Literatur des Barock
Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert wurde in deutschen Gelehrtenkreisen noch überwiegend lateinisch gesprochen, geschrieben — und auch gedichtet. Diese Poesie war nur dem kleinen Kreis der Gebildeten zugänglich. Es herrschte das Vorurteil, die deutsche Sprache sei zu ungelenk, um große Gedanken und tiefe Gefühle auszudrücken. In anderen europäischen Ländern, allen voran in Italien, hatte sich schon länger die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Muttersprache auch in der Dichtung als einigendes Band der Nation wirken könne. Eine diesem Ziel verpflichtete italienische „Accademia“ war denn auch das Vorbild für die erste deutsche Sprachgesellschaft, die am 24. August 1617 von einigen Fürsten und Adligen in Weimar gegründete „Fruchtbringende Gesellschaft“. Als deren Hauptziel schrieb man fest, „das man die Hochdeutsche Sprache in ihrem rechten wesen und stande, ohne einmischung frembder ausländischer Wort, aufs möglichste und thunlichste enthalte, und sich sowohl der besten aussprache im reden, als der reinsten art im schreiben und Reime-Dichten befleißige“.
„Von der deutschen Poeterey“
Ungeachtet der mannigfachen Schwierigkeiten, die der wenig später ausbrechende Dreißigjährige Krieg auch für die kulturelle Zusammenarbeit mit sich brachte, entwickelte sich die Fruchtbringende Gesellschaft – die sich, ohne Rücksicht auf das religiöse Bekenntnis, bald auch bürgerlichen Dichtern und Gelehrten öffnete — zur größten und einflussreichsten deutschen Sprachgesellschaft. In der Folgezeit entstanden weitere Gesellschaften mit ähnlichen Zielen und zum Teil recht klangvollen Namen, so in Straßburg die „Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen“, in Hamburg die „Deutschgesinnte Genossenschaft“, im holsteinischen Wedel der „Elbschwanenorden“ und in Nürnberg der heute noch bestehende, auch als „Gesellschaft der Pegnitzschäfer“ bekannte „Pegnesische Blumenorden“. Wenn auch manche ihrer Ideen zum Ersatz von Fremdwörtern durch sprachliche Neuschöpfungen über das Ziel hinausschossen, so kann doch die Rolle der Sprachgesellschaften für die Reinhaltung der deutschen Sprache und das Herausbilden einer einheitlichen Literatursprache nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Das Aufblühen der Dichtkunst im 17. Jahrhundert
Der Reform der deutschen Sprache und Dichtkunst hatte sich auch ein Mann verschrieben, der erst auf dem Höhepunkt seines Schaffens in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen wurde: der Dichter und Literaturtheoretiker Martin Opitz (1597? 1639). Der im schlesischen Bunzlau Geborene sammelte bereits als Student in Frankfurt an der Oder und Heidelberg Gleichgesinnte um sich und erlangte durch seine Oden, Sonette, Epigramme und Übersetzungen einige Bekanntheit; so war er 1623 als erster Dichter deutscher Sprache in Wien von Kaiser Ferdinand II. zum „Poeta laureatus“ gekrönt worden. In die Literaturgeschichte aber ging Opitz mit seinem 1624 veröffentlichten „Buch von der deutschen Poeterey“ ein, in dem er seine programmatischen Vorstellungen zur Entwicklung von Sprache und Dichtung darlegte und feste Regeln für das Versmaß aufstellte. Wenn er auch wie die meisten seiner Zeitgenossen glaubte, dass Poesie erlernbar sei, dass ein Gelehrter auch dichten können müsse, legte er mit diesem Werk doch die Grundlage für eine bis ins 18. Jahrhundert wirkende literarische Bewegung, auf die noch die deutsche Klassik aufbaute. In einer Zeit der Glaubenskriege, die er in den „Trostgedichten in Widerwärtigkeit des Krieges“ geißelte, verstand es der nacheinander im Dienste von Fürsten verschiedener Konfessionen stehende Opitz stets, sich seine religiöse Unabhängigkeit zu bewahren. Der als „Fürst und Adler aller deutschen Poeten“ gepriesene Barockdichter starb als Hofhistoriograph des polnischen Königs in Danzig an der Pest.
Gefühlsstarker, frühvollendeter Poet
Reichtum, Schönheit und Ausdruckskraft der deutschen Sprache für die Dichtkunst zu erschließen, wie von Opitz gefordert, gelang von seinen Zeitgenossen wohl am besten dem Lyriker Paul Fleming (1609?1640). Während seines Medizinstudiums in Leipzig schon durch gefühlsstarke lateinische Gedichte aufgefallen, wandte er sich — von seinem Mentor angeregt — bald der deutschen Poesie zu. In kunstvollen Sonetten wie in schlichten, volksliedhaften Versen verstand er es, sowohl ausgelassene Lebensfreude als auch elegische Todesstimmung auszudrücken, wie überhaupt Leben und Sterben, Diesseits und Jenseits vorherrschende Themen in der Dichtung dieser von Krieg und Zerstörung geprägten Jahrzehnte waren. Prägend für Flemings Weltbild wie sein dichterisches Schaffen wurde aber auch seine Teilnahme an einer Expeditions- und Gesandtschaftsreise, die ihn im Auftrage des Herzogs von Holstein-Gottorf in den Jahren 1633?1639 zusammen mit seinem Freund Adam Olearius nach Russland und Persien führte. Die Strapazen dieser Reise hatten aber auch seine Gesundheit geschwächt. Nach seiner Rückkehr promovierte er in Leiden noch zum Doktor der Medizin. Auf dem Wege nach Reval, wo er seine große Liebe gefunden hatte und sich als Arzt niederlassen wollte, erlag er — erst 30 Jahre alt — in Hamburg seiner Krankheit. Paul Fleming war ein stolzer, selbstbewusster Dichter: „Man wird mich nennen hören / Biß dass die letzte Glut diß alles wird verstören.“ Seine gesammelten deutschen Gedichte wurden postum von Olearius unter dem Titel „D. Paul Flemings Teutsche Poemata“ herausgegeben.
Adam Olearius (1599? 1671), der später Hofmathematiker und Bibliothekar am Gottorfer Hof war, hatte sich auf der Reise mit der persischen Literatur vertraut gemacht. Er übersetzte Saadis Gedichtsammlung „Gulistan“ und einige von Lokmans Fabeln ins Deutsche und veröffentlichte sie unter dem Titel „Persisches Rosenthal“; eine Leistung, die noch Johann Wolfgang von Goethe in seinen Bemerkungen zum „West-östlichen Diwan“ anerkannte. Seine „Offt begehrte Beschreibung der Newen Orientalischen Reise“, ein bedeutendes ethnografisches Werk, trug ihm 1651 die Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft ein. Der wohl produktivste Dichter des Barockzeitalters war der als Mitbegründer des „Pegnesischen Blumenordens“ bekannte Nürnberger Patrizier Georg Philipp Harsdörffer (1607?1658). Von ihm erschienen nicht weniger als 47 Bände, andere Quellen sprechen von über 20000 Druckseiten. „Er pflage einen Bogen Zufüllen u. also backwarm unter die Presse Zujagen“, schrieb der ebenfalls dichtende Sigmund von Birken 1662 über seinen Kollegen, „sonder das concept zu limiren (feilen) oder 9 tage, zu geschweig Jahre, wie Horatius will, liegen Zulassen.“ Harsdörffers Feder entsprangen barocke Gedichte, Schäferlyrik, Spiel- und Konversationsliteratur wie die „Frauenzimmer-Gesprächspiele“, aber auch Übersetzungen von Novellen aus dem Französischen, Italienischen und Spanischen. Er war ein virtuoser Stilist, ein Meister der Klangmalerei und der Ausschmückungen. Seine Theorien publizierte er in dem dreibändigen „Poetischen Trichter“, worin er von einem Dichter forderte, „das Schöne schöner / das Abscheuliche abscheulicher / als es an ihm selbsten ist“ zu machen.
Von den fürstlichen Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft zeichneten sich zwei Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel durch ihre ausgeprägte, tätige Liebe zur deutschen Sprache und Dichtung besonders aus. Herzog August der Jüngere (1579?1666) war ein leidenschaftlicher Büchersammler, der bei seinem Tode die mit über 100000 Bänden größte europäische Bibliothek hinterließ. Er schrieb ein Lehrbuch des Schachspiels, Werke über Geheimschriften, über Kirchengeschichte und pflegte einen ausgedehnten Briefwechsel mit Geistesgrößen seiner Zeit. Sein Sohn Herzog Anton Ulrich (1633?1714) gab dem Theater in Braunschweig eine Heimstatt, förderte Kunst und Literatur und verfasste selbst geistliche Lieder, höfische Singspiele sowie zwei ausführliche barocke Staatsromane, die eine „rechte Hof- und Adelsschule“ sein wollten.
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud“
Konfessionell lagen Welten zwischen ihnen, dem Jesuitenpater und Moraltheologen Friedrich Spee von Langenfeld (1591?1631) und dem lutherisch-orthodoxen Prediger und Archidiakon Paul Gerhardt (1607?1676). Ihre Kirchenlieder aber, von denen viele heute noch lebendig sind, entsprangen der gleichen Herzensfrömmigkeit, der Liebe zu Gott und den Menschen, zur Natur und ihren Freuden. Friedrich Spee, der mit seiner mutigen Kampfschrift gegen die Hexenprozesse wesentlich zur Überwindung dieses Irrwahns beitrug, war der bedeutendste katholische Lyriker der Barockzeit. Seine in der Liedersammlung „Trutz-Nachtigall“ vereinigten 51 Lieder künden von seinem Reichtum an emotionalen Empfindungen und ursprünglicher Freude am Leben. „Und ist die Meinung des Auctors darauff gegangen“, begründete er seine Lieder in der Muttersprache, „dass auch Gott in deutscher Spraach seine Sänger und Poeten hatte, die sein Lob und Namen eben als lieblich und poetisch als andere in anderen Spraachen singen und verkündten köndten“. Auch Paul Gerhardts Kirchenlieder, stolze 120 an der Zahl, sind Ausdruck individuellen Empfindens und religiöser Innigkeit. Die einfache Sprache, das Gottvertrauen und die fast naive Gläubigkeit, die aus Liedern wie „Befiehl du deine Wege“ oder „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ spricht, ließ mehrere davon zu Volksliedern werden.
Die politischen, gesellschaftlichen und geistigen Umbrüche des 17. Jahrhunderts bildeten aber auch den Nährboden für das Aufkommen einer neuen Mystik. Deren Streben trachtete nach einer persönlichen, nicht durch die vielerorts in toten Formeln erstarrte Institution Kirche vermittelte Beziehung des Menschen zu Gott. Dies ging einher mit sozialen Utopien, einer Geringschätzung materieller Werte zur Beförderung der Seligkeit — woraus sich später der Pietismus entwickelte — bis hin zu okkulten Vorstellungen und Praktiken. Von mittelalterlicher Mystik, naturphilosophischen wie pantheistischen Ideen war das Denken des Schlesiers Jakob Böhme (1575?1624) beeinflusst. Mit seinen in poetischer, bildhafter Sprache verfassten Schriften wirkte er über seine Zeit hinaus; seine Ideen beeinflussten noch Dichtung und Philosophie der Romantik.
Sie machten Wolfenbüttel und Braunschweig zu kulturellen Zentren: Herzog Anton Ulrich und sein Vater, Herzog August der Jüngere, beide auch schriftstellerisch tätig, waren als Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft aktive Förderer der deutschen Sprache und Literatur.
Dichtung und Kirchenmusik
Der Württemberger Theologe Johann Valentin Andreae (1586?1654) schrieb allegorische Dichtungen wie „Die Christenburg“ und entwarf
Vorstellungen für eine alle Lebensbereiche umfassende „Generalreformation“. Seine „Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz“ soll Anlass für die Bildung des Geheimbundes der Rosenkreuzer gewesen sein. Mit Kabbalistik, der mystischen Erforschung der Bibel und der Suche nach dem Stein der Weisen beschäftigte sich der aus Schlesien stammende Liederdichter Christian Knorr von Rosenroth (1636?1689), der als Hofkanzler den Mittelpunkt des „Sulzbacher Musenhofes“ bildete. Sein Kirchenlied „Morgenglanz der Ewigkeit“ wird heute noch gesungen.
Hatten sich die Vertreter der neuen Kunstdichtung in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges vorwiegend mit lyrischen oder dramatischen Werken — als philatelistisch leider nicht belegbares Beispiel seien dazu noch die Tragödien und Komödien von Andreas Gryphius (1624?1677) genannt — zu Wort gemeldet, so konnte sich in den ruhigeren Jahren nach den Westfälischen Frieden eine eigenständige deutsche Romanliteratur entfalten. Mit Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621/22?1676) betrat eine Erzählerpersönlichkeit von Weltrang die literarische Bühne. Als Zehnjähriger war er in die Hände marodierender Söldner gefallen und hatte als Pferdeknecht, Soldat und Regimentsschreiber in verschiedenen Armeen alle Facetten des Krieges kennen gelernt. Aus der Fülle seiner Erfahrungen schöpfend, beschrieb er mit realistischer Gestaltungskraft und hintergründigem Humor das Leben der „kleinen Leute“.
Mit dem Roman „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ und den nachfolgenden „Simplicianischen Schriften“ über die „Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche“, den „seltzamen Springinsfeld“ und das „wunderbarliche Vogelnest“ schuf Grimmelshausen ein realistisches Kolossalgemälde seiner Zeit.
Auf diesen Romanzyklus bezog sich der in der Nachfolge Grimmelshausens stehende volkstümliche Erzähler Johannes Beer (1655?1700) mit seinem Roman „Der Simplicianische Weltkucker“. Lebensbilder aus seiner oberösterreichischen Heimat beschrieb er in dem Doppelroman „Teutsche Winter-Nächte“ und „Kurtzweilige Sommer-Täge“. Seiner parodistisch-satirischen Fabulierkunst ließ der als Konzertmeister am Weißenfelser Hofe angestellte Schriftsteller in Ritter- und Schelmenromanen wie „Ritter Hopffen-Sack von der Speck-Seiten“ freien Lauf. In Diensten des Herzogs von Sachsen-Weißenfels stand viele Jahre auch August Bohse (1661?1740), ein vielseitiger, erfolgreicher Unterhaltungsschriftsteller und Übersetzer. Unter dem Pseudonym „Talander“ verfasste er sowohl Rhetorikhandbücher und Briefsteller als auch höfisch-galante Romane wie „Liebes-Cabinet der Damen“ oder „Amazoninnen aus dem Kloster“, die noch bis Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder aufgelegt wurden.
Text: Dieter Heinrich
Bildunterschrift Titelabbildung: Adam Olearius, hier auf einer Blockausgabe des Ascherslebener privaten Regionalpostdienstes Hartkopp, übersetzte persische Dichtung ins Deutsche und verfasste die erste wissenschaftliche Reisebeschreibung in Deutschland.
Kontakt: Die Liebhaber schöngeistiger Literatur aller Epochen und Stilrichtungen finden in der Arbeitsgemeinschaft Literatur, Theater, Märchen zahlreiche Gleichgesinnte. Ansprechpartner ist Peter Würfel, Am Berler Kamp 146, 48167 Münster, Tel. 02506 / 1532, p.w.1101@ email.de.