„Die Schrecken der deutschen Sprache“
Es ist wohl eine der schönsten Szenen aus der amerikanischen Jugendliteratur: Der Lausbube Tom Sawyer soll einen Zaun streichen und schafft es nicht nur, seine Freunde dazu zu bringen, an seiner Stelle zu streichen, Nein, sie geben ihm auch noch freiwillig etwas dafür, um überhaupt streichen zu dürfen… Norman Rockwell hat diese Szene für eine amerikanische Briefmarke aus dem Jahr 1972 festgehalten, ausgedacht hat sie sich der Schriftsteller Mark Twain, der heute vor 180 Jahren das Licht der Welt erblickte.
Twain, der als Samuel Langhorne Clemens am 30. November 1835 in der Kleinstadt Florida im Bundesstaat Missouri das Licht der Welt erblickte, war der Wegbereiter der modernen amerikanischen Literatur. Schriftsteller wie William Faulkner, T. S. Eliot oder Ernest Hemingway wurden maßgeblich von ihm beeinflusst. Im Alter von elf Jahren begann Samuel Clemens nach dem Tod des Vaters eine Ausbildung als Schriftsetzer und begann mit 17 Jahren, den Osten und Mittleren Weste der USA zu bereisen. In Büchereien erweiterte er seine Allgemeinbildung und und ging dann nach St. Louis, wo er Lotse auf dem Mississippi wurde. Mit Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs wurde er arbeitslos, versuchte sich eine Weile als Goldgräber und arbeitete schließlich als Reporter. Ab 1863 begann er unter dem Pseudonym „Mark Twain“, einem Begriff aus der Schiffersprache, zu publizieren, schrieb weiter Reportagen, aber auch erste Kurzgeschichten und war besonders als Vortragsreisender mit seinen satirischen Geschichten erfolgreich.
Es folgten Reisen nach Hawaii sowie nach Europa und Palästina, unter deren Eindruck er 1869 „Die Arglosen im Ausland“ verfasste. 1870 heiratete er und ließ sich in Connecticut nieder, wo er die folgenden 17 Jahre als bekannter und beliebter Autor mit starker gesellschaftskritischer Tendenz verbrachte. Hier entstanden seine berühmtesten Werke wie der Tom Sawyer und später der ungleich reifere Huckleberry Finn, scheinbare Kinderbücher, in denen allerdings noch viel mehr steckte. Die verschiedenen Slangs, die der Meister der gesprochenen Sprache darin verwendete, sind in vielen Übersetzungen oder „Übertragungen für die Jugend“ leider zumeist nicht mehr zu erkennen. Auch auf Reisen ging er weiterhin, wobei es ihm dabei anscheinend besonders Europa und hier vor allem die Deutsche Sprache angetan hatten.
Twain versuchte mehrmals mit mehr oder weniger Erfolg Deutsch zu lernen und übersetzte sogar den „Struwwelpeter“ ins Englische, Zeugnis von seinen Auseinandersetzungen mit der Sprache liefert seine Essay „Die schreckliche deutsche Sprache (The Awful German Language)“ aus dem Jahr 1880, wobei ihn die schwierige Grammatik schier verzweifeln ließ: „Man verliert bald unweigerlich die Beherrschung, und wenn man bei dem Thema bleibt und sich nicht warnen lässt, weicht schließlich das Gehirn davon auf oder versteinert.“ Trotzdem besuchte er immer wieder Wien oder Heidelberg und gab sich stets als treuer Freund der deutschen Sprache zu erkennen. In seinen letzten Jahren entwickelte sich Twain nach dem Tod seiner Frau und zwei seiner Töchter und finanziellen Misserfolgen zunehmend zum Misanthropen, der Ton seiner Werke wurde pessimistischer: „Nichts existiert außer dir. Und Du bist nur ein Gedanke –ein vagabundierender, sinnloser, heimatloser Gedanke, der einsam in der leeren Ewigkeit umherstreift“, heißt es in einem seiner letzten Texte. Am 21. April 1910 ist Mark Twain gestorben. Bis heute gilt er als Wegbereiter der modernen amerikanischen Epik, wobei sein Weltruhm sich auf seine satirischen und humoristischen Elemente gründet.
Doch nicht jeder Schreiber war eins mit Twain. Karl Kraus schrieb in seiner „Fackel“ über einen Abend beim Presseklub Concordia: „Eines Sinnes mit Mark Twain trank alles, was bei uns für schlechte Besoldung den Dativ mit dem Accusativ verwechselt, dem lieben Gaste zu und ließ sich zur Bekräftigung des collegialen Einvernehmens bei Magnesiumbeleuchtung mit ihm auf einem Bilde verewigen.“ Zudem wetterte er direkt gegen den Amerikaner, dass der „in fortwährender Verhöhnung der Wiener Sitten und Gebräuche sein noch ungelenkes Deutsch“ übe.
Womit er der Persönlichkeit und Twains Bemühungen um die Sprachpflege nicht gerecht wurde. Immerhin, Mark Twain übersetzte den „Struwwelpeter“ ins Englische. Manche deutschen Wörter waren nach seinem Empfinden so lang, dass man sie nur aus der Ferne ganz sehen könne. Man betrachte Freundschaftsbezeugungen, Dilettantenaufdringlichkeiten oder Stadtverordnetenversammlungen. „Diese Dinge sind nicht Worte, sie sind alphabetische Prozessionen.“