Wegbereiter des Russischen Realismus
Alexander Sergejewitsch Puschkin starb nach einem Duell. Es war im Jahr 1837, und er war keine 40 Jahre alt. Die Prosa, Poesie und Dramatik des hochverehrten russischen Dichters waren empfindsam und hellwach, aber in Fragen und vor allem in Streitigkeiten um die Ehre war er zumindest am Ende seines Lebens äußerst angreifbar. Der am 6. Juni bzw. nach dem julianischen Kalender, der zu seiner Zeit in Russland noch galt, am 26. Mai geborene Moskauer kam aus einer adeligen Familie. Als privilegierter Schüler lernte er nicht nur die französische Sprache, sondern las auch europäische Schriftsteller und Philosophen. Er selbst sollte freilich nicht unbedingt Literat werden. Vielmehr war eine Beamtenlaufbahn im zaristischen Staatswesen geplant. Aber bereits Puschkins frühes, im jungmännlichen Alter verfasstes, vor allem lyrisches Werk fand nicht nur Gehör, es stieß wegen seiner liberalen Inhalte und Töne sowie der Bekanntschaft seines Verfassers mit Kritikern der zaristischen Herrschaft auch gleich auf Ablehnung. Mit der Folge, dass der schreibende Geck nicht nur zeitweise aus St. Petersburg, wo er eine Eliteschule besucht hatte, und Moskau verbannt wurde. Sondern auch, dass Puschkin zukünftig, bei allem literarischen Erfolg und einiger Bewunderung auch von aristokratischer Seite, von den autoritären Mächtigen mindestens aufmerksam beäugt wurde. Aus den Jahren jener Verbannung stammt unter anderem das Gedicht „Der Gefangene im Kaukasus“.
Als die 1830er-Jahre begannen, heiratete Puschkin Natalja Gontscharowa. Mit ihr hatte er vier Kinder, sie stammte aus einer reichen Familie, und – dies womöglich der fatale Punkt – sie wurde von den obersten Moskauer Kreisen geschätzt, wenn nicht sogar umworben. Am Ende waren es nämlich kursierende Spöttereien über angebliche Galane und Affären Nataljas, die den sich in einer paradoxen und nervenaufreibenden Situation zwischen Zensur und höfischem Leben bewegenden Puschkin zum tödlichen Duell – das auch nicht sein erstes war – trieben. Puschkins berühmtestes Werk ist wohl der über viele Jahre hinweg entstandene „Roman-in-Versen“ „Eugen Onegin“, den Peter Tschaikowski zu einer Oper verarbeitete. Sein bekanntestes Bühnenstück dürfte die Tragödie „Boris Godunow“ sein. Und auch mit diesen Arbeiten inspirierte Puschkin nach seinem Tod diverse russische Künstler unterschiedlicher Metiers: Über 100 Jahre später hielt „Lolita“-Autor Vladimir Nabokov es für notwendig und lohnend, das erstgenannte Werk mühevoll in englische Sprache zu übersetzen.
Der Komponist Modest Mussorgsky wiederum arbeitete mit dem Zaren-Drama „Godunow“, das sich dem Leben des gleichnamigen Zaren und den dynastischen Auseinandersetzungen um die Macht im russischen Reich an der Wende zum 17. Jahrhundert widmete, schon im 19. Jahrhundert für seine gleichnamige Oper. Teilweise, zum Beispiel von Fjodor Dostojewski, regelrecht mythisch als „Volks-“ oder auch „Nationaldichter“ überhöht, beschäftigte sich Puschkin in „Eugen Onegin“ auch mit dem alltäglichen Leben der Menschen unterschiedlicher Schichten in Russland, und er bezog dabei zudem eine alltägliche russische Sprache mit ein. Damit gelten speziell dieses Werk und sein Autor Alexander Puschkin grundsätzlich als wegbereitend für die erwachende „realistische“ russische Literatur des 19. Jahrhunderts mit ihren Protagonisten von Nikolai Gogol bis zu Dostojewski, Iwan Turgenew und Lew Tolstoi.