Signiert Daniel O´Connell
Wie ein ganz gewöhnlicher Brief innerhalb Dublins eine Brücke zur irischen Unabhängigkeit schlägt. Daniel O’Connell steht als der Befreier Irlands in den Annalen. Viele bringen die jüngere Geschichte Irlands mit dem Osteraufstand von 1916 in Verbindung. Eine Gruppe schlecht organisierter, hochemotionalisierter Freiheitskämpfer besetzte das Hauptpostamt (GPO, General Post Office) in Dublins Sackville Street, direkt am Fluss Liffey gelegen. Die Gruppe revolutionärer Kämpfer rief die unabhängige Republik Irland aus! Binnen weniger Tage schlug die hochüberlegene britische Armee den Aufstand nieder.
Die kleine Revolution
Die Anführer der Rebellion wurden fast alle innerhalb kürzester Zeit nach ihrer Inhaftierung zum Tode verurteilt und hingerichtet. Anfangs belächelten viele die jungen Männer, die jedoch sehr schnell zu regelrechten Helden der Nation aufstiegen. Sie werden auch heute noch hoch verehrt. Diese kleine Revolution war der letzte wichtige Schritt in die Unabhängigkeit Irlands, die für den größten Teil der Insel im Jahre 1922 Realität wurde. Im selben Jahr erschienen auch die ersten eigenen Briefmarken der jungen Republik. Zunächst erfolgten Überdrucke auf britischen Marken der Ausgabe König George V. und der berühmten Seahorses mit dem Namen des neu gegründeten Staates.
Bis zu jenem Zeitpunkt hatte die englische Krone Irland über 700 Jahre lang verwaltet. Ab 1801 hieß das Königreich sogar United Kingdom of Great Britain and Ireland. Deshalb wurden in Irland bis zur Unabhängigkeit auch britische Briefmarken zur Freimachung von Briefen verwendet. Und zwar ab der Ausgabe der legendären Penny Black, der ersten Briefmarke der Welt.
Absendeort Dublin
Aus dieser Zeit – genauer, aus den Anfangsjahren der Briefmarken – stammt auch der links vorgestellte Beleg. Es handelt sich um einen Brief, wie man ihn zuhauf aus der klassischen Periode der britischen Philatelie kennt: Ein Inlandsbrief, frankiert mit einer 1-Penny-Marke in Rot und gestempelt mit dem zur damaligen Zeit für die korrekte Entwertung der Briefmarken verwendeten schwarzen Malteserkreuz-Stempel. Im Übrigen handelt es sich um einen sogenannten ‚Destinctive Maltese Cross‘, der nur in Dublin verwendet wurde, nachdem der ursprüngliche Malteserkreuz-Stempel nach dessen Abnutzung und Beschädigung ersetzt werden musste. Der Absendeort Dublin ist nachweisbar durch den rückseitig angebrachten, abends aufgesetzten viereckigen Datumsstempel des 2. Mai 1844 (2E/MY 2/44). Die Ankunft im Dubliner Stadtteil Blackrock wird dokumentiert durch den vorderseitig aufgesetzten runden Stempel BLACKROCK/MY 3/1844/A. Dublins Nobelgegend Blackrock war schon damals eine Wohngegend für die betuchteren Dubliner, direkt am Meer gelegen, mit wunderschönen Strandpromenaden.
Was macht diesen Beleg nun interessanter als all die anderen vielen tausend ähnlichen Briefe, die für das Standardporto von einem Penny für einen Inlandsbrief mit einem Gewicht bis zu einer halben Unze (14,175 Gramm) verschickt und zugestellt wurden?
Nun, neben der Empfängeradresse (Miss O’Mara, Lesaneskea, Blackrock) ist links unten ein weiterer Schriftzug zu entdecken. Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass da ein Name steht. In der frühen Zeit schrieben die Absender oder die Postbeamten den Namen des Schiffes, mit dem das Poststück über Wasser transportiert werden sollte, links unten oder häufig auch oben auf den Brief. Viele irische Inlandsbriefe wurden praktischerweise mit dem Schiff befördert, insbesondere wenn sich Absender und Empfänger in der Nähe des Wassers aufhielten. Den auf diesem Brief angebrachten Namen entziffert man als „Daniel O’Connell“. Aber: Erstens gab es kein Schiff mit dem Namen Daniel O’Connell. Zweitens ist das Porto für einen Schiffsbrief nicht korrekt. Und drittens musste der Brief gar nicht mit einem Schiff transportiert werden, da er nicht einmal die Stadt verließ.
Also, um wen handelt es sich bei diesem Daniel O’Connell? In der frühen Zeit – jedoch nur bis zur Postreform von 1840 – genossen Parlamentarier im Vereinigten Königreich eingeschränkte Portofreiheit. Damit die privilegiert zu behandelnden Poststücke entsprechend von der Postverwaltung als solche erkannt werden konnten, bedurfte es der Unterschrift des Parlamentariers unten links auf dem Brief. Mit der Postreform entfiel die Bevorzugung zwar, doch hatten es sich etliche Parlamentarier zur Gewohnheit gemacht, ihren Namenszug trotzdem auf ihren Poststücken anzubringen, so auch der Parlamentarier namens Daniel O’Connell. Aber wer war dieser Daniel O’Connell?
Wikipedia-Recherche
Bei Wikipedia findet man zu dieser Persönlichkeit folgende Information: „(irisch Dónall Ó Conaill, * 6. August 1775 in Carhen bei Cahersiveen, County Kerry, Irland; † 15. Mai 1847 in Genua) war ein irischer Politiker. Er trug den Beinamen ‚The Liberator‘ (der Befreier) und war der herausragende Politiker Irlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er setzte sich vor allem für die Gleichberechtigung der Katholiken und die Aufhebung der Union zwischen Irland und Großbritannien ein.“
Der Befreier also, der Mann, der Irlands letztes Jahrhundert in Richtung Unabhängigkeit maßgeblich begleitete. Ab 1829 saß der Katholik O’Connell im britischen Unterhaus als einer der irischen Volksvertreter, obwohl er den Eid auf den König, das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, zu sprechen sich weigerte. 1841 wurde er erster katholischer Oberbürgermeister von Dublin. Daniel O’Connell verfolgte immer das Ziel, die Unabhängigkeit Irlands politisch, aber gewaltlos zu erreichen. Er verstand es, große Massen – darunter auch viele Engländer, die die positiven Auswirkungen eines eigenständigen Irlands durchaus sahen – zu bewegen. Bei einer legendären Versammlung im historischen Tara im Jahre 1843 waren Schätzungen zufolge 500000 bis 1000000 Menschen zugegen, die die Unabhängigkeit Irlands unterstützten. Daniel O’Connell wurde den Mächtigen Großbritanniens zu mächtig, aus fadenscheinigen Gründen verhaftet und von einem Geschworenengericht verurteilt. Im Juni 1844 kam er in Haft.
Nach seiner Entlassung aus der Haft hat er nicht mehr zu alter Stärke zurückgefunden. Verstorben ist er in Genua, während einer Pilgerreise Richtung Rom. Seine Nachfolger waren im Gegensatz zu Daniel O’Connell sehr wohl bereit, Gewalt anzuwenden, um den Forderungen der katholischen Iren nach Gleichheit und Gerechtigkeit Nachdruck zu verleihen. Wie unrühmlich sich dieser Freiheitskampf später und noch in die jüngste Vergangenheit hinein entwickelte, wissen wir.
Der vorgestellte Brief war rückseitig mit einem Wappen der Familie O’Connell versiegelt. Er ist wenige Wochen vor seiner Inhaftierung von ihm geschrieben und verschickt worden. Wahrscheinlich von der Hauptpost in der Sackville Street, der heutigen O’Connell Street, benannt nach dem gleichnamigen Befreier und Absender.
Spannend und beeindruckend, wie so ein kleiner, unscheinbarer Brief eine so große Geschichte erzählen kann!
Dieser Artikel erschien im Sonderheft SocialPhilately – eine Beilage des BRIEFMARKEN SPIEGEL 7/2017. Hier können Sie das gesamte Heft als ePaper lesen.
Text: Dieter Michelson / Abbildungen: Corinphila (2), wikipedia
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