Der „Simón Bolívar des Romans“
Er wurde als moderner Meister der Kurzgeschichte gefeiert, nicht weniger klangvoll ist der Titel eines „Simón Bolívar des Romans“, wie sein Schriftstellerkollege Carlos Fuentes ihn einmal nannte. Seine Schriften werden dem magischen Realismus oder dem Surrealismus zugeordnet. Mit derartigen Etiketten hätte er selbst vermutlich wenig anfangen können, sondern lediglich von fantastischer Literatur gesprochen. Surrealistische Elemente nutzte er nach eigenem Bekunden nur in kleinen Dosen, um die Realität des Alltags zu hinterfrage n. Titel wie „Die Autonauten auf der Kosmobahn“, die Erzählung eines verrückten Roadtrips von Paris nach Marseille, geben einen ersten Vorgeschmack auf die Welt dieses Autoren. Schon die Rahmendaten seines Lebens lesen sich außergewöhnlich: Julio Florencio Cortázar Descotte wurde am 26. August 1914 in Brüssel geboren. Sein Vater arbeitete in der damals von deutschen Streitkräften besetzten Stadt als Handelsattaché des argentinischen Staates. Als Reaktion auf den Krieg zog seine Familie in die neutrale Schweiz und später für kurze Zeit nach Barcelona. Erst Ende 1919 konnte Sie nach Argentinien zurückkehren.
Der kleine Julio war oft krank und verbrachte einen beträchtlichen Teil seiner Kindheit mit Lesen in seinem Bett. Seine Mutter brachte ihm in dieser Phase Jules Verne näher, den er zeitlebens verehren sollte. Der hochbegabte Junge qualifizierte sich bereits im Alter von 18 Jahren als Grundschullehrer und strebte später auch höhere Abschlüsse in Philosophie und modernen Sprachen an, schloss diese Studien aber nie offiziell ab. Dennoch wurde er 1946 an der Universität Cuyo in Argentinien zum Professor für französische Literatur ernannt. Nachdem der General und ehemalige Minister einer Militärregierung Juan Perón 1946 die Präsidentschaftswahl gewann, trat der junge Julio aus Protest von dieser Position zurück.
Ein Stipendium der französischen Regierung ermöglichte es ihm schließlich, sich in Frankreich als Übersetzer niederzulassen. Hier übersetzte er unter anderem Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe und Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“ ins Spanische, aber arbeitete auch verstärkt an seinen eigenen Schriften. Die Lektüre Poes inspirierte ihn spürbar, was sich nicht nur an der Vorliebe für Kurzgeschichten zeigt, sondern auch in der Zuneigung für das Groteske und Fantastische. Paris wurde zum Mittelpunkt seines Lebens und hier blieb er, bis sich die politischen Verhältnisse in Argentinien entspannten, praktisch kehrte er immer nur kurzzeitig in sein Heimatland zurück. Im Alter begann er sich linkspolitisch zu engagieren, Teile seines Schriftstellerhonorars spendete er für politische Kampagnen. Einer konkreten politischen Strömung hätte er sich aber nie zugeordnet, ebenso wie er mit literarischen Schubladen nichts anfangen konnte. 1981 verlieh ihm die französische Regierung die Staatsbürgerschaft, in sein Heimatland kehrte er zwar gelegentlich zurück, aber sein Lebensmittelpunkt blieb in Frankreich.
Die Methode seines Erzählens kann man am ehesten mit dem radikalen Zweifel vergleichen: In seinen eigenen Worten: „In meinem Schreiben gibt es immer ein Aufbegehren, nicht die Dinge als gegeben, als schicksalhaft zu akzeptieren; das gibt meiner Literatur einen fantastischen Zug.“ Sein Schreiben kann demnach als kreative Revolte begriffen werden, daher der Vergleich mit dem Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar. Es ist die Stimme eines Autoren, der zu vermeintlichen Zwängen und Vorbestimmungen nein sagt.
Cortázar starb am 12. Februar 1984 in Paris, die offizielle Todesursache lautet Leukämie. Es wird aber auch vermutet, dass er an einer HIV-Infektion, verursacht durch eine verunreinigte Blutkonserve, gestorben sein könnte. Julio Cortazár war nicht nur in der Literatur umtriebig. Er spielte von Kindesbeinen an Trompete und war ein hervorragender Jazzkenner. So widmete er seine Erzählung „Der Verfolger“ dem legendären Saxofonisten Charlie „Bird“ Parker. Inspirationen holte er sich auf vielerlei Art und Weise, so war er auch ein begeisterter Besucher von Boxklubs. Diese Erfahrungen sind in der Kurzgeschichte „Torito“ verarbeitet, dem Monolog eines Boxers im Kampf. Wer jetzt neugierig geworden ist und einmal die Originale lesen möchte, dem seien die gesammelten Schriften Cortazárs in einem Band ans Herz gelegt. Auf ca. 1000 Seiten bekommt man einen guten Einblick in sein Schaffen. Wer es weniger gewichtig mag, kann auch auf einen der kleineren Erzählbände zurückgreifen.