Ein verwesend Geschlecht…
In seiner Aufsatzsammlung zur kritischen Kritik der Massenkultur entwarf der Schriftsteller und Wissenschaftler Umberto Eco 1964 zwei theoretische Menschentypen, einerseits den âIntegriertenâ, der sich in Einklang mit den gesellschaftlichen VerhĂ€ltnissen arrangiert hat. Auf der anderen Seite steht in Ecos Deutungsmodell der âApokalyptikerâ. Dieser Typus sei vom Andersdenken geradezu besessen und entwickle in seinen persönlichen Abgrenzungsstrategien eine oftmals intellektuelle Brillanz in der Ablehnung bestehender VerhĂ€ltnisse, die langfristig mitunter in die absolute ZerrĂŒttung der Persönlichkeit gleite.
Der Ăsterreicher Georg Trakl, der heute vor 100 Jahren verstorben ist, ĂŒberbrĂŒckte die kurze Entfernung zwischen Weltoffenheit und Weltekel in zĂŒgigen Schritten. Dabei schien die Welt ihn mit offenen Armen zu empfangen. Nach auĂen hin wohlbehĂŒtet und in Wohlstand aufgewachsen, entwickelte sich aus dem wilden und robusten Georg Trakl eine fantasiebegabte Leseratte, die durch Anleitung des elsĂ€ssischen KindermĂ€dchens bald flieĂend Französisch sprach und sich leidenschaftlich mit dem Sammeln von Briefmarken beschĂ€ftigte. Dazu korrespondierte der kleine Trakl mitunter auch in der damals beliebten Kunstsprache âVolapĂŒkâ.
Die Rolle des Sonderlings
Doch bereits in seiner frĂŒhen Jugend entwickelte er einzelgĂ€ngerische Tendenzen, besetzte wĂ€hrend seiner mittelmĂ€Ăig erfolgreichen Schulzeit die Rolle des Sonderlings, schrieb Gedichte und â das sollte zu seinem Schicksal werden â lernte den Rausch lieben. Alkohol und Chloroform, Opiate und Kokain wurden zu den Mitteln seiner Weltflucht. Wie der von ihm so geliebte Baudelaire suchte er nach dem âparadis artificielsâ, dem kĂŒnstliche erzeugten Paradies, welches hohe Ideale und Kunst mit der RealitĂ€t zu versöhnen vermochte. Doch Trakls Exkurse in die selbst gewĂ€hlte BetĂ€ubung gerieten zunehmend auĂer Kontrolle. Vollends aus der Bahn geriet Georg Trakl durch eine inzestuöse Liebesbeziehung zu seiner kleinen Schwester Gretl, die beide in einen Alptraum aus SchuldgefĂŒhlen, Flucht und Ausgrenzung stĂŒrzte. Der von seinen Ăngsten und SĂŒchten getriebene Trakl musste das Gymnasium ohne Abschluss verlassen und wĂ€hlte eine fatale Berufsausbildung: Er wurde Apotheker.
Zu literarischem Ruhm gelangte Georg Trakl durch seine ungewöhnlichen und dĂŒsteren Gedichte. Durch seine alles verschlingende LektĂŒre entwickelte er eine hochgebildete Philosophie des Verfalls und des kollektiven Niedergangs, die er in immer neuen Bildern auszudrĂŒcken versuchte. Das Dorf verwandelte sich in einen Ort des unterschwelligen Grauens, die Natur wurde ein farbenprĂ€chtiges Szenario des Untergangs und Liebe existierte nur in Dimensionen von Seelenqual und Blutschande. Seit 1908 in Wien ansĂ€ssig, âwo kalt und böse ein verwesend Geschlecht wohntâ, gelang dem Exzentriker tatsĂ€chlich der Anschluss an die literarischen Kreise der Hauptstadt. Der Theaterkritiker und Schriftsteller Hermann Bahr vermittelte das Zeitschriften-Debut Trakls im âNeuen Wiener Journalâ, neben einigen Kontakten zu jungen Zeitgenossen entwickelten sich persönliche Beziehungen zu Adolf Loos, Oskar Kokoschka und Karl Kraus. Ludwig von Ficker, Herausgeber der Halbmonats-Zeitschrift âDer Brennerâ, wurde zu Trakls gröĂtem Förderer und veröffentlichte viele seiner im Rausch entstandenen Gedichte, die an MorbiditĂ€t aber auch an Klasse gewonnen hatten. FĂŒr den getriebenen Dichter waren sie indes ein âinfernalisches Chaos an Rhythmen und Bildernâ. Der Tod seines Vaters stĂŒrzte Trakl ab 1910 in weitere AbgrĂŒnde der Verzweiflung, gefolgt von der Abreise seiner mittlerweile schwer suchtkranken Schwester nach Berlin. Zeitweise mittellos bettelte er sich durch seinen Bekanntenkreis, um seinen exorbitanten Alkoholkonsum zu finanzieren. Die persönliche Tragik seiner Untergangs-Visionen fand schlieĂlich ihre reale Entsprechung, als Europa in absolutem politischem Versagen 1914 den Ersten Weltkrieg heraufbeschwor.
Georg Trakl wurde als MilitĂ€rapotheker eingezogen und an die österreichische Ostfront versetzt. Hier wurde er in der NĂ€he von Grodek Zeuge der verheerenden Niederlage von Lemberg, der unzĂ€hlige Soldaten zum Opfer fielen. Mit vollkommen unzureichenden Mitteln ausgestattet, scheiterte der Dichter an der Aufgabe, hunderte Schwerverletzter zu versorgen und erlitt einen Nervenzusammenbruch, dem ein Selbstmordversuch folgte. Zur Beobachtung in ein MilitĂ€rkrankenhaus in Krakau ĂŒberstellt, erlag er dort am 3. November einer Ăberdosis Kokain. Georg Trakl wurde 27 Jahre alt. Sein VermĂ€chtnis ist wohl eine der verstörendsten Lyriksammlungen der deutschsprachigen Literatur, die gleichwohl ihre literaturgeschichtliche Rolle als Spiegel ihrer Zeit verdient. Mit dem Krieg hatte sich Trakls Vision der Menschheit erfĂŒllt, seine Aufgabe war erledigt, sein letztes Gedicht Grodek gewidmet. Drei Jahre spĂ€ter folgte ihm seine Schwester Gretl, 25-jĂ€hrig, mittellos und sĂŒchtig, durch einem Kopfschuss in Berlin.
Grodek
Am Abend tönen die herbstlichen WÀlder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darĂŒber die Sonne
DĂŒster hinrollt; umfĂ€ngt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen MĂŒnder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zĂŒrnender Gott wohnt,
Das vergossne Blut sich, mondne KĂŒhle;
Alle StraĂen mĂŒnden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grĂŒĂen die Geister der Helden, die blutenden HĂ€upter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen AltÀre,
Die heiĂe Flamme des Geistes nĂ€hrt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.