Helgoland – 150 Jahre Briefmarken-Geschichte
Dem Markengebiet Helgoland nĂ€hert sich der Philatelist von vier Seiten: England als Kolonialmacht, Hamburg beziehungsweise Cuxhaven und ElbmĂŒndung, Altdeutschland sowie Deutsches Reich ab 1890 und Bundesrepublik ab 1. MĂ€rz 1952. Der Sammler entscheidet dabei grundsĂ€tzlich, ob er traditionell lĂ€nderweise oder thematisch sammelt: (Alt-)Deutschland ab 1867 oder 1890 beziehungsweise thematisch innerhalb der Philatelie-Geschichte von Hamburg, RitzebĂŒttel, Cuxhaven und den Nordseeinseln. Der mehr philatelistisch orientierte Postgeschichtler sucht sich den Teil heraus, dem er am liebsten verbunden ist und von dem er bereits einiges Material zusammengetragen hat: Vorphila-Belege, Markenzeit, (Sonder-)Stempel und Belege von besonderer Aussagekraft.
Ganz allgemein ist zu sagen, dass die strategische Lage der Insel, gelegen in der Deutschen Bucht, stets zu Streitigkeiten zwischen den angrenzenden LĂ€nder fĂŒhrte. Das kleine Eiland war Zankapfel zwischen den DĂ€nen, Briten und Deutschen, Letztere vertreten immer wieder durch Hamburg, das eine neutrale Rolle spielte und um die Schifffahrtsrechte bemĂŒht war, obgleich Helgoland politisch zu Schleswig gehörte. Einen nachhaltigen Wert als Erholungsgebiet hatte Helgoland nur fĂŒr Eingeweihte â das Ă€nderte sich auf breiter Linie nach der Wiederbesiedlung 1952, als der Zweite Weltkrieg als ĂŒberwunden galt und viele Menschen die gesunde Luft, die Gewalt der Nordseewellen und die erlebte gute Gastfreundschaft der Bewohner zu schĂ€tzen lernten. Nicht zu vergessen: die âButterfahrtenâ in das Zollausschlussgebiet Nordseeinsel Helgoland.
Die Insel Helgoland als Asyl fĂŒr Piraten
Die wechselvolle Geschichte Helgolands kann besser verstanden werden, seit die Insel auch Zufluchtsort der SeerĂ€uber beziehungsweise Piraten wurde, die Schutz vor Verfolgern suchten; ihnen war es egal, ob jemand ĂŒberhaupt Eigentumsrechte ĂŒber Helgoland beanspruchte. Zur Hansezeit (Mitte des zwölften bis Mitte des 17. Jahrhunderts) hatte Hamburg ein lebhaftes Interesse am ungehinderten Zugang zu den GewĂ€ssern der Elbe und angrenzenden Nordsee. Die VitalienbrĂŒder, raue Piratengesellen, vom Sturmwind umweht, machten es den PfeffersĂ€cken in Hamburg schwer. Hansekoggen kĂ€mpften fĂŒr Hamburg und siegten schlieĂlich gegen die SeerĂ€uber. Unvergessen ist in Hamburg die Hansekogge oder Schnigge âBunte Kuhâ im Kampf bei Helgoland gegen den Piraten Klaus Störtebeker, der 1401 in Hamburger Gefangenschaft geriet und vor den Toren der Stadt mit seinen SpieĂgesellen auf dem Hamburger Grasbrook enthauptet wurde.
Stellen Sie sich einen britischen Sammler vor, der âsein Heligolandâ innerhalb des Commonwealth philatelistisch mit aufnahm, um komplett zu sein. Das klassische Helgoland begann 1867 mit den Marken der Insel (MiNr. 1 bis 20). Als im Jahre 1890 das Territorium der Insel von GroĂbritannien und damit auch politisch verantwortlich auf das Deutsche Reich ĂŒberging, suchte sich der Deutschland-Sammler die Belege mit Stempel Helgolands heraus und baute sie in seine Sammlung ein. Der Zweite Weltkrieg stĂŒrzte ganz Europa in tiefes Leid, und so geriet Helgoland 1945 als aktives Sammelgebiet in Vergessenheit â bis London 1952 die Hochseeinsel nach britischer VerwĂŒstung an die Bundesrepublik Deutschland zurĂŒckgab.
Vorphilazeit auf Helgoland
Es ist immer reizvoll, die Vorbemerkung zu Helgoland im Michel-Katalog zu lesen und fĂŒr die eigene Sammlung zu verinnerlichen. Da heiĂt es, dass Helgoland seit etwa 1401 im Besitz Hamburgs war, um die Insel dann 1714 an DĂ€nemark abzugeben, bevor sie 1814 formell zur britischen Kolonie mit eigener Posthoheit wurde. Des Weiteren erklĂ€rt der Katalog: âDie der ElbmĂŒndung vorgelagerte Felseninsel mit der 1,5 km östlich gelegenen, bis 1720 mit der Hauptinsel zusammenhĂ€ngenden DĂŒneninsel, wurde angeblich schon von den Römern und Phoeniziern besucht. Um 1400/1401 besiegte eine hansische Flotte unter hamburgischer Leitung vor Helgoland die SeerĂ€uber, und die Insel kam in hamburgischen Besitz. â 1714 wurde Helgoland von DĂ€nemark erobert. 1807 besetzten wĂ€hrend der von Napoleon verfĂŒgten Kontinentalsperre die EnglĂ€nder die Insel, die ihnen dann im Kieler Frieden im Jahre 1814 auch zugesprochen wurde.â
Immerhin: Die Hanse machte es möglich, dass DĂ€nemark, England und Hamburg â alle eigenstĂ€ndige Staaten â konstruktiv zusammenarbeiteten. Der Michel: âBereits im Jahr 1796, als Helgoland noch dĂ€nischer Besitz war, wurde auf der Insel eine hamburgische Postagentur eröffnet, die bis zum Ăbergang des Postdienstes an die britische Regierung am 1. Juli 1866 dem Hamburger Postamt unterstand. Die ursprĂŒngliche Hauptaufgabe dieser Agentur bestand darin, die regelmĂ€Ăige Postverbindung zwischen England und Deutschland und umgekehrt zu sichern. Nachdem 1821 Hamburg eine Stadtpost eingerichtet hatte, und erst recht 1826 mit der Eröffnung eines Seebades auf Helgoland, verkehrte ein Raddampfer fahrplanmĂ€Ăig dreimal in der Woche. Die in Hamburg ab 1859 eingefĂŒhrten Freimarken wurden ab Sommer 1862 auch an die HelgolĂ€nder Postagentur abgegeben und mit dem Hamburger Stadtpostamt verrechnet.â Diese Zeit bezeichnet der Helgoland-Spezialist als VorphilÂatelie.
Den EnglĂ€ndern oblag die Posthoheit, und sie hatten nichts dagegen, dass Hamburg ihnen ab Mitte April 1867 neue Freimarken lieferte, die von der PreuĂischen Staatsdruckerei aufwĂ€ndig gefertigt wurden (siehe weiter unten). Die klassische Helgoland-PhilÂatelie war geboren.
Helgoland klassisch
Als die Posthoheit auf Helgoland an die Briten ĂŒberging, kam der Hamburger Postagentur eine auĂergewöhnliche Aufgabe zu: England ĂŒbernahm zum 1. Juli 1866 die postalische Verantwortung, und der deutsche Beamte vor Ort trat in die Dienste der britischen Krone. Das nunmehr englische Postamt wurde offiziell am Neujahrstag 1867 feierlich eingeweiht. Der ehemals hamburgische Agent avancierte zum Postmaster. Das spĂ€tere Seebad Helgoland blieb stĂ€ndiger Verbindungspunkt fast aller Fahrten von Hamburg und Cuxhaven auf die Insel. Was Wunder, dass die Verrechnungseinheiten auf Hamburgische Schilling lauteten. Auch dass die eigenen Hamburger Marken bis zum Einsatz ihrer HelgolĂ€nder Pendants gĂŒltig blieben. Und was Wunder, dass die ersten klassischen Marken in (Hamburger) Schilling-WĂ€hrung (MiNr. 1 bis 10) herauskamen?
Wie dem auch sei: Die eigentliche Helgoland-Philatelie beginnt ab Mitte April 1867 mit den von der Königlich PreuĂischen Staatsdruckerei in kombiniertem Buch- und PrĂ€gedruck gefertigten âenglischenâ Marken mit dem Kopfbild der Königin Victoria (1819 bis 1901) in der bereits genannten WĂ€hrungsangabe Schilling. Ab 1875 folgten mit MiNr. 11 aus derselben Druckerei die Marken mit Königin Victoria und in zwei WĂ€hrungen Farthings/England beziehungsweise Pfennig/Deutschland; die WĂ€hrungseinheit des englischen Mutterlandes wurde spĂ€ter in Pence angepasst. Wer die abgebildeten Belege und Ganzsachen betrachtet, erkennt diese nennenswerten Details. Es sei an dieser Stelle erwĂ€hnt, dass beim Ankauf von teuren Marken und Briefen ein Echtheitszertifikat eines VerbandsprĂŒfers einzuholen ist.
Helgoland wird deutsch
Die beiden Daten âAU 9 1890â â â10. August 1890â (britische und deutsche Schreibweise des Datums) dokumentieren einerseits den Letzttag beziehungsweise den Abschied britischer Marken, und andererseits den Ersttag deutscher Marken. Zu eigenen HelgolĂ€nder Freimarken wollten sich die Deutschen nicht durchringen, auch entsprach das nicht den politischen VerhĂ€ltnissen zehn Jahre nach der deutschen Reichswerdung. Der auf Seite 19 abgebildete Letzttagsbrief mit fĂŒnf HelgolĂ€nder Marken (MiNr. 13a, 14e, 15, 16b und 18h) ist als eingeschriebener Brief philÂatelistisch orientiert. Die fĂŒnf Handstempel Heligoland mit Datum âAU 9 1890â weisen auf den letzten Tag der britischen Posthoheit hin; der Beleg nach Hamburg ist eine kleine Seltenheit der Helgoland-Philatelie. Die dritte Marke in der Mitte zeigt das Inselwappen (grĂŒn-rot-weiĂ) mit Krone und hebt sich von den PrĂ€gedruckmarken mit Königin-Victoria-PortrĂ€t optisch gut ab. Auch auf diesem Brief erscheinen gleich drei WĂ€hrungsangaben in FarÂthings, Pence und Pfennig.
Eine Erstverwendungs-Ganzsache von einem Tag spĂ€ter ist sogleich ein Augenzeugenbericht, der die Feierlichkeiten beschreibt: âHelgoland, d. 10. 8. 1890: Bei prachtvollem Wetter hielt der Kaiser 11 Uhr unter colossaler Pracht u. Machtentfaltung seinen Einzug. Entschieden groszartig. Die HelgolĂ€nder staunen nur so. Es liegen nahezu 100 groĂe Schiffe, meistens deutsche Kriegsschiffe, vor der Insel. Feldgottesdienst beim Leuchtthurm, dann groĂe Parade ĂŒber ca. 3500 Mann. Das Aufhissen der Kaiserstandarte u. der Deutschen Flagge unter Kanonendonner sĂ€mtlicher Kriegsschiffe u. der Kanonen auf der Insel; dazu von sĂ€mtl. Musikcorps: Nun danket alle Gott; mitgesungen von der gesamten Menschenmasse entblöszten Hauptes. Sehr interessant! Die Schafe waren entfernt. Einstimmig hat Helg. so was noch nie gesehen. Jetzt kommen die Schiffe von dort an. Urbachs und Thiermann getroffen. Grusz, G. (Text Ganzsache aus Sammlung Hans-Joachim Hiller, Sinzheim).â
Helgoland erlebte von 1890 an einen kolossalen Aufschwung, mit einer einzigartigen Gastronomie und einem SeebĂ€derbetrieb von besonderer Heilkraft. Einige Postkarten aus dieser Zeit dokumentieren den Fremdenverkehr, wie er damals bereits treffend benannt wurde. Die Philatelie erlebte neben den Marken der Reichspost und dem Tagesstempel der Insel auch eine Sondermarke zum JubilĂ€um âHelgoland 50 Jahre deutsch / 1890 â 1940â. Der Sonderstempel gibt das nicht ganz korrekte Datum vom 9. August 1940 wieder, denn am 9. August 1890 war Helgoland noch britisch.
Helgoland beim âBundâ
Der Zweite Weltkrieg brachte nach der deutschen bedingungslosen Kapitulation im Mai 1945 eine RĂ€umung der Insel und Besetzung des britischen MilitĂ€rs, das dort massenweise Bomben zu Testzwecken abwarf. Inzwischen wurden die einst erbitterten Kriegsgegner nach alliierter Besatzung und Wiederaufbau zu echten Partnern, nĂ€mlich politisch und auch militĂ€risch innerhalb der westlichen Verteidigung (NATO). Allen voran stand die deutsch-französische Freundschaft, die insbesondere kulturell ausgerichtet war und indirekt das politische VerhĂ€ltnis zu GroĂbritannien beflĂŒgelte. Was Helgoland betrifft, gehörte die Insel am 1. MĂ€rz 1952 wieder zu Deutschland. Ein erneut wirtschaftlicher Aufbau begann, der eine postalische Besonderheit fĂŒr die Insel brachte, nĂ€mlich eine Dichte von PostfĂ€chern, die ihresgleichen in der gesamten Republik sucht. Erwartet werden konnte eine Marke zum 100. Jahrestag der deutschen Posthoheit (10. August 1990), doch blieb diese wohl in der Wendezeit vergessen; die Freimarke MiNr. 1469 aus der Serie mit SehenswĂŒrdigkeiten bietet keinen echten Ersatz.
Die neueste Geschichte lieĂ aufhorchen, als das Bundesland Hamburg in einem Kauf- und Staatsvertrag mit Niedersachsen die Insel Neuwerk zum eigenen Territorium aufwertete â um einen Tidehafen ohne stĂ€ndige notwendige Elbvertiefungen zu besitzen. Dass Hamburg also mit Helgoland traditionsgemÀà eng verbunden war, ist nur allzu gut verstĂ€ndlich.
Der aktuellste Teil der Helgoland-Philatelie ist prĂ€destiniert fĂŒr eine thematische Bearbeitung: Lage der Insel, etwas Vorphilatelie, Wappen der Insel mit Beispiel der britischen Marken (MiNr. 18 von Helgoland; 2?Âœ Pence / 20 Pfennig), Sonderstempel und Sondermarke DR MiNr. 750 (6?+?94 Pfennig), Bildpostkarten Bund (50 Pfennig mit Druckvermerk âi 3/40 20?000 1.81â und Ansicht der Felseninsel), weitere Sondermarken âFremdenverkehrâ MiNr. 746 (30 Pfennig) oder Rollenmarken, auch aus Bogen, MiNr. 1469 (70 Pfennig). Hinzu kommen Sonderstempel mit Bezug auf die Insel.
Helgoland heute
Dies war ein Streifzug durch die Helgoland-Philatelie, der aufzeigt, wie vielseitig das Sammeln der HelgolÀnder Marken und Belege ist. Wertvoller Begleiter bleibt dabei der Michel-Katalog.
Fassen wir zusammen: Helgoland wird epochenweise gesammelt. Wir unterscheiden vier Epochen:
- Die Zeit vor 1867 (VorphilÂatelie; postalische Belege von Hamburg, Amt RitzebĂŒttel/ElbmĂŒndung rund um Cuxhaven, Schiffspost nach Helgoland; Verwendung Hamburger Marken).
- Die Markenzeit der Insel (MiNr. 1 bis 20 mit allen relevanten Details, wie Trennungsarten, Bogeneinheiten, WĂ€hrungsangaben und Portostufen).
- Die deutsche Posthoheit ab dem 10. August 1890 mit Freimarken des Deutschen Reiches und Stempeln des Inselpostamtes (bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges).
- Die Bundesrepublik Deutschland ĂŒbernimmt die postalischen Geschicke der Insel ab dem 1. MĂ€rz 1952 bis heute (Ausgabe MiNr. 152; Frankaturen Bund).
Dem Sammler werden keine Grenzen gesetzt. Er widmet sich dem Gebiet klassisch-postgeschichtlich oder thematisch. Helgoland: Es gibt wohl kein anderes Gebiet der deutschen Philatelie, das abwechslungsreicher oder faszinierender ausgerichtet ist.
Text: Eberhard Cölle / Abbildungen: Albert von Rockler in „Die Gartenlaube“ 1883 by Ernst KeilÂŽs Nachfolger Leipzig) – www.wikimedia.org (Titelbild), Auction Galleries Hamburg, Rauhut, Köhler.
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