90. Geburtstag von Friedensreich Hundertwasser
Seine Kunst ist weltberĂŒhmt. Sein Stil war einzigartig. âFriedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbuntâ, wie sich der am 15. Dezember 1928 in Wien geborene Friedrich Stowasser selbst nannte, wird fĂŒr seine farbenfrohen, verspielt anmutenden und von blĂŒhender Fantasie erfĂŒllten Werke verehrt. Er selbst sprach davon, dass Bilder organisch wachsen mĂŒssten, um echte Wahrhaftigkeit zu verkörpern. Auch in Hundertwassers Visionen einer menschenwĂŒrdigen Architektur sind diese AnsĂ€tze manifestiert. Die gerade Linie war in seinen Augen das Symptom einer Krankheit, die die Menschen zerfresse. Einer Gesellschaft, deren Wohnraum an Massentierhaltung erinnere, sprach er schlichtweg die ĂberlebensfĂ€higkeit ab.
90. Geburtstag des KĂŒnstlers
NatĂŒrlich kann man die Welt nicht allein anhand von Ă€sthetischen Empfindungen erklĂ€ren, aber es ist das Recht â und nach Hundertwasser auch die Pflicht â des KĂŒnstlers, mit eben seinem einzigartigen Blick und seiner daraus erwachsenden persönlichen Expertise Fehlentwicklungen aufzuzeigen und an deren âHeilungâ zu arbeiten. Diese Berufung hat Hundertwasser sehr ernst genommen, und seine oft drastische Ausdrucksweise, die sich so vollkommen von der harmonischen Gestaltung seiner Bilder unterschied, hat immer wieder fĂŒr VerblĂŒffung und manchmal auch Entsetzen gesorgt. 1967 etwa stellte er seine Theorie von den HĂ€uten vor, die uns Menschen umgĂ€ben. Die erste sei unsere Epidermis, die zweite unsere Kleidung und die dritte unser Wohnraum.
SpĂ€ter ergĂ€nzte er diese AusfĂŒhrungen noch durch die vierte Haut des sozialen Umfeldes und schlussendlich die fĂŒnfte Haut in Form der Natur und des Universums. Hundertwasser wollte mit diesem Denkmodell davor warnen, die IndividualitĂ€t in Produkten der Massenfertigung zu verlieren. Kleidung aus der Fabrik war ihm ein Zeichen beschĂ€digter Selbstachtung. Und die existenzielle Wichtigkeit der persönlichen Gestaltung des Lebensraumes formulierte er in der Ausrufung des sogenannten âFensterrechtsâ. Darin erlaubte er jedem Menschen, die Fassade rund um seine Wohnungsfenster bunt zu bemalen, âsoweit der ausgestreckte Arm reichtâ. Er wurde damit zum Alptraum jedes Vermieters. Um die Bedeutung der verschiedenen HĂ€ute zu unterstreichen, trug Hundertwasser seine Ideen auĂerdem nackt vor, was seinerzeit fĂŒr eine verĂ€rgerte KulturstadtrĂ€tin und sogar einige Anzeigen bei der Polizei sorgte.
UmweltschĂŒtzer
Noch heftiger wurde Hundertwasser, wenn er auf sein Hauptanliegen zu sprechen kam: die Rettung der Natur vor dem Menschen. In der Zeit des Wirtschaftswunders und des allgegenwĂ€rtigen unkritischen Wirt- schaftsoptimismus hatte der KĂŒnstler frĂŒh erkannt, dass der Umgang der Menschheit mit der Natur in die Katastrophe fĂŒhren muss. Die industrielle Zerstörung und Vergiftung der hauchdĂŒnnen Humusschicht der Erde, auf der die gesamte ErnĂ€hrung von Mensch und Tier, auf der fast alles Leben beruht, werde unweigerlich auf uns Menschen zurĂŒckfallen. âWir begehen Selbstmordâ, fasste er zusammen. In seinem Manifest âScheiĂkultur â die heilige ScheiĂeâ arbeitete er in wenigen AbsĂ€tzen das grundsĂ€tzliche Problem und seine Lösung heraus. Die Mensch- heit habe sich aus dem Kreislauf der Natur herausgenommen, der eine sich schlieĂende ewige Kette von Nahrung und Exkrementen bedeutet. Indem wir unsere Exkremente zusammen mit unseren AbfĂ€llen in die FlĂŒsse und Meere entsorgen, entzogen wir der Natur ihre Lebensgrundlage. Stattdessen fordert er auf, alles zu tun, um aus unseren AbfĂ€llen neues Leben zu schaffen. Humus sei die Rettung. Die Natur vermöge aus Exkrementen Nahrung zu erschaffen, wenn man sie nur lieĂen. Der KĂŒnstler verfolgte diesen Weg in aller Entschiedenheit. Mitten in seinem Wohnzimmer prangte, gleich eines Thrones: die Humus-Toilette. In bewusster Provokation verlieh er den Exkrementen sakrale Weihen: âSeit der Mensch denken kann, versucht er, unsterblich zu sein. Der Mensch will eine Seele haben. Die ScheiĂe ist unsere Seele. Durch die ScheiĂe können wir ĂŒberleben. Durch die ScheiĂe werden wir unsterblich.â
Noch im hohen Alter entwickelte sich Friedensreich Hundertwasser zum Umweltaktivisten und protestierte lautstark gegen Flussbegradigungen und Atomkraft. Auch wenn seine Sprache die Zeitgenossen manchmal schockierte, waren seine knappen und pointierten Analysen doch stets von entwaffnender Ehrlichkeit. Wenn er feststellte, dass vermeintlich korrigierende Eingriffe des Menschen in die Natur in der Regel zu noch gröĂeren Fehlern fĂŒhrten, nahm er lediglich voraus, was heute traurige Gewissheit ist. GeĂ€ndert hat sich leider nichts. Abseits bestenfalls kosmetischer Verbesserungen dreht sich alles um das Wachstum von Konsum und Umsatz, obwohl die Welt nur durch eine radikale Verringerung menschlichen Wirtschaftens genesen kann. Andernfalls bleibe der Mensch âder gröĂte SchĂ€dling, der je die Erde verwĂŒstet hatâ, wie Hundertwasser in seinem Dokument âFriedensvertrag mit der Naturâ verdeutlicht
hat.
Text: Jan Sperhake
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