglich zum Festland gehörten, Saumriffe und Atolle entstanden. 700 sogenannte Kontinentalinseln, ehemalige Erhöhungen auf dem Land, liegen in dem teilweise 27 Kilometer breiten Bereich zwischen Küste und Riffgürtel.
Die entstandene Unterwasserwelt ist atemberaubend. Über 400 der weltweit existierenden 700 Korallenarten haben sich hier angesiedelt. Außerdem sind in diesem fragilen Lebensraum 1500 Fischarten, 1500 Schwammarten, 5000 verschiedene Weichtiere, 800 Stachelhäuterarten und 500 Seetangarten zu Hause. Sechs der sieben bekannten Meeresschildkrötenarten, Seekühe sowie diverse Wale und Haie tummeln sich rund um das Riff.
Diese Zahlen machen deutlich, mit welchem Artenreichtum das Riff gesegnet ist. Natürlich werden und wurden diese beeindruckenden Riffbewohner auch auf vielen Postkarten und Briefmarken verewigt. Spätestens seit dem Kinohit „Findet Nemo“ sind auch Anemonenfische, die ihr ganzes Leben in den Korallenriffen verbringen, jedermann bekannt (MiNr. 3399).
Neuer Fund im Jahr 2020
Seit dem 19. Jahrhundert kartierten Forscher sieben freistehende Riffe im Bereich des nördlichen Great Barrier Reef. Im Oktober 2020 wurde ein neues freistehendes Korallenriff von Forschern des US-amerikanischen Schmidt Ocean Institute gefunden. Dank modernster Tauchtechnik gab es nach kürzester Zeit bereits Foto- und Filmaufnahmen von diesem geheimnisvollen Ort tief unten im Ozean. Das „neue“ Riff liegt an seiner höchsten Stelle 40 Meter unter der Wasseroberfläche, ist eineinhalb Kilometer breit und 500 Meter hoch. „Diese unerwartete Entdeckung bestätigt, dass wir weiterhin unbekannte Strukturen und neue Arten in unserem Ozean finden“, sagte Wendy Schmidt, Mitbegründerin des Schmidt Ocean Institute. Das letzte Mal, dass ein einzelnes Riff mit solch riesigen Ausmaßen im Great Barrier Reef gefunden wurde, ist 120 Jahre her. Empfindlicher Lebensraum – kaum noch zu retten?
Faszinierende Filmaufnahmen des Schmidt Ocean Institute
Folgen Sie diesem Link und tauchen Sie mit dem tollen Bild- und Videomaterial selbst ab in den neuentdeckten Teil des Great Barrier Reef.
Nicht nur der bis in die 1970er-Jahre praktizierte unkontrollierte Tourismus hat an den küstennahen Bereichen des Riffs großen Schaden angerichtet, auch die Überdüngung auf dem Festland, die frühere Überfischung, Algenteppiche und der aktuelle Klimawandel tragen dazu bei, dass einige Wissenschaftler die Meinung vertreten, dass die Anpassungsfähigkeit der Korallen wohlmöglich nicht ausreichen wird. Sie vermuten sogar, dass zurzeit die letzte Generation Menschen existiert, die das Great Barrier Reef noch in seiner Schönheit erleben kann.
In diesem Ökosystem leben Korallen und Algen in einer sehr empfindlichen Symbiose, die auf jede Veränderung mit unvorhersehbaren Schäden reagiert. 1998 zum Beispiel zeigte sich das in erschreckender Weise: Das Zusammentreffen von ungewöhnlich hohem Luftdruck und dem Klimaphänomen „El Niño“ ließ für einige Zeit die schattenspendenden Wolken über der nordaustralischen Küste verschwinden. In der Folge stieg die Wassertemperatur auf über 30 Grad Celsius an und die Korallen stießen die für sie lebenswichtigen Algen, die bei hohen Wassertemperaturen giftig für ihren Wirt werden, ab. Das führte dazu, dass 88 Prozent der Korallen im Küstenbereich über einen Zeitraum von fast vier Wochen ihre Farbe verloren.
Innerhalb weniger Tage wandelte sich die farbenprächtige Unterwasserwelt zu einer weißen Kalkskelett-Wüste. Erst der Umschwung der Großwetterlage brachte Wolken und damit die Abkühlung des Wassers. Die Korallen konnten sich erholen und wieder die Symbiose mit den Algen eingehen. Im Resultat starben allerdings bis zu 80 Prozent der vorhandenen Korallen ab und es wird einige Jahrzehnte dauern, bis sich die überlebenden Korallen vollständig regenerieren.
Genug Regenerationszeit?
Dagegen spricht leider einiges: Laut einer Studie, die Terry Hughes und seine Kollegen in der Zeitschrift Nature herausgaben, starb alleine im Jahr 2016 knapp ein Drittel aller Korallen vor dem australischen Bundesstaat Queensland ab, weil die Wassertemperatur wieder anstieg. Das hat, so vermuten die Forscher, große Teile des Riffes für immer verändert.
Heute geht man davon aus, dass das Great Barrier Reef bereits mehr als die Hälfte seiner Korallen aufgrund der globalen Klimaerwärmung verloren hat. Anfang 2018 hat die Regierung in Canberra in einer offenen weltweiten Ausschreibung 1,3 Millionen Euro für innovative Lösungen zur Rettung und zum Schutz der Korallen im Great Barrier Reef angeboten, so verzweifelt ist die Lage des über viele Jahrtausende existierenden Weltwunders.
Entdeckung durch einen Navigationsfehler
Am „Cape Tribulation“ stoßen Regenwald und Great Barrier Reef direkt aufeinander. Den Namen – übersetzt „Kap der Trübsal“ – bekam das Kap von der Besatzung der Endeavour, nachdem das Schiff in der Torres-Straße am 11. Juli 1770 auf Grund gelaufen war und es wegen der fälligen Reparaturarbeiten einen Monat lang dort festlag. Dieser seefahrerische Fehler passierte Cook, weil er sich tagelang nicht darüber im Klaren war, dass er sich mit seinem Schiff nicht mehr auf offener See befand. Dieser Irrtum zeigt die wahre Größe des Riffes, das nicht nur aus den flach unter dem Wasser liegenden Korallenriffen besteht, sondern durch tiefe Schluchten unter Wasser an einigen Stellen wie offenes Meer wirkt. James Cook und seine Schiffsbesatzung gelten seitdem als erste Europäer, die das große Riff sahen.
Great Barrier Reef wurde vielen Schiffen zum Verhängnis
Das Riff bedeutete über die Jahrhunderte eine große Gefahr für die Seefahrt. Ein Brief, der aus dem Wrack der „Wairarapa“ geborgen wurde, ist ein bewegender Beleg dafür. Bei der „Wairarapa“ handelte es sich um einen 1786 Tonnen schweren Dampfer der „Steam Ship Company of New Zealand“. Das Schiff befand sich am 1. November 1894 auf dem Weg von Sydney in Australien nach Auckland in Neuseeland, als es wegen dichten Nebels auf ein Riff lief und in der Nähe von Great Barrier Island, etwa eine Meile östlich von Miners Head und dreißig Meilen östlich des neuseeländischen Festlandes, einen Totalschaden erlitt und sank. Bei dieser Havarie kamen 135 Menschen ums Leben.
Der Dampfer „Argyle“ nahm Überlebende auf und brachte sie noch am selben Tag nach Auckland. Anschließend kehrte er zum Wrack zurück und barg durch ein ins Vorderdeck geschnittenes Loch den größten Teil der auf dem Dampfer verschifften Postfracht. Am 3. November kehrte die „Argyle“ mit einem großen Teil der geborgenen Post nach Auckland zurück. Die Bergung dieser Postsendungen dauerte fast drei Wochen.
Text: Carolin Köpp / Quellen: Schmidt Ocean Institute | Spiegel Wissenschaft | www.in-australien.com | www.planet-wissen.de | Archiv Michael Burzan
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