Entfaltung zur Humanität
Neben Johann Wolfgang von Goethe, Friederich Schiller und Christoph Martin Wieland gilt er als einer der Vertreter der Weimarer Klassik. Vor seiner Ankunft im deutschen Kulturmekka des späten 18. Jahrhunderts machte er mit schulischen und privaten Beschäftigungen als Lehrer an Orten wie Riga und Bückeburg Station. Ebenso war er als protestantischer Kirchenangestellter und Prediger tätig, hatte er doch in Königsberg eine Zeit lang Theologie studiert. Immer richteten sich Interesse und Studien Johann Gottfried Herders aber besonders auf Philosophie, Sprache, Literatur und Geschichte. Am 25. August jährt sich der Geburtstag der epochalen Geistesgröße zum 270. Mal.
Herders sprachphilosophische und literarische Perspektive hat eine kulturtheoretische Dimension. Denn der in Masuren geborene Spross eines Küsters war der Meinung, in der Volkspoesie, besonders in Märchen, Sagen und Liedern der einfachen Leute, käme ein spezieller Nationalcharakter zum Ausdruck. Hingen diese doch ihrerseits von den spezifischen kulturellen Bedingungen und historischen Kontexten ab, in denen die Menschen lebten. Vor diesem Hintergrund betätigte sich Herder selbst in der Sammlung und Übersetzung von Volksliedern aus unterschiedlichen europäischen Regionen.
Daran zeigt sich sowohl die empirische als auch die geschichtliche Ausrichtung des Herderschen Denkens, wie sie seine berühmten Arbeiten „Über den Ursprung der Sprache“ von 1772 und die ungefähr 10 Jahre später fertiggestellten „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ kennzeichnen.
Zudem findet sich im Werk Herders eine politische Komponente, denn als Intellektueller verschloss er sich nicht den gesellschaftlichen Verhältnissen und diesbezüglichen Ungleichheiten. In seinen Augen war einerseits eine Besonderheit und Verschiedenheit und andererseits eine wertmäßige Gleichheit aller Menschen und Völker gegeben. Und dem gerecht zu werden sowie die allgemeinmenschliche Anlage der „Humanität“ in den Individuen zu entfalten, bedeutete für Herder nicht zuletzt, ihre Bildung zu ermöglichen und den kulturellen Horizont der Leute zu erweitern. Diesen Problemen widmen sich speziell die in den 1790er-Jahren entstandenen „Briefe zur Beförderung der Humanität“.
Immer waren die Überlegungen und Anschauungen Herders von einer entschiedenen Absicht zur Lebensnähe, einer vom Gebot der Toleranz begleiteten Betonung des Besonderen und Originären sowie dem Prinzip der Entwicklung und Entfaltung der Dinge –des Individuums, der Menschheit oder der Nationen– hin zu ihrer Eigenart und Glückseligkeit geleitet. Damit wurde er zu einem Vorreiter und Impulsgeber der bewegten literarischen Strömung des „Sturm und Drang“, die nach dem Rationalismus und Universalismus der Aufklärung Empfindsamkeit und Freigeistigkeit fokussierte und dabei in einen regelrechten Persönlichkeits- und Geniekult mündete.
Der pädagogisch ambitionierte Philosoph Herder befasste sich während seiner rund drei Jahrzehnte in Weimar auch konzeptionell und praktisch mit dem Schulwesen. Dass es ihn dorthin verschlug, hatte auch mit einem Bekannten zu tun, der bereits in Weimar residierte und Herder bei den örtlichen Autoritäten empfahl. Dichterfürst Goethe und der neue Inhaber des kirchlichen Amtes des „Generalsuperintendenten“ hatten sich einige Jahre zuvor in Straßburg kennengelernt, wo sich Herder insbesondere wegen der Behandlung einer chronischen Augenkrankheit aufgehalten hatte.
Seine Gattin Caroline kannte er seit einem Aufenthalt in Darmstadt. Mit ihren Kindern lebten die beiden im Weimarer Pfarrhaus, bis Johann Gottfried Herder am 18. Dezember 1803 starb.
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