„Die Flucht ohne Ende“
So lautet der Titel einer Geschichte Joseph Roths, der vielleicht auch zu seinem eigenen Leben passt. Bekannt ist der Autor nicht nur für seine mehr als zehn Romane, unter denen „Hotel Savoy“ von 1924, das sechs Jahre später veröffentlichte „Hiob. Roman eines einfachen Mannes“, „Radetzkymarsch“ aus dem Jahr 1932 sowie der letzte zu Lebzeiten erschienene Roman, „Die Kapuzinergruft“, die berühmtesten sind. Roth machte in den 1920er-Jahren daneben auch Karriere als Journalist. Die Werke des Schriftstellers, der am 2. September 1894 im seinerzeit österreichisch-ungarischen und heute ukrainischen Brody zur Welt kam, berichten aus der kulturell und politisch umbruchreichen Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Seit jungen Jahren ohne seinen dem Schwachsinn verfallenen Vater und unter dem Schatten diesbezüglicher Schmach aufgewachsen, studierte Roth in Lemberg und Wien Germanistik und Philosophie, bevor er als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg zog. Er wurde vor allem beim militärischen Pressedienst eingesetzt.
Ohne das Studium abgeschlossen zu haben, schrieb er danach im Lauf der Jahre u.a. für die Wiener Zeitung „Der Neue Tag“, die „Frankfurter Zeitung“ und das „Prager Tageblatt“. Neben feuilletonistischen Beiträgen verfasste der teilweise als Auslandskorrespondent arbeitende Roth auch diverse Reiseberichte, darunter „Reise in Russland“ über seinen Aufenthalt in der Sowjetunion. Im Besonderen soziale Missstände und Benachteiligte, Unterschichten und Außenstehende waren Gegenstand der in ihrer sensiblen Detailliertheit und Ausführlichkeit von Anteilnahme getragenen Reportagen des in Österreich und Deutschland bekannten Journalisten Roth.
1922 heiratete er Friederike Reichler. Die vermutlich an Schizophrenie Erkrankte kam wenige Jahre später in stationäre psychiatrische Behandlung. 1940 wurde Friederike Roth in einer nationalsozialistischen Euthanasie-Anstalt ermordet.
Als Jude sah sich Joseph Roth zu Beginn der 1930er-Jahre zunehmend der Bedrohung durch den Nationalsozialismus ausgesetzt. Von seinem beruflich bedingten aktuellen Aufenthaltsort Berlin aus ging er 1933 ins hauptsächlich in Paris gefundene Exil. Dort wurde das Café le Tournon Stätte der in diesen Jahren auch quantitativ enormen künstlerischen Tätigkeit und des kollegialen Austauschs für den Dauergast des Hotels Foyot. Roth starb, geschwächt durch jahrelanges heftiges Trinken, im Jahr 1939 kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges in Frankreich. Dass dieser und mit ihm, wie er es sagte, die „Hölle“ drohte, hatte Roth schon früh erkannt.
In seinem literarischen Werk richtete Joseph Roth den Blick öfter auf eine verlorene Zeit, die mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende gegangen war. Im Ganzen weniger politisch-reaktionär als sehnsuchts-und wehmutsvoll erkannte der journalistisch-literarische Ethnograf der gewachsenen großen Städte wie Wien, Berlin und Paris im Ende der Donaumonarchie auch den Verlust der eigenen Kindheit und Heimat sowie die Vergänglichkeit der Dinge an sich. Bedrohlich empfundenen kulturellen und politischen Entwicklungen und Strömungen der Gegenwart, sozialer und moralischer Indifferenz oder totalitären Ideologien, begegnete Roth gerade im letzten Jahrzehnt seines Lebens mit einer Idealisierung oder Utopie kaiserzeitlicher Stabilität. Hatte er zu Beginn der 20er-Jahre noch mit Sozialismus und Sozialdemokratie sympathisiert, näherte sich Roth dabei den auf eine Wiederherstellung der österreichischen Monarchie sinnenden „Legitimisten“ an. Doch suchte er letztlich weniger die politische Aktion. Eher stand der detailreich-anschaulich schildernde und dabei durchaus auch die eigens ersehnte alte Ordnung analytisch betrachtende Autor und Journalist dem gesellschaftlichen Geschehen stets in einer zwar moralisierenden und mit-leidenden, aber distanzierten Beobachterrolle gegenüber. Der Niedergang des österreichischen Kaiserreichs, wie ihn auch „Radetzkymarsch“ anhand des Aufstiegs und Falles der Militärsfamilie Trotta erzählt, ließ sich vielleicht beklagen, war aber doch durch den Wandel der Kultur und der Individuen zu erklären. Der Blick auf Werden und Vergehen, Verlust und Suche des Schriftstellers Joseph Roth war nicht zuletzt ein melancholischer, die Flucht aus der Gegenwart in die nie dagewesene Vergangenheit eine ohne Ende.