Von der Laufmaschine übers Fahrrad zum E-Bike
Es war schon ein rechtes Spektakel, was sich den Mannheimern an diesem 12. Juni 1817 darbot: Ein junger Mann von 32 Jahren, der großherzoglich-badische Forstmeister Karl Drais Freiherr von Sauerbronn, bestieg – wie zuvor angekündigt – vor seinem Wohnhaus eine Art Holzbock auf zwei Rädern und fuhr damit, sich mit den Füßen am Boden abstoßend, bis zu dem etwa sieben Kilometer entfernten Schwetzinger Relaishaus und wieder zurück. Dafür brauchte er nur eine knappe Stunde. Das war deutlich weniger als die Fahrzeit der Postkutsche, selbst ein Reiter im Trab wäre nicht viel schneller gewesen. Und Pferde waren rar in jenem Jahre 1817, hatten doch durch Kälteeinbrüche und Überschwemmungen hervorgerufene Missernten im Vorjahr zu Hungersnöten und einer Futtermittelknappheit geführt, der viele Pferde zum Opfer gefallen waren.
Fortschritt auf zwei Rädern
Diese Not hatte den Tüftler Karl Drais bewogen, das von ihm „Laufmaschine“ genannte Vehikel zu entwickeln. Es war nicht seine erste Erfindung; Großherzog Karl Friedrich hatte den kreativen Forstbeamten schon seit einigen Jahren vom Dienst freigestellt, damit sich dieser seinen technischen Experimenten widmen konnte.Es war schon ein rechtes Spektakel, was sich den Mannheimern an diesem 12. Juni 1817 darbot: Ein junger Mann von 32 Jahren, der großherzoglich-badische Forstmeister Karl Drais Freiherr von Sauerbronn, bestieg – wie zuvor angekündigt – vor seinem Wohnhaus eine Art Holzbock auf zwei Rädern und fuhr damit, sich mit den Füßen am Boden abstoßend, bis zu dem etwa sieben Kilometer entfernten Schwetzinger Relaishaus und wieder zurück. Dafür brauchte er nur eine knappe Stunde. Das war deutlich weniger als die Fahrzeit der Postkutsche, selbst ein Reiter im Trab wäre nicht viel schneller gewesen. Und Pferde waren rar in jenem Jahre 1817, hatten doch durch Kälteeinbrüche und Überschwemmungen hervorgerufene Missernten im Vorjahr zu Hungersnöten und einer Futtermittelknappheit geführt, der viele Pferde zum Opfer gefallen waren. Diese Not hatte den Tüftler Karl Drais bewogen, das von ihm „Laufmaschine“ genannte Vehikel zu entwickeln. Es war nicht seine erste Erfindung; Großherzog Karl Friedrich hatte den kreativen Forstbeamten schon seit einigen Jahren vom Dienst freigestellt, damit sich dieser seinen technischen Experimenten widmen konnte.Die „Draisine“, wie man das Gefährt nach seinem Erfinder schon bald nannte, wurde auch außerhalb Deutschlands vielfach nachgebaut.
Produktpiraterie
Dennoch konnte sich die geniale Konstruktion, mit der erstmals das auf einer steten Balance beruhende Zweiradprinzip in der Fortbewegung praktische Gestalt annahm, in dieser Form nicht als Individualverkehrsmittel durchsetzen. Das lag zum einen an der noch ungefügen Bauweise mit metallbeschlagenen Holzspeichenrädern, woraus ein Gewicht von mehr als 20 Kilogramm resultierte, und zum anderen an der auf längeren Strecken doch körperlich recht anstrengenden Antriebsform. Auch die damaligen Wegeverhältnisse, die nur in geringem Maße ein Fahren auf ebener Fläche ermöglichten, standen einer weiten Verbreitung dieser Urform des Fahrrades noch entgegen. So sollte es noch mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis aus Draisens Erfindung ein allgemein nutzbares Fortbewegungsmittel wurde. Den ersten großen Fortschritt brachte die Verlegung des Antriebs auf an der Vorderradachse befestigte Pedale. Auf der Pariser Weltausstellung 1867 stellten die Kutschenbauer Pierre und Ernest Michaux ein solches „Tretkurbel-Veloziped“ mit Metallrahmen und vollgummibereiften Speichenrädern vor, das sie in einer eigenen Fabrik produzierten. Bei dieser Antriebsform bestimmt der Umfang des Vorderrades die mit einer Kurbelumdrehung zurückgelegte Strecke. Um die Fahrräder schneller zu machen, wurde in der Folgezeit das Vorderrad immer größer, das Hinterrad immer kleiner dimensioniert – es entstand das Hochrad, dessen Fahren bald akrobatische Fähigkeiten erforderte. Nicht nur das Auf- und Absteigen wurde schwieriger, der hohe Schwerpunkt beeinträchtigte auch die Fahrsicherheit. Schwere Stürze waren nicht selten.
Unfallrisiko
Angesichts des Unfallrisikos für Hochradfahrer verwundert es nicht, dass das um 1878 entwickelte Niederrad mit Kettenantrieb des Hinterrades anfangs unter dem verkaufsfördernden Namen „Sicherheitsfahrrad“ auf den Markt kam. Sowohl die nun, wie bei der Draisine, wieder gleich großen Vorder- und Hinterräder als auch die Trennung von Lenkung und Antrieb erleichterten deutlich die Beherrschung dieser Vorstufe des modernen Fahrrades. War das Radfahren bis dahin – nicht zuletzt auch wegen des Preises der meist nur in Kleinserien gebauten Hochräder – vorwiegend ein von Angehörigen höherer Schichten betriebener Freizeitsport, so entwickelte sich das Niederrad gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr zu einem alltagstauglichen Verkehrsmittel für jedermann. Dazu trugen auch die technischen Verbesserungen bei, die das Fahrrad in der Folgezeit immer leichter, sicherer, schneller und komfortabler werden ließen. Zu ihnen gehörten, um nur einige Beispiele zu nennen, die Luftbereifung, die Ausstattung mit Beleuchtung, die Sattelfederung, die Freilaufnabe mit Rücktrittbremse und die Gangschaltung. In einer Zeit, als der Rock noch die Damenmode dominierte, war auch die Entwicklung einer speziellen Rahmenform als „Damenfahrrad“ von eminent praktischer Bedeutung – wurde doch Frauen damit ein bequemer und „anständiger“ Einstieg ermöglicht, was zweifellos der gleichberechtigten Nutzung des Fahrrades durch beide Geschlechter förderlich war. Neben dem nunmehr in Großserien kostengünstig produzierten, universal einsetzbaren Standardfahrrad kamen im Laufe der Zeit immer mehr Spezialfahrräder auf den Markt, unter anderem das Lastenfahrrad, das Tandem, das Klappfahrrad sowie Sporträder unterschiedlichster Art – vom Rennrad über das Steherrad bis zum Triathlonrad. Die Fahrradindustrie wartete stetig mit Innovationen auf. So wurden die rustikalen Geländefahrräder vom Typ „Heckenbrecher-Schluchtenrutscher“ schon vor Jahrzehnten durch das schicke Mountainbike abgelöst, und moderne E-Bikes haben die Erinnerung an die als „Hühnerschreck“ verspotteten ersten Fahrräder mit Hilfsmotor längst verblassen lassen.
Fahrrad als Briefmarkenmotiv
Relativ früh wurde das Fahrrad als Briefmarkenmotiv entdeckt. Ein rühriger Bochumer Unternehmer namens Christian Menne, der neben einem „Expreß-Packet-Verkehr“ ab 1. Januar 1887 zusätzlich einen privaten Briefdienst betrieb, hatte offensichtlich auch ein gutes Gespür für die Interessen der Sammler. So brachte er allein im Jahre 1887 dreizehn verschiedene, insgesamt 51 Michel-Nummern umfassende Briefmarkenausgaben auf den Markt. Dazu gehört eine am 28. August 1887 erschienene, sechs Werte umfassende Serie, die als Motiv einen Briefboten auf dem Hochrad zeigt. Die im ein- beziehungsweise zweifarbigen Steindruck hergestellten Marken mit der Inschrift „PRIVAT-STADT-POST BOCHUM“ wurden sowohl gezähnt als auch geschnitten ausgegeben.Auf amtlichen Briefmarken ist das Fahrrad erstmals um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu finden – interessanterweise auf Ausgaben überseeischer Länder; ein Zeichen dafür, wie weit sich dieses im kleinen Großherzogtum Baden erfundene Verkehrsmittel inzwischen schon verbreitet hatte. Ein Eilbote auf dem Fahrrad ist Motiv einer kubanischen Eilmarke von 1899, und auch die Vereinigten Staaten von Amerika lösten auf ihren seit 1885 ausgegebenen Expressmarken den laufenden Eilzusteller 1902 durch einen Fahrradboten ab. Der erste namentlich bekannte Fahrradfahrer aber ist auf einer Notausgabe der britischen Garnison von Mafeking in Südafrika aus dem Jahre 1900 zu sehen; laut Michel handelt es sich um den Ordonnanz-Fahrer Sergeant-Major Goodyear.Die Post- und andere Zustelldienste sind heute noch wichtige Einsatzgebiete des Fahrrades, davon künden weltweit viele Briefmarken. Übertroffen wird deren Zahl wohl nur noch von Sport-Marken, die den unterschiedlichsten Radsportdisziplinen gewidmet sind. Nationale wie internationale Etappenfahrten werden ebenso philatelistisch gewürdigt wie das Kunstradfahren oder die olympischen Radsportarten Bahnfahren, Straßenrennen, Mountainbiking und BMX. Weniger mit Briefmarken als vielmehr mit Privatganzsachen und Absenderfreistempeln lässt sich die Herstellung von und der Handel mit Fahrrädern philatelistisch belegen.
Verkehrssicherheit
In Einzelfällen kann man sogar auf einem Reklame-Nebenfeld fündig werden. Etwas Mühe macht es auch, Belege für die Verkehrssicherheit beim Radfahren zusammenzutragen. Mit erhobenem Zeigefinger ermahnten in den 30er-Jahren Werbestempel die Radfahrer zur Einhaltung der Verkehrsregeln. „Radfahrer! Nicht anhängen an Fahrzeuge!“ oder „Haltet den Rückstrahler stets in Ordnung!“ konnte man da lesen. Die DDR-Post erinnerte in einer Serie zur Verkehrserziehung 1966 Radfahrer an die Pflicht, den Fahrtrichtungswechsel anzuzeigen.Längst hat das Fahrrad als Teil unseres täglichen Lebens Einzug in Literatur und Kunst gehalten, ist als Kinderzeichnung, Gemälde, Filmtitel oder künstlerische Fotografie auf Briefmarken präsent. Auch die Politik erkennt zunehmend die Bedeutung des Fahrrades als ökologisches Verkehrsmittel an. So symbolisierte auf den Europa-Marken 2016 ein Radfahrer in grüner Umgebung umweltbewusstes Leben. Den einstigen „Grünrock“ Karl Drais, der in der Badischen Revolution demonstrativ seinen Adelstitel ablegte, hätte es gefreut.
Text: Dieter Heinrich
Deutschland 2024/2025
ISBN: 978-3-95402-489-6
Preis: 79,00 €
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