„Oh, ich sterbe unter euch“
Else Lasker-Schüler war keine Frau, die sich mit einem gewöhnlichen bürgerlichen Leben zufrieden geben wollte. Stets war sie bereit, neue Horizonte zu beschreiten. Gesegnet mit einem Talent, den Pinsel und die Feder zu führen, schuf sie für die Nachwelt ein faszinierendes Werk. Sowohl die Glücksmomente als auch die schweren Schicksalsschläge ihres Lebens finden Einzug in ihre Schriften, in denen sich das schillernde Wesen dieser starken, von Liebe erfüllten und nach Freiheit suchenden Frau widerspiegelt. Am 11. Februar 1869 erblickte die kleine Else in Elberfeld an der Wupper das Licht der Welt. Das Jahr 1869 stellte für die jüdische Bevölkerung Westfalens kein unbedeutendes Datum dar. Im Juli unterzeichnete der Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes Otto von Bismarck das „Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung“, welches das Judentum mit allen anderen Konfessionen gleichstellte. Zwei Jahre später trat dieses auch im gesamtdeutschen Reich in Kraft.
Die kleine Else wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf. Ihre Eltern Jeanette (geb. Kissing) und der Vater Aron Schüler waren stets bemüht, ihren sechs Kindern die beste Ausbildung zu gewähren und sie mit Kunst und Literatur vertraut zu machen. Die älteren Geschwister besuchten Internate sowie das Gymnasium in Elberfeld. Else selbst musste die Schule im Alter von 11 Jahren verlassen, da sie eine Autoimmunkrankheit (Chorea Minor) heimsuchte, die mit Symptomen wie unkontrollierbaren, plötzlichen Muskelbewegungen einherging.
In der jüdischen Familie erfuhren die sechs Geschwister sehr viel Geborgenheit. Der Vater erzählte immer wieder Geschichten aus seinen Kindertagen. Der Handelsvertreter bzw. spätere Privatbankier war mit siebzehn Geschwistern und Halbgeschwistern aufgewachsen, eine Kindheit, die natürlich genügend Stoff für zahlreiche amüsante Anekdoten lieferte. In den regelmäßigen „Lesekränzchen“, zu denen der Vater Schauspieler und Schauspielerinnen einlud, verhalfen die Teilnehmenden deutschen Klassikern zu neuem Leben. Der Vater übernahm stets die „Schreirollen“ des Mephisto und des Franz Moor. Die Mutter übte auf das Nesthäkchen der Familie aber einen größeren Einfluss aus als der Vater. Jeanette Schüler erzählte ihrer jüngsten Tochter Geschichten von ihren literarischen und historischen Helden. Begeistert lauschte die kleine Else ihrer über alles geliebten Mutter.
Die Liebe in der Großfamilie war ein wichtiger Eckpfeiler für die Kindheit des jungen Mädchens. Auch wenn Else später betonte, in ihrer Kindheit nie antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt gewesen zu sein, waren ihr solche Ausschreitungen wohl doch bestens bekannt. Der Vater erzählte von Beschuldigungen, Juden würden Christenblut trinken und Christenkinder schlachten. In einem Brief, den sie im Jahr 1940 an den Papst Pius X. richtete, schrieb sie:
„Als ich noch ein Kind war, und mein Vater und mein zweiter Bruder meiner von mir angebeteten Mutter und meinen älteren Geschwistern einst von solch einer ungeheuren Anschuldigung berichteten, ja da saßen wir um unseren runden Abendbrottisch in unserem großen Hause und weinten alle wie die Kinder, Heiliger Vater.“
In den Dichtungen Schülers finden sich die Motive Heimat und Kindheit stets wieder. Die Kindheit schien Else als die Vollkommenheit des menschlichen Daseins. In dieser Zeit war man frei, geliebt, geborgen und konnte sich zwanglos entfalten.
„An meiner Wimper hängt ein Stern, Er ist so hell, Wie soll ich schlafen, Und möchte mit dir spielen. Ich habe keine Heimat, Wir spielen König und Prinz“ („Giselheer dem Knaben“ aus dem Zyklus Gottfried Benn, erschienen 1920)
Aber auch in der Familie Schüler herrschte nicht stets nur Harmonie. Nach dem plötzlichen Tod der Mutter am 27. Juli 1890 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Else und ihrer Familie. Den frühen Tod der Mutter verarbeitete Else sehr schwer. In dem Gedicht „Mutter“ aus ihrem ersten, 1902 publizierten Gedichtband „Styx“ wird der Schmerz über den Verlust sehr deutlich.
„Ein weißer Stern singt ein Totenlied in der Julinacht, Und auf dem Dach die Wolkenhand, Die streifende, feuchte Schattenhand, Sucht nach meiner Mutter. Ich fühle mein nacktes Leben, Es stößt sich ab vom Mutterland, So nackt war nie mein Leben, So in die Zeit gegeben, Als ob ich abgeblüht, Hinter des Tages Ende, Versunken, Zwischen weiten Nächten stände, Von Einsamkeiten gefangen. Ach Gott! Mein wildes Kindesweh!… Meine Mutter ist heimgegangen.“
Else wollte nach dem schweren Schicksalsschlag den von ihrem Vater und den älteren Brüdern bestimmten Haushalt in Eberfeld schnellstmöglich verlassen. Deshalb entschloss sie sich, den Arzt Berthold Lasker zu ehelichen und mit ihm nach Berlin zu ziehen. Die Trauung wurde am 15. Januar 1894 vollzogen. Die junge Lasker-Schüler machte in der deutschen Hauptstadt eine enorme Wandlung durch. In ihrem eigenen Atelier brachte sie ihre künstlerischen Ideen auf Leinwände, sie besuchte jede Woche das Theater und zahlreiche Konzerte, außerdem begann sie ihre Gedichte mit der Öffentlichkeit zu teilen. Am 24. August 1899 kam ihr erster Sohn zur Welt. Ihr Mutterglück verdeutlicht sich im Gedicht „Meinlingchen“, das ebenfalls in „Styx“ erschien.
„Meinlingchen sieh mich an, dann schmeicheln tausend Lächeln mein Gesicht, Und tausend Sonnenwinde streicheln meine Seele, Hast wie ein Wirbelträumchen, Unter ihren Fittichen gelegen. Nie war so lenzensüß mein Blut, Als Dich mein Odem tränkte, Die Quellen Edens müssen so geduftet haben, Bis Dich der Muttersturm, Aus süßem Dunkel, Von meinen Herzwegen pflückte, Und dich in meine Arme legte, In ein Bad von Küssen.“
Um die Jahrhundertwende begann eine enge Freundschaft mit Peter Hille, der sie in ihrem Entschluss bestärkte, endgültig dem bürgerlichen Leben zu entfliehen und den Weg in eine freie Künstlerexistenz zu wagen. In dem Gedicht „Weltflucht“, ebenfalls im Band Styx erschienen, wird ganz deutlich, dass sie hinaus wollte ins grenzenlos Freie ohne jegliche Beschränkungen durch das bürgerliche Leben.
„Ich will in das Grenzenlose, Zu mir zurück, Schon blüht die Herbstzeitlose, Meiner Seele, Vielleicht, ist’s schon zu spät zurück! O, ich sterbe unter Euch. Da ihr mich erstickt mich Euch. Fäden möchte ich um mich ziehen. Wirrwarr endend! Beirrend, Euch verwirrend, Um zu entfliehn, Meinwärts!“
Dazu gehörte auch die Loslösung von ihrem Gatten. Nach neunjähriger Ehe ließ sich Else am 11. April 1903 von Berthold Lasker scheiden. Durch ihre zweite Ehe mit dem Schriftsteller und späteren Herausgeber der Zeitschrift „Der Sturm“ Herwarth Walden eröffneten sich auf dem literarischen Gebiet ganze neue Möglichkeiten für die junge Dichterin. Durch die Gründung des Vereins „Kunst“ kam sie in Kontakt mit Schriftstellern wie Thomas Mann und Rainer Maria Rilke.
Dem 1904 verstorbenen Freund Peter Hille widmete sie ein nach seinem Namen betiteltes, 1906 publiziertes Buch. Es war das erste Prosa-Werk Lasker-Schülers. In diesem Buch generierte die Schriftstellerin Hille zu einer gottesähnlichen Führerfigur, die er für sie in den zehn Jahren ihrer engen Freundschaft auch war. 1909 erschien ihr Drama „Die Wupper“. Das ihrer Heimatstadt gewidmete Werk wurde erst zehn Jahre später im Deutschen Theater uraufgeführt.
Die letzten Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges gestalteten sich für Lasker-Schüler insgesamt sehr trüb. Als ihre zweite Ehe 1912 auseinander brach, besaß Else keine eigene Wohnung mehr. Zeitweise völlig mittellos war sie von Geldsammlungen abhängig, um ihr Hotelzimmer zahlen zu können. Doch die Verarmung war nicht das Schlimmste. Else vereinsamte zusehends. Zudem wurde sie krank, sodass sie sich in ärztliche Behandlung bei Alfred Döblin begab und sogar mit Opium behandelt werden musste. Im von ihr illustrierten, 1912 veröffentlichten Roman „Mein Herz. Ein Roman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen“ beschrieb Lasker-Schüler ihren Zustand:
„Ich fühle mich etwas unwohl am Herzen. Dr. Döblin vom Urban kam mit seiner lieblichen Braut, um eine Diagnose zu stellen. Er meint, ich leide an der Schilddrüse, aber in Wirklichkeit hatte ich Sehnsucht […]. Er bestand aber darauf, mir die Schilddrüse zu entfernen, die aufs Herz indirekt drücke; ein klein wenig Cretin könnte ich davon werden, aber wo ich so aufgeweckt wäre, käme ich nur wieder ins Gleichgewicht. Ich habe nämlich gebeichtet, dass ich mir außerdem das Leben meiner beiden Freunde wegen hätte nehmen wollen am Gashahn, der aber abgestellt worden sei; der ganze Gasometer ist geholt worden. Ich konnte die Gasrechnung nicht bezahlen. Auch in der Milch kann ich mich nicht ersäufen, Bolle bringt keine mehr.“
Im Jahr 1912 verlor Else ihre geliebte Schwester Anna. Zwei Jahre später starb auch ihr enger Freund Johannes Holzmann in einem russischen Kerker. Sie widmete ihm eine Vielzahl von Schriften und Gedichten, wie das Gedicht „Senna Hoy“ aus dem 1917 publizierten Buch „Die Gesammelten Gedichte“.
„Seit du begraben liegst auf dem Hügel, ist die Erde süß, Wo ich hingegen nun auf Zehen, Wandele ich über reine Wege. O deines Blutes Rosen, Durchtränken sanft den Tod. Ich habe keine Furcht mehr, Vor dem Sterben. Auf deinem Grabe blühe ich schon, Mit den Blumen der Schlingpflanzen. Deine Lippen haben mich immer gerufen, Nun weiß mein Name nicht mehr zurück. Jede Schaufel Erde, die ich barg, Verschüttete auch mich. Darum ist immer Nacht an mir, Und Sterne schon an der Dämmerung. Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden, Und ganz fremd geworden. Aber du stehst am Tor der stillen Stadt, Und wartest auf mich, du Großengel.“
Nachdem Anfang der 1910er Jahre ihrer „Essays und andere Geschichten“ in expressionistischen Zeitschriften wie dem „Sturm“ und der „Fackel“ erschienen waren, veröffentlichte Lasker-Schüler 1913 die Werke „Hebräische Balladen. Gedichte“ und die Essay-Sammlung „Gesichte“, in der sie sich auf ihre glücklichen Kindertage zurück besann, in Buchform. Doch der europäische Konflikt, der ein Jahr nach der Veröffentlichung der Essays ausbrechen sollte, hielt Einzug in die Kindheitsidylle. So schreibt Schüler am Ende des Kapitels „Meine Kinderzeit“, in dem sie zu Anfang ihre glücklichen Kindheitserinnerungen aufleben lässt:
„Die drei Ulanen machten viel Feinde zu Gefangenen; ich wurde in die Küche gesperrt und musste so tun, als ob ich ein ganzes Regiment gefangener Franzosen wäre, die sich aus dem Turm zu befreien versuchten und die Deutschen verhöhnten.“
Der Erste Weltkrieg erschütterte die Schriftstellerin genau wie den Rest der Welt. Sie versuchte durch die Beschaffung von Medikamenten, die vor der Musterung eingenommen werden sollten, einige ihrer Freunde und Künstlerkollegen vor dem Kriegsdienst zu bewahren. Sie sprach während des Krieges sehnsüchtig über die Zeit vor dem Ausbruch der schrecklichen Auseinandersetzung, die ganz Europa erschütterte. Vor dem Krieg schien es doch so nahe, die Welt mit Hilfe der Kunst zu verändern und erneuern. Ganz deutlich wird ihre Trauer über die schrecklichen Auswirkungen des Krieges in ihrem 1917 herausgegebenen Zyklus „Hebräische Balladen“.
„Der Fels wird morsch, Dem ich entspringe, Und meine Gotteslieder singe… Jäh stürz ich vom Weg, und riesele ganz in mir, Fernab, allein über Klagegestein, Dem Meer zu. Hab mich so abgeströmt, Von meines Blutes, Mostvergorenheit. Und immer, immer noch der Widerhall, In mir, Wenn schauerlich gen Ost, Das morsche Felsgebein, Mein Volk, Zu Gott schreit.“ (Mein Volk)
Nach dem Krieg verbesserte sich die finanzielle Lage der Schriftstellerin kaum. Das lag auch an ihrer angeborenen Hilfsbereitschaft und Freigiebigkeit. So schrieb Lasker-Schüler viel mehr Bittbriefe für andere als für sich selbst, obwohl sie sich oftmals selbst in finanzieller Not befand. Zunehmend sah die Künstlerin den Grund ihrer Geldnot im ausbeuterischen Verhalten der Verleger. Sie vergleicht das Verhältnis von Künstlern und Verlegern in ihrer 1925 veröffentlichten Streitschrift „Ich räume auf! Meine Anklage gegen meine Verleger“ mit Knechten und dem Satan. Sie ruft ihre Künstlerkollegen auf:
„Organisieren wir uns doch wie die Arbeiter, machen wir unsere Kunst staatlich!“
Eine wichtige Einnahmequelle wurden neben ihren Schriften ihre Zeichnungen, die auch gefragt waren. Ausstellungen ihrer Kunstwerke führten zu Verkäufen und damit zu Einnahmen für Lasker-Schüler. Vor allem als ihr mittelloser Sohn 1925 an Tuberkulose erkrankte, half ihr diese Einnahmequelle für die Behandlung ihres Jungen. Dennoch starb Paul am 14. Dezember 1927.
„Immer wieder wirst du mir, Im scheidenden Jahre sterben, mein Kind, Wenn das Laub zerfließt, Und die Zweige schmal werden. Mit den roten Rosen, Hast du den Tod bitter gekostet, Nicht ein einziges welkendes Pochen, Blieb dir erspart. Darum weine ich sehr, ewiglich… In der Nacht meines Herzens. Noch seufzen aus mir die Schlummerlieder, Die dich in den Todesschlaf schluchzen, Und meine Augen wenden sich nicht mehr, der Welt zu, Das Grün des Laubes tut ihnen weh. Aber das Ewige wohnt in mir. Die Liebe zu dir ist das Bildnis, das man sich von Gott machen darf. Ich sah auch die Engel im Weinen, Im Wind und im Schneeregen. Sie schwebten…, In einer himmlischen Luft. Wenn der Mond in Blüte steht, Gleicht er deinem Leben, mein Kind. Und ich mag nicht hinsehen, wie der lichtspendende Falter sorglos dahinschwebt. Nie ahnte ich den Tod, Spüren um dich, mein Kind, Und ich liebe des Zimmers Wände, Die ich bemale mit deinem Knabenantlitz. Die Sterne, die in diesem Monat, So viele sprühend ins Leben fallen, Tropfen schwer auf mein Herz.“ (An mein Kind aus der Sammlung „Mein blaues Klavier“, publiziert 1943)
In den letzten fünf Jahren, die sie in Deutschland verbrachte, bevor sie 1933 in die Schweiz floh, lebte Else ein finanziell sorgenfreies Leben. Ihre Prosastücke und Gedichte wurden von der Öffentlichkeit honoriert, was sie schrieb, wurde ohne Einwand gedruckt. Sie war am Höhepunkt der Anerkennung, die ihr zu Lebzeiten zu teil wurde, angekommen. 1932 verlieh man der Schriftstellerin den Kleistpreis, die wichtigste literarische Auszeichnung zu Zeiten der Weimarer Republik. Die Reaktion der Presse auf die Entscheidung des Preiskomitees verdeutlichte jedoch die antisemitische Grundstimmung, die sich bereits in Deutschland breit gemacht hatte. Da die Schriftstellerin vor den Monaten der Machtergreifung Hitlers öffentlichen Beleidigungen und Tätlichkeiten ausgesetzt war, fühlte sich die bereits 64-Jährige ihres Lebens nicht mehr sicher. Deshalb verließ sie am 19. April 1933 ihr geliebtes Berlin und übersiedelte in die Schweiz. Die Jahre im Exil sind von Einsamkeit, Angst und der Suche nach Gott geprägt.
„Um meine Augen zieht sich die Nacht wie ein Ring zusammen. Mein Puls verwandelte das Blut in Flammen. Und doch war alles grau und kalt um mich. Oh Gott und bei lebendigem Tage, Träum ich vom Tod. Im Wasser trink ich ihn und würge ihn im Brot. Für meine Traurigkeit fehlt jedes Maß auf deiner Waage. Gott hör, in deiner blauen Lieblingsfarbe, Sang ich das Lied von deines Himmels Dach. Und wurde doch für deinen ewigen Hauch zu wach. Mein Herz schämt sich vor dir fast seiner tauben Narbe. Wo ende ich, o Gott, denn in die Sterne, Auch in den Mond sah ich, in alle deiner Früchte Tal. Der rote Wein wird schon in seiner Beere schal. Und überall die Bitternis in jedem Kerne.“ (Gott hör… aus „Der Wunderrabbiner von Barcelona“, 1932 publiziert)
Im März 1934 reiste sie auf eine Einladung der Übersetzerin Margret Pilavachi hin nach Alexandrien. Den Orient erlebte Else zunächst als faszinierende, bezaubernde Welt. Als sie im April für einen zwei Monate langen Aufenthalt nach Jerusalem weiterreiste, änderte sich ihre Ansicht hinsichtlich des exotischen Ostens. Die zerklüftete Landschaft Palästinas wirkte bedrohlich auf die Schriftstellerin. Sie vermisste die freundliche Natur ihrer Heimat. Doch die Herzlichkeit unter den Menschen in dem fremd wirkenden Land und die Harmonie zwischen den verschiedenen Kulturen begeisterten Else. Das Zusammenleben von Juden und Arabern, das die Schriftstellerin in ihrem illustrierten, 1937 publizierten Werk „Hebräerland“ thematisierte, entsprach dem Wunschbild Lasker-Schülers. Als sie von ihrer dritten Jerusalem-Reise 1939 in die Schweiz zurückkehren wollte, verwehrten ihr die Schweizer Behörden die Einreise, weshalb sie in Israel bleiben und von dort aus zusehen musste, wie sich die Nationalsozialisten ähnlich der mittelalterlichen Pest über ganz Europa hermachten. In ihrem 1940 entstandenen Werk „IchundIch“ rechnet sie mit dem Naziregime ab. Goebbels bezeichnete sie darin als „Vizekönig des Satans“, Hitler als „Antichrist und Antijud“.
In den 1940er Jahren gelangten Nachrichten über den Holocaust zu Lasker-Schüler. Sie verarbeitete den Schmerz über diese Kunde in zwei ihrer letzten Gedichte.
„Ein einziger Mensch ist oft ein ganzes Volk, Doch jeder eine Welt, Mit einem Himmelreich wenn, Er der Eigenschaften uredelste pflegt: Gott, Gott aufsprießen lässt in sich, Gott will nicht begossen sein, Mit Blut. Wer seinen Nächsten tötet, Tötet im Herzen aufkeimend Gott, Wir können nicht mehr schlafen in den Nächten“ (Ein einziger Mensch)
Ihr eigener Tod – so kann man ihren letzten Gedichten entnehmen – kommt für die Schriftstellerin nicht überraschend. Sie stirbt vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, vor dem Sieg über Hitler und seine skrupellosen Komplizen, die so viel Leid und Not über Europa, insbesondere über die europäischen Juden brachten.
In den letzten Lebensjahren gelingt es ihr trotz körperlicher Schwäche und des inneren Schmerzes, der von Heimweh und dem Gefühl der Einsamkeit und der Verlassenheit herrührte, einige ihrer ergreifendsten Gedichte zu verfassen.
„Ich halte meine Augen halb geschlossen, Graumütig ist mein Herz und wolkenreich, Ich suche eine Hand der meinen gleich, Mich hat das Leben, ich hab es verstoßen. Und lebe angstvoll nun im Übergroßen. Im irdischen Leibe schon im Himmelreich. Und in der Früh war ich blütenreich. Und in der Nacht froh aufgeschossen. Vom Zauber eines Traumes übergossen, Nun färben meine Wangen meine Spiegel bleich“ (Gedicht „Dämmerung“, eines von sechs Gedichten aus ihrem Nachlass)