Laktoseintolerante Schlangenfresser
Als Kulturfolger siedeln sich die stacheligen Insektenvertilger zunehmend in Parks und GĂ€rten an. Von unserem Verhalten hĂ€ngt ihr Ăberleben ab.
WĂ€re man ein Tier, könnte man sich um die Evolution betrogen fĂŒhlen. Was nĂŒtzt einem die schönste Anpassung an den Lebensraum, wenn eine andere Spezies im Rekordtempo die Umweltbedingungen verĂ€ndert? Der Igel ist eines der Ă€ltesten noch lebenden SĂ€ugetiere. Dieser Erfolg ist vor allem seiner wirksamen Schutz- und Verteidigungsstrategie geschuldet. Auch seine Erzfeinde, die FĂŒchse, Dachse, Marder und Eulen, scheitern oft an seinem Stachelkleid. Doch scheint diese erfolgreiche Abschreckungsmethode tragischerweise den RĂŒckgang der Igelpopulation eher noch zu beschleunigen. Denn im Gegensatz zu den Fluchttieren verharrt der Igel auch angesichts sich rasch nĂ€hernder Gefahren in seiner Verteidigungshaltung und zeigt seine Stacheln â im StraĂenverkehr mit meist fatalen Folgen. Dass derzeit trotz zunehmender PKW-Zahlen im StraĂenverkehr immer weniger plattgefahrene Igel gefunden werden, darf dabei nicht als positives Zeichen gewertet werden. Vielmehr gehen die Zahlen der tödlichen Begegnungen zwischen Igel und Automobil so stark zurĂŒck, weil es immer weniger Igel gibt. Denn fĂŒr sie ist einfach kein Platz mehr.
Gute Nase
Der englische Name âHedgehogâ bedeutet ĂŒbersetzt âHeckenschweinâ, denn am liebsten verbirgt sich das scheue Tier im dichten Unterholz oder im Laub, um sich von dort aus in der DĂ€mmerung auf die Suche nach Nahrung zu machen. An ihrem röchelnden Schnaufen, das in der Dunkelheit mitunter irritierend, wenn nicht gar furchteinflöĂend wirken kann, lĂ€sst sich erkennen, dass der Igel zum Auffinden seines Futters vor allem seiner exzellenten Nase folgt. UnterstĂŒtzt wird er dabei von einem feinen Gehör und empfindlichen Tasthaaren, die das schwache Augenlicht des Igels mehr als wettmachen. Obwohl sein Name in der etymologischen Herleitung âSchlangenfresserâ bedeutet, sind solche dicken Happen fĂŒr ihn eher die Ausnahme. HauptsĂ€chlich ernĂ€hrt sich der Igel von Insekten und deren Larven. Eine schmackhafte Schnecke wird sicher nicht verachtet, und mitunter machen auch Frösche oder MĂ€usebabys die Bekanntschaft mit den scharfen ZĂ€hnen des kleinen RĂ€ubers â Menschen ĂŒbrigens auch, wenn sie dem unsinnigen Impuls folgen, den âsĂŒĂen kleinen Igelâ zu streicheln.
Bedrohung durch den Menschen
Eines der gröĂten Probleme fĂŒr den Igel liegt im schwindenden Nahrungsangebot. Bekanntlich sind die Insektenzahlen in Mitteleuropa in den letzten Dekaden dramatisch gesunken, und damit ist die Hauptfutterquelle im Schwinden begriffen. Die immer noch massenhaft eingesetzten Ackergifte der industriellen Landwirtschaft spielen dabei eine wichtige Rolle. Auf den Ăckern selbst leben ohnehin kaum noch Igel. Die riesigen MonokulturflĂ€chen bieten einfach zu wenig Abwechslung und keine Verstecke fĂŒr den Igel. Das gilt auch fĂŒr ĂŒbermĂ€Ăig gepflegte PrivatgĂ€rten. Ist die Natur hĂŒbsch aufgerĂ€umt, steht es schlecht um die Artenvielfalt. Zwischen SteingĂ€rten und vom Unterholz befreiten Ziergehölzen fĂŒhlen sich Wildtiere nicht besonders wohl. Schneckenkorn oder andere âPflanzenschutzmittelâ vergiften darĂŒber hinaus das noch verbliebene Nahrungsangebot. Bahnt sich zu allem Ăberfluss auch noch regelmĂ€Ăig der vollautomatische MĂ€hroboter seinen Weg ĂŒber den englischen Rasen, wird der versehentlich vorĂŒberstreunende Igel mit etwas Pech weitflĂ€chig ĂŒber das GrĂŒn verteilt. Strebt man noch mehr Effizienz beim Auslöschen freilebender Tiere an, darf natĂŒrlich der LaubblĂ€ser nicht fehlen. Ist das ohrenbetĂ€ubende GeblĂ€se an sich schon lĂ€stig und hĂ€sslich, vermögen die GerĂ€te gerade junge Igel problemlos mehrere Meter weit zu schleudern, sodass sie nicht selten mit diversen KnochenbrĂŒchen am Zaun verenden.
Tipps fĂŒr Igelfreunde
Wer hingegen mithelfen möchte, Igeln ein geeignetes Revier zu schenken, kann neben dem Verzicht auf die genannten High- tech-Helfer mit wenig Aufwand GroĂes bewirken. Naturnahes, giftfreies GĂ€rtnern sorgt fĂŒr ausreichende InsektenbestĂ€nde, und eine flache VogeltrĂ€nke löscht den Durst. Laubhaufen oder Holzstapel bieten Unterschlupf und fĂŒr den Winter ein Quartier. Damit die Tiere ihren Winterschlaf ungestört abschlieĂen können, sollten diese Zufluchtsorte möglichst bis zum FrĂŒhjahr nicht mehr umgesetzt werden. Falls ein Igel wegen milder Witterung oder anderer Ereignisse mitten im Winter durch den Garten spaziert, kann ihm mit Katzen-Trockenfutter geholfen werden. Auf keinen Fall aber darf er Milch trinken! Igel haben Laktoseintoleranz, und der Verzehr kann im schlimmsten Fall sogar zum Tode fĂŒhren. Das Aufnehmen eines Igels in die Wohnung als Wintergast sollte nur im Notfall erwogen werden. Falls ein schwaches oder krankes Tier vor dem Hunger- oder KĂ€ltetod gerettet werden muss, sollte man sich an eine lokale IgelÂstation wenden. Dort sollten fundierte Kenntnisse ĂŒber die Pflege von Wildtieren vorhanden sein. Ansonsten kann man sich darauf verlassen, dass die Natur in der Regel selbst das Richtige tut â wenn der Mensch sie nur lĂ€sst.
Die abgebildeten Karten wurden uns von âwww.mau-ak.deâ zur VerfĂŒgung gestellt.
Jan Sperhake
Skandinavien 2024/2025
ISBN: 978-3-95402-480-3
Preis: 74,00 âŹ
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