Der Vogel, den sein Nest beschmutzt
„Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten“
Karl Kraus
Was hätte er heutzutage für Unmengen an Material vorgefunden, und was hätte er sich darüber aufregen können! In der heutigen Zeit, wo alle alles sagen können, und dies jederzeit und allen zugänglich und sei es noch so obsolet und unbeholfen, wäre Karl Kraus wohl nie zur Ruhe gekommen. Eigentlich ein Liebhaber des Schönen, kämpfte er doch mit heiligem Zorn, gerechtem Hass und voller Wortgewalt gegen Dummheit, Intoleranz und Militarismus. Weit über das kleine Österreich hinaus leuchtete seine „Fackel“, die von ihm gegründete und später ganz allein gefüllte Zeitschrift, die am Ende mehr als 20 000 Seiten Umfang besaß. Ein wortgewaltiger Verehrer und Verfechter der deutschen Sprache, rieb er sich mit Leidenschaft an der Journaille, an den sogenannten Literaten, und besonders gern an Buch- oder Theaterkritikern: „Dabei macht der Zufallsruhm diese Leute, von denen jeder ganz dasselbe nicht kann wie der andere, aber nicht jeder es trifft, derart von sich besessen, dass es umso lauter schallt, je hohler der Raum ist, in dem so ein Ich wohnt.“ Es schallte immer laut, wenn Kraus seine bitterbösen, satirischen Pfeile verschoss und sein Köcher war stets gut gefüllt.
In inniger Feindschaft verbunden
Geboren heute vor 140 Jahren als Sohn eines jüdischen Papierfabrikanten im böhmischen Ji?ín, wächst Kraus in Wien auf, wohin die Familie zieht, als Karl drei Jahre alt ist. Nach der Matura beginnt er in Wien Jura zu studieren, danach Philosophie und Germanistik, schließt sein Studium jedoch nie ab. Stattdessen versucht er sich als Schauspieler, Regisseur und Vortragskünstler und ist mit Literaten wie Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal befreundet – von denen er sich in der Satire „Die demolierte Literatur“ später wieder distanziert, was ihm die ersten Feinde einbringt. 1899 gründet er seine Zeitschrift „Die Fackel“, in der er seiner scharfen Kritik freien Lauf lassen kann, was in der Folge zu etlichen Gerichtsprozessen führt, die einige der Angegriffenen, etwa der Theaterkritiker Hermann Bahr, gegen ihn anstrengen. Außerdem tritt er aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft aus und lässt sich 1911 katholisch taufen, wobei der Architekt und Architekturkritiker Adolf Loos sein Taufpate ist. Vier Jahre später tritt Kraus aber auch aus der katholischen Kirche wieder aus.
Ab 1909 erscheinen seine ersten Aphorismen auch in Buchform, ab 1910 beginnt Kraus zudem mit öffentlichen Lesungen, von denen er im Lauf der Jahre 700 abhalten wird. In „Heine und die Folgen“ kritisiert der Sprachkritiker entschieden das instrumentelle Verhältnis der zeitgenössischen Literatur zur Sprache, was einige Wellen schlägt. Der Erste Weltkrieg erfüllt Kraus mit Entsetzen, mit aller Macht schreibt er gegen die Kriegstreiber und Kriegsgewinnler an – was dazu führt, dass „Die Fackel“ mehrmals konfisziert wird. Dem Theaterkritiker Alfred Kerr, der unter Pseudonym kriegsverherrlichende Gedichte geschrieben hatte, wird Kraus in inniger Feindschaft verbunden bleiben.
Die glänzenden Aphorismen von Karl Kraus haben alle Zeiten überdauert und funkeln heute stärker denn je, auch wenn das berühmteste ihm zugeschriebene vermutlich gar nicht aus seiner Feder stammt: Denn das „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen auch Zwerge lange Schatten“ klingt so gut, dass es eigentlich nur vom Meister selbst stammen könnte. Gegen das Aufkommen des Nationalsozialismus schreibt er scharfsichtig an, verstummt jedoch bald nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. In der nur vierseitigen 888. Ausgabe der Fackel vom Oktober 1933 schreibt Kraus in einem Gedicht: „Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.“ Das volle Erwachen jener Welt musste er nicht mehr erleben: Am 12. Juni 1936 starb Karl Kraus nahezu mittellos in Wien an den Folgen eines schweren Herzinfarkts, die meisten seiner Einkünfte hatte er stets für gemeinnützige Zwecke gespendet. Zu seinem 100. Geburtstag 1974 gab die Österreichische Post eine Gedenkbriefmarke heraus.
Titelabbildung Karl Kraus: Foto von Charlotte Joël um 1930, wikimedia commons