Schottlands Sieg für die Unabhängigkeit: Die Schlacht von Bannockburn 1314
Wer sich in die Geschichte des europäischen Mittelalters vertieft, entdeckt bald ein zentrales Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Geschicke aller Länder zog. Der Versuch, eine Zentralgewalt zu entablieren, stieß stets auf die Anstregungen lokaler Fürsten, ihre Unabhängigkeit zu bewahren – oder sich selbst nach dem Königsthron zu strecken. Auch in starken und gefestigten Monarchien kamen diese Bestrebungen nie zur Ruhe. War es jedoch einem Herrscher gelungen, seine Herzoge in die Lehensabhängigkeit zu bringen, vermochte er sein Herrschaftsgebiet leicht auszudehnen, und damit auch Anreize für seine Fürsten zu schaffen, ihm treu zu bleiben. Gemeinsame Beute aufzuteilen, war schon immer wesentlicher Bestandteil germanischer Kultur gewesen.
Griffen derart in Zielen und Begehrlichkeiten geeinte Königreiche nach traditionell gesprägten Stammes- oder Clangebieten, war der Ausgang der Auseinandersetzung meist vorprogramiert. Lokalkönige wurden einer nach dem anderen geschlagen, bis das gesamte Gebiet dem neuen Herrscher zugefallen war, der dann seine Lehensträger als Fürsten über die neuen Domänen einsetzte.
Das England des Mittelalters hatte mit Edward I. (1239-1307) einen der durchsetzungsfähigsten Herrscher seiner Zeit. Mit unermüdlichem Einsatz und äußerster Härte hatte dieser König seine Feinde im eigenen Lande bekämpft und war dann an die Ausbreitung des englischen Machtbereits geschritten. Von 1276 bis 1283 unterwarf Edward das im Westen gelegene Wales. Diese machtpolitisch wenig gefestigten Berglande mit ihren vielen unabhängigen Lords hatten gegen die vereint schlagenden Engländer keine Chance. Edward bot Armeen von gewaltiger Größe auf und scheute keine Kosten, Wales planmäßig mit einem Netz an Zwingburgen zu überziehen – bis an den Rande des Staatsbankrotts.
Doch waren die Waliser nicht wehrlos. Offene Feldschlachten vermeidend, leisteten die gefürchteten walisischen Bogenschützen in schnellen, lokal begrenzten Guerilla-Attacken heftigen Widerstand. Die englische Reiterei war dieser Taktik gegenüber ziemlich machtlos. Edward erkannte dies und tat etwas sehr Kluges: Er machte sich diese Qualitäten zu eigen und integrierte die Waliser mit ihren Langbögen in sein Heer. Dieser Schachzug muss als historisches Ereignis bewertet werden, sollten die englischen – ursprünglich natürlich walisischen – Bogenschützen doch im Verlauf des Mittelalters zum Schrecken der europäischen Ritter werden.
Doch Edward zog es vorerst nach Norden. Als Schiedsrichter in einen schottischen Machtkampf berufen, sah er die Chance, einen ihm gefälligen Vasallenkönig einzusetzen, der die Clans und Stämme des Nordens zu seinem Nutzen einen sollte. Mit seinem Kandidaten John Balliol sollte der englische König jedoch bald die Zuverlässigkeit der Schotten gegenüber der englischen Krone kennenlernen. Als Edward um Truppen für einen Feldzug gegen Frankreich bat, lautete die Antwort schlicht: nein.
In Folge dessen marschierte Edward mit gewaltiger Heeresmacht nach Schottland und musste feststellen, dass die Schotten erbitterte Gegner waren, sofern sie sich denn zum gemeinsame Handeln durchringen konnten. In wechselhaften Schlachten fanden viele Engländer den Tod. Die Schotten kämpften in einer klassischen Formation, dem Schiltron. Diese Gewalthaufen aus Spießträgern vermochten sich erfolgreich angreifender Reiter zu erwehren, solange sie ihre Disziplin aufrecht erhielten. Brachen diese Igel-Aufstellungen jedoch auseinander, waren sie leichte Beute für die englischen Ritter. Zwar war es Edward gelungen, nominell seinen Herrschaftsanspruch über Schottland durchzusetzen, faktisch blieb das Land jedoch ein Unruheherd.
In dieser Konstellation wechselte das Schicksal die Seiten. Während nach dem Tode Edward des I. sein wenig durchsetzungsfähiger Sohn als Edward II. den Thron bestieg, gelangte in Schottland ein Mann von unzweifelhaften Qualitäten zum Zuge. Robert the Bruce – ein ferner Nachfahre König Davids I. von Schottland – hatte sein Leben lang unermüdlich gegen die Engländer gekämpft. Ihm gelang es in fortwährenden Kriegszügen, alle schottischen Konkurrenten in die Schranken zu weisen und darüber hinaus sogar deren Respekt zu gewinnen. So konnte er seinen Befreiungskampf gegen die Invasoren aus dem Süden über die Jahre mit immer stärkeren Verbänden führen, bis es am 23. und 24. Juni 1314 schließlich zu einer entscheidenen Schlacht bei Bannockburn kam.
Edward II. von England war von der englischen Besatzung Stirling Castles um Hilfe gerufen worden, da diese vom Bruce belagert wurde. Die Armee aus dem Süden war den Schotten zahlenmäßig weit überlegen, doch mangelte es dem jungen Monarchen an jenen Fähigkeiten, die seinen Vater einst zum gefürchteten „Hammer der Schotten“ hatten werden lassen. Wieder stellten sich die vereinten Schotten in ihren Schiltrons auf und warteten darauf, die Angriffe der Engländer zurückschlagen und diese so zermürben zu können. Das einzig Richtige für den englischen König wäre gewesen, diese dichtgedrängen Haufen von Spießträgern mit seinen walisischen Bogenschützen zu attackieren, bis die schlecht gepanzerten Schotten die Nerven und damit die Disziplin verlören. Stattdessen erfolgten vereinzelte Kavallerieattacken, die sämtlich an den Speerreihen Roberts zerbrachen. Erst am zweiten Tag versuchte Edward die Schotten durch seine Bogenschützen zu vertreiben, doch die leichte schottische Reiterei trieb die allein wehrlosen Schützen auseinander. Auch an diesem Punkt zeigte sich die taktische Unfähigkeit des Engländers, da er seine Fernwaffen nicht ausreichend durch Infanterieeinheiten gedeckt hatte. Als die Schiltrons schließlich vorrückten und zum Angriff übergingen, verlor das englische Herr restlos den Zusammenhalt. Mangelnde Führung und Disziplin unter den Engländern führten zu einem Massaker an den planlos agierenden Truppen, dem sich Edward II. durch Flucht entzog.
Robert the Bruce wird bis heute als schottischer Nationalheld gefeiert. Nach Bannockburn wurde erstmals eine offizielle Grenze zwischen England und dem unabhängigen Schottland beurkundet. Freilich sollte der Erfolg der Schotten nicht von langer Dauer sein. Der Sohn des schwachen englischen Königs,Edward III., ließ die Balance militärisch wieder zugunsten der Engländer zurückschnellen. Die Herrschaft über Schottland vermochte er indes nicht zurückzugewinnen, da Edward III. andere Ziele hatte und stattdessen auf dem Kontinent zum gefürchtetsten Gegener der Franzosen wurde. Roberts Sohn David II. handelte eher glücklos und endete nach einer verheerenden Niederlage gegen die Engländer und persönlicher Gefangennahme nominell als englischer Vasall, und Schottland wurde wieder einmal von inneren Machtkämpfen zerrüttet. Erst unter den Stewarts wurde der Kampf gegen den südlichen Nachbarn wieder entschlossen aufgenommen.