Krzysztof Penderecki 1933-2020
8‘37‘‘– acht Minuten, 37 Sekunden: Dieser Wert definiert nicht die Länge des Satz einer Sinfonie oder einer Sonate, sondern eine der größten Tragödien der Menschheit. So lange dauerte am 6. August 1945 der US-amerikanische Angriff auf Hiroshima. Erstmals zündeten Militärs eine Atombombe, um den Gegner zur Kapitulation zu bewegen. Drei Tage später traf dasselbe Schicksal Nagasaki, anders als Hiroshima nicht auf der japanischen Hauptinsel Honsh?, sondern auf der Südinsel Ky?sh? gelegen.
Der Abwurf der Atombomben bewegte Künstler in aller Welt. So auch den am 23. November 1933 in D?bica, Woiwodschaft Karpatenvorland, geborenen Komponisten Krzysztof Eugeniusz Penderecki.
Eine Totenklage
1960 schuf er eine Totenklage für 52 Saiteninstrumente. Der Titel sollte an die Länge des Angriffes vom 6. August 1945 erinnern. Zugleich gab Penderecki damit einen dezenten Hinweis auf die gewünschte Länge der Aufführung. Selbst gelang es ihm nicht ganz, die Vorgabe einzuhalten. Seine Aufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra, eingespielt beim Konzert am 14. Oktober 2015 in der Southbank Centre’s Royal Festival Hall, dauert acht Minuten und 56 Sekunden. Zu dem Zeitpunkt hatte Penderecki der Titel aber längst in „Threnos für die Opfer von Hiroshima“ geändert.
Penderecki, der am 29. März 2020 verstarb, gehörte zu den großen Tonsetzern der europäischen Avantgarde und entwickelte federführend die Postserielle Musik.
Moderne und Klassik
Anders als viele Zeitgenossen, die ihren Elfenbeinturm nie zu verlassen wagten, zeigte sich Penderecki auch der klassisch-tonalen Musik gegenüber aufgeschlossen. Über diese führte er manchen Konzertbesucher, der die Moderne nur ertragen kann, wenn sie im Programm von Mozart und Beethoven umrahmt wird, klammheimlich an die neuen Töne heran. Erst hörten sie einige der jüngeren Kompositionen Pendereckis, dann folgten mehr und mehr ältere, bis sie die Moderne zu schätzen lernten. Penderecki bereitete ihr somit den Weg und stieg selbst zu einem der beliebtesten und meistgespielten Tonsetzer seiner Generation auf. In Polen wird er längst mit Fryderyk Franciszek Chopin verglichen.
Sein Werk umfasst Kompositionen aller Gattungen. Er schrieb fünf Sinfonien, vier Opern, Konzerte für eine Vielzahl Soloinstrumente und hinterließ ein gewaltiges kammermusikalisches Œuvre. Zudem schrieb er Musik für Spielfilme. Legendär ist seine Zusammenarbeit mit der deutschen Violinistin Anne-Sophie Mutter, die ihn zu seinem zweiten Violinkonzert inspirierte, den „Metamorphosen“. Damit steht sie in einer Reihe mit Isaac Stern, dem Penderecki sein zwanzig Jahre zuvor geschriebenes erstes Violinkonzert gewidmet hatte. In der Uraufführung am 24. Juni 1995 mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Mariss Jansons spielte Mutter den Solopart. 2018 nahm sie zudem eine CD auf, schlicht „Hommage à Penderecki“ überschrieben.
Gegen Gewalt und Verfolgung
Sein zweites Violinkonzert leitete Penderecki selbst, dieses Mal spielte das London Symphony Orchestra.
Penderecki, der in Kraków studierte und dort lange lebte, schrieb ein Stück Musikgeschichte, trat aber auch immer wieder an die Öffentlichkeit, um Themen außerhalb der Musik anzusprechen. Vor allem das Engagement gegen Gewalt und Verfolgung prägte seinen Lebensweg. Daher verwunderte es nicht, dass er 2002 mit dem Klavierkonzert „Resurrection“ – Auferstehung – an die Öffentlichkeit trat. Dieses widmete er den Opfern der Massenmorde vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten. Den Titel verstand er nicht religiös, sondern im Sinne des Weiterlebens nach dem Terror. Nicht überall stießen seine Töne auf Verständnis, insbesondere in Polen nicht. Kritiker warfen ihm eine Annäherung an den sozialistischen Realismus vor. Gewissermaßen schloss sich damit ein Kreis, denn auch das den Opfer des Atombombenabwurfs gewidmete Klagelied war vielfach auf Unverständnis gestoßen. 1960 störten sich viele an Pendereckis modernen Klängen, mochten diese auch nur acht Minuten und 37 Sekunden erklingen.