Mit aller Macht: Indira Gandhi
Am 31. Oktober 1984 – heute vor genau 30 Jahren – wartete der britische Schauspieler Peter Ustinov in Indien in einem Garten auf seine Interview-Partnerin. Niemanden Geringeres als die Premierministerin Indira Gandhi wollte er seinen Zuschauern präsentieren, die wohl mächtigste wie auch umstrittenste Frau des Subkontinents. Doch das Interview fand nie statt. Schüsse hallten über das Anwesen. Indira Gandhi war von zweien ihrer Leibwächter erschossen worden.
Der Name „Gandhi“ weckt gemeinhin Bilder vom gewaltlosen Widerstand und der Befreiung Indiens von der britischen Kolonialherrschaft durch Mahatma Gandhi. Doch bis auf den gewaltsamen Tod hatten der Unabhängigkeitskämpfer Gandhi und die Machtpolitikerin kaum etwas gemeinsam. Auch der Name beruhte nicht auf verwandtschaftlichen Beziehungen. Vielmehr ist dieser Familienname in der Kaste der Händler weit verbreitet, bedeutet er doch übersetzt „Gemüsehändler“. Allerdings wuchs die künftige Politikerin im direkten Umfeld des legendären Unabhängigkeitskämpfers auf.
Ihr Vater, Jawaharlal Nehru, auch Pandit Nehru genannt, hatte Seite an Seite mit Mahatma Gandhi als dessen Sekretär gegen die britische Herrschaft gekämpft. 1947 war er zum ersten Ministerpräsidenten des unabhängigen Indiens ernannt worden, ein Amt, welches er bis zu seinem Tod 1964 ausübte. Seine Tochter Indira genoss eine für indische Mädchen unübliche großzügige Bildung, die sie zu großen Teilen in Europa erlangte. Im Alter von 24 Jahren kehrte sie, mittlerweile Halbwaise, nach Indien zurück, wo sie Feroze Gandhi, einen Freund ihres Vaters heiratete. Das Eheglück hielt nicht lang. Indira Gandhi zog zurück in den Haushalt ihres Vaters und unterstützte seine Arbeit als Sekretärin und repräsentative Gastgeberin. In dieser Rolle knüpfte sie zahlreiche politisch hochrangige Kontakte und lernte die Grundlagen des Spiels um die Macht.
Noch unter ihrem Vater war Indira Gandhi 1955 zur Präsidentin der Kongresspartei gewählt worden, nach seinem Tod ernannte sie der neue Ministerpräsident Lal Bahadur Shastri zur Ministerin für Information und Kommunikation. In dieser Funktion bewies sie erstmalig ihre zupackende Art bei der Bewältigung von Krisen. Im Zweiten Kaschmirkrieg zwischen Indien und Pakistan reiste sie direkt an die Frontlinie, was ihr in der Öffentlichkeit den Ruf einbrachte, der einzige „echte Kerl“ im Kabinett zu sein. Als Shastri dennoch die Lorbeeren für sich beanspruchte, begehrte Indira Gandhi auf. Der überraschende Tod Shastris bot sich als einzigartige Chance, aus der zweiten Reihe der Politik an die Spitze vorzustoßen. In einem beispiellosen Wahlsieg errang sie am 18. Januar 1966 den Fraktionsvorsitz der Kongresspartei und am folgenden Tag schließlich das Amt des Ministerpräsidenten.
Ihr erster Erfolg war die Bewältigung der Lebensmittelknappheit, die sie mithilfe grundlegender Reformen im Versorgungswesen, dem Einwerben internationaler Hilfslieferungen und dem Einsatz industrieller Anbaumethoden in den Griff bekam. Dieser Schritt in der Entwicklung Indiens ist bis heute als die „Grüne Revolution“ bekannt. Der dritte Indisch-pakistanische Krieg um Ost-Pakistan, das heutige Bangladesh, bescherte der Ministerpräsidentin endgültigen Ruf als „Mutter der Nation“.
Doch unmittelbar im Anschluss holten ihre politischen Gegner zum Schlag gegen sie aus, als sie ihr nachweislich den illegalen Einsatz eines Staatsbeamten zu Wahlkampfzwecken anlasteten. Indira Gandhi drohte das Aus ihrer Karriere. Sie erwies sich aber als ungleich entschlossener als ihre Konkurrenten erwartet hatten. Am 26. Juni 1975 rief sie den nationalen Ausnahmezustand aus. Ihr Vorgehen im Schutz der so gewonnenen außerordentlichen Befugnisse war gnadenlos. Hunderte Oppositioneller wurden unter Arrest gestellt, die oppositionelle Presse ausgeschaltet und anstehende Wahlen mehrfach ausgesetzt. Sie selbst nannte sich scherzhaft „Great Dictator“, tatsächlich traf sie damit die Sache ziemlich auf den Punkt. Amnesty International schätzte die Zahl der politischen Gefangenen in den Jahren des Ausnahmezustands auf 110.000. Zwar führte das harte Durchgreifen Gandhis zu einem massiven Rückgang von Korruption, Schmuggel und sonstiger Kriminalität, doch politisch war dieser Kurs ohne Zukunft. 1977 wurde sie bei den schließlich durchgeführten Wahlen entgegen ihren Erwartungen abgewählt. Doch ihren glücklosen Nachfolgern gelang es nicht, Indien seine innenpolitische Stabilität zurückzugeben. 1980 gelang Indira Gandhi mit einer Abspaltung der Kongresspartei die Rückkehr ins Amt des Ministerpräsidenten. Doch ihr hartes Durchgreifen gegen lokale Unruhe sollte sich als fatal erweisen. Einem Aufstand der religiösen Gemeinschaft des Sikhs, der in der Besetzung des „Goldenen Tempels“ im Amritsar kulminierte, ließ Gandhi mit militärischer Gewalt niederschlagen. Mehr als 2000 Sikhs starben in den Gefechten. Indira Gandhis Ermordung durch ihre Leibwache, zwei gläubige Sikhs, war eine direkte Reaktion auf die Militäroperation. In den nachfolgenden Exzessen starben weitere Tausende Sikhs, sehr viel mehr Sikhs flohen aus Delhi.
Seit ihrem tragischen Ende streitet sich die Nachwelt um die Deutung ihrer Rolle für ihr Land. Den einen scheint sie als Heldin, den anderen als gnadenlose Alleinherrscherin. Was sie jedoch bewiesen hat war, dass eine Frau an der Spitze der Macht jedem männlichen Konkurrenten ebenbürtig sein kann. Für Indien und die bis heute andauernden Probleme hinsichtlich von Frauenrechten und Diskriminierung ist dies eine wichtige Botschaft. Und dass die Politik kein Quell von Moral und Integrität ist, dazu braucht es keine nachträgliche Verurteilung Indira Gandhis. Sie vertrat ihre Politikerkollegen, national wie international, damals wie heute, dort wie hier, exakt so, wie man es erwarten muss. Leider…
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