„Van, The Man“ oder: „Into the music“

„Van, The Man“ oder: „Into the music“

Mit seiner eigenen Mischung aus Rhythm and Blues und Soul, Folk und Country hat er sich während der letzten fünf Jahrzehnte in die Herzen seines großen und treuen Publikums gesungen und gespielt. Von seinen berühmten Kollegen und Weggefährten wird er nicht weniger geachtet und geliebt. Van Morrison ist eine der größten Stimmen in der Geschichte der Rockmusik. Er wird heute 70 Jahre alt.

Der letzte Walzer
Thanksgiving-Abend, 25. November 1976, „Winterland Ballroom“, San Francisco: Ein nordirischer Sänger steht auf der Bühne, als sich die amerikanisch-kanadische Gruppe „The Band“ mit einem Konzert von der Straße – vom riskanten und auszehrenden Tourleben und Livegeschäft – verabschiedet. Im Zuge dessen singt eine ganze Generation von berühmten Rockmusikern ein Loblied auf die bereits zu diesem Zeitpunkt beinahe mythische Americana-Combo und nicht zuletzt auf die Musik selbst. In Martin Scorseses 1978 erschienenem Film „The Last Waltz“, der das legendäre Farewell dokumentiert, ist Van Morrisons Auftritt – eine vor Spielfreude vibrierende, direkt auf das Publikum übergehende und mit donnerndem Applaus versehene Version seines Songs „Caravan“ – ein besonderes Highlight unter diversen Highlights. Robbie Robertson, Gitarrist und Hauptsongwriter der scheidenden Formation, stellt ihn danach noch einmal als „Van, The Man“ vor. Ein amerikanischer umgangssprachlicher Ausdruck seiner und der Anerkennung aller, die sich gerade auf und vor der Bühne befinden.
Womit hatte sich Van Morrison diesen Respekt schon damals längst verdient? Und: Wie war er, ein Junge aus Belfast, dorthin, nach Kalifornien, an die Seite von Bob Dylan, Neil Young, Joni Mitchell, Dr. John und Neil Diamond, gekommen?

Einflüsse
Van Morrison auf Briefmarke aus Irland von 2002Er nahm die amerikanische Musik schon in sich auf, als er noch ein wirklich kleiner Junge war. Da hieß er noch George Ivan Morrison und lebte mit seinen Eltern im Arbeiterviertel seiner Heimatstadt. Denn sein aus einer ursprünglich schottischen Familie stammender Vater, der eine Zeit lang in Detroit gelebt hatte, besaß und spielte daheim mehr Platten als die meisten anderen Leute. Es war Blues, gesungen von Leadbelly, Blind Lemon Jefferson, Muddy Waters, Sonny Terry und Brownie McGhee. Und es war Soul von Ray Charles und Solomon Burke. Dazu kamen die Country and Western-Sänger, Hank Willams und Jimmy Rodgers etwa. Stimmen aus existenzieller Tiefe, voller Seele und Leben. Stimmen, hart und unverfälscht und doch aus Samt. All dies traf ihn tief. Und all dies waren Klänge aus einem fernen Land.
Morrison verließ die Schule mit 15 Jahren. Er wurde Fensterputzer. In „Cleaning windows“ vom Album „Beautiful Vison“ aus dem Jahr 1982 – Mark Knopfler von den Dire Straits spielt darauf Gitarre – wird es alles erwähnt: Die Arbeit mit seinem Kollegen Sam, die Platten und Musiker, die er zuhause während der Mittagspause hört, Bücher, die er las, wie Jack Kerouacs „On the road“, die Gigs am Wochenende mit seinem Saxophon .
Seit einigen Jahren spielte Morrison dann – an Gitarre, Saxophon und Mundharmonika – schon in auch jenseits der Insel tourenden, hart arbeitenden Bands, als er 1964 eine neue Formation gründete. „Them“ spielten elektrisch verstärkten, teilweise rasanten Rhythm & Blues. Es war die Band, mit der er– jetzt als Sänger – den Durchbruch, auch in den großen, weiten USA, schaffte. Eine Version von Dylans „It’s all over now, Baby Blue“ hatte einigen Charterfolg, und auch das bebende „Mystic Eyes“ wurde bekannt. Der große „Them“-Klassiker ist aber das von unzähligen Bands – unter anderem von Patti Smith und The Doors, die für „Them“ im „Whiskey a Go Go“ in Los Angeles eröffneten – gecoverte hymnische „Gloria“. Geschrieben wurde es von Van Morrison. Die Band trennte sich nach nur zwei Jahren, nicht jedoch ohne in dieser sehr kurzen Zeit einigen und nachhaltigen Eindruck auf der Landkarte der Rockmusik hinterlassen zu haben.

Solo
Morrison machte weiter, jetzt verstärkt in Eigenregie. Zuerst mit einer Single, „Brown Eyed Girl“, die – ungewöhnlich poppig daherkommend – seine berühmteste wurde. Und auch gleich das erste Soloalbum, „Astral Weeks“ von 1968, ist heute sein bekanntestes und höchst gehandeltes. In den gelegentlichen musikjournalistisch erstellten Listen der besten Alben aller Zeiten steht es oft ganz weit vorne, neben „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ von den Beatles, Dylans „Blonde on Blonde“ oder „Exile On Main Street” von den Rolling Stones. Mit „Into The Mystic“ findet sich auf Morrisons drittem Werk „Moondance“ ein unsterbliches Stück, das auch eines seiner großen Themen anzeigt: Das Mystische, etwas in einer uralten Vergangenheit oder anderen Sphäre liegendes und poetisch- sprachlich nur anzusteuerndes. Eine mit Musik und romantischer Liebe korrespondierende Religion und Spiritualität auch, die bisweilen zu seiner keltisch-kaledonischen Herkunft führt. Morrison hat immer wieder davon gesungen, auf „Into the music“ von ’79 zum Beispiel und in „Haunts Of Ancient Peace“, „Northern Muse (Solid Ground“), „Celtic Swing“ oder in „What makes The Irish Heart beat“ vom 2002er- Album „Down the road“.
Über die Jahre hat Morrison einen Ruf erhalten, der ziemlich klar konturiert und kaum widersprochen dasteht: Er gilt als eigenwillig, zurückgezogen und launisch, als Grummler und Grantler. Doch die Brummelstimme des unbeirrbaren Songwriters Van Morrison, sie singt jede Melodie und Wendung, die sie will, frei und rein wie ein Kind.

Down the road
Van Morrison selbst war nach dem letzten Walzer an jenem rockhistorischen Thanksgiving-Abend im Jahr 1976 noch lange nicht fertig. Ganz im Gegenteil: In den seitdem vergangenen vier Jahrzehnten hat er über 20 Studioalben aufgenommen und unzählige Konzerte absolviert. Die irischen Wurzeln schienen gerade in den 80er-Jahren oft durch, mal tönen seine Alben jazziger, mal geht es stärker in Richtung Country. Die Klänge und Songs, die Morrison damals in Belfast prägten, sie haben ihn, den doch stets weiter, in der Tiefe suchenden, nie verlassen. Er ist immer er selbst geblieben. Und er hat nie aufgehört.
„Happy Birthday, Sir – in diesem Jahr schlug ihn Königin Elisabeth II. zum Ritter – Van Morrison, Van, The Man!“ Robbie Robertson und die anderen amerikanischen Jungs, sie wussten wohl genau, was sie damals sagten.

Authored by: Marius Prill

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