Störe meine Wellen nicht!
Christiaan Huygens galt neben René Descartes und Isaac Newton als einer der führenden europäischen Naturphilosophen seiner Zeit. So leistete er auf den Gebieten der Astronomie, der Uhrmacherkunst und der Physik wertvolle Beiträge: Er entdeckte den Saturnmond Titan, erfand die Pendeluhr und schrieb dem Licht erstmals einen Wellencharakter zu. Heute feiert Christiaan Huygens seinen 385. Geburtstag und wir mit ihm.
Am 14. April 1629 in Den Haag geboren, wuchs Christiaan in einer sehr wohlhabenden und einflussreichen niederländischen Familie auf. Sein Vater Constantijn stand als Diplomat und Sekretär in den Diensten Friedrich Heinrichs von Oranien und seines Thronerben Wilhelms II., er besaß aber auch eine ausgezeichnete Reputation als Schriftsteller und Musiker. So verfasste er für ein gebildetes Publikum witzige und moralische Gedichte in sieben Sprachen, beherrschte virtuos das Spiel der Laute, der Viola, der Orgel und des Cembalos, und zählte René Descartes, Galileo Galilei und Peter Paul Rubens zu seinen Freunden.
Bis zu seinem 16. Lebensjahr erhielt Christiaan zusammen mit seinen vier Geschwistern Privatunterricht. Dabei wurde ihm eine ganzheitliche Ausbildung zuteil, die neben Sprachen, Rhetorik, Geographie, Geschichte, Mathematik und Logik auch Musik und Tanz, Fechten und Reiten beinhaltete. Der im Hause Huygens verkehrende Descartes zeigte sich schon damals von den Geometriekenntnissen des jugendlichen Christiaan zutiefst beeindruckt.
Im Mai 1645 begann dieser an der Universität in Leiden Jurisprudenz und Mathematik zu studieren, und wurde dort mit den neuesten Forschungsgebieten vertraut, namentlich den Arbeiten von Pierre de Fermat über Differentialgeometrie.
Als sein Bruder Lodewijk 1646 in ein Duell mit einem Kommilitonen verwickelt worden war, blieb ein Wechsel an das neugegründete Oranien-Kolleg zu Breda unausweichlich. Dort schloss er sein Studium im August 1649 ab, und trat in den diplomatischen Dienst des Grafen Ludwig Heinrichs von Nassau-Dillenburg. Während der Vater sich über den Werdegang des Sohnes ausgesprochen zufrieden zeigte, strebte dieser nach anderen Zielen. So verglich der französische Gelehrte Marin Mersenne den achtzehnjährigen Christiaan mit dem griechischen Archimedes, da er ein ebenso lebhaftes Interesse an der Mathematik zeigte.
Christiaan kehrte daher, in der Absicht sich ganz der Forschung zu widmen, nach Den Haag zurück. Seine „Theoremata de quadratura“ (1651), in denen er unter Verwendung archimedischer Methoden die angebliche Quadratur des Kreises eines seiner Zeitgenossen widerlegte, gelten als sein wissenschaftliches Debüt. Es folgten erste theoretische Studien zu sphärischen Linsen (1652-53), dann deren Herstellung und schließlich der Bau eines eigenen Teleskops (1655).
Dank dieses ausgeklügelten Instruments mit fünfzigfacher Vergrößerung entdeckte Huygens, dass der Saturn von einem dünnen und festen Ring – von Galilei noch als „Ohren“ bezeichnet – umgeben ist und mit Titan den ersten seiner Monde. Es folgten Beobachtungen des Orionnebels und anderer Sterne. Die Ergebnisse der Studien veröffentlichte er 1659 in seinem Werk „Systema Saturnium“.
Während seiner astronomischen Forschungsarbeit erkannte Huygens, dass deren Güte auch von einer präzisen Zeitmessung abhängt, und so sah er sich nach Alternativen zu federbetriebenen Uhren um. Das Ergebnis war die 1657 unter Anregung Mersennes entwickelte Pendeluhr, die hinsichtlich ihrer Genauigkeit als unübertroffen galt. Die Idee wurde aber bald mehrfach kopiert, obgleich er sich die Konstruktion unverzüglich hatte patentieren lassen. Ein Huygenssches Original kann heute noch im Boerhaave Museum in Leiden besichtigt werden.
Seine jahrzehntelange Grundlagenforschung auf diesem Gebiet fasste er in „Horologium Oscillatorium sive de motu pendulorum“ (1673) (die Pendeluhr oder über die Pendelbewegung) zusammen. Er löste darin das Problem der Brachistochrone, der Bahnkurve auf der sich ein der Schwerkraft unterworfener starrer Körper am schnellsten zu einem tiefer gelegenen Punkt bewegt, und zeigte damit, dass die Dauer einer Pendelschwingung von der Größe ihrer Amplitude abhängt. Als Erster leitete er die Formel für die Schwingungsdauer eines idealen Pendels her, bei der die Masse der Aufhängung, beispielsweise ein Faden, vernachlässigt und die Schwingungsweite als klein im Verhältnis zur Länge des Fadens angenommen wird.
Huygens wissenschaftlicher Ruhm gründet sich aber vor allem auf die von ihm entwickelte Wellentheorie des Lichts: Als der dänische Wissenschaftler Erasmus Bartholin 1669 an einem aus Island stammenden Kristall entdeckte, dass ein schräg auf die Oberfläche treffender Lichtstrahl von diesem doppelt gebrochen wurde, war die Fachwelt zunächst ratlos, denn mit der Vorstellung von Licht, als einem Bündel sich geradlinig ausbreitender Teilchenstrahlen, ließ sich dieses Phänomen nicht erklären. Auch Huygens untersuchte den isländischen Kalkspat näher, und veröffentlichte 1690 seine Beobachtungen im „Tractatus de lumine“ (Abhandlung über das Licht). Huygens wandte darin ein Verfahren an, dass heute in der Wissenschaft als Huygenssches Prinzip bekannt ist: Er ging davon aus, dass sich Licht wie eine Welle und mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet, und von jedem Oberflächenpunkt, an dem Lichtwellen auftreffen, neue Wellen, sogenannte Elementarwellen ausgehen, die sich überlagern und so die Erklärung für die Doppelbrechung liefern. Huygens fasste Licht noch als eine sich in Ausbreitungsrichtung schwingende Welle auf, vergleichbar mit einer an einem Ende angestoßenen, langgestreckten Spiralfeder. Heute weiß man, dass eine Lichtwelle senkrecht dazu schwingt. Dennoch stellte seine Arbeit eine wertvolle Grundlage für die inzwischen etablierte Theorie von der Wellennatur des Lichts dar.
Christiaan Huygens ließ sich aber auch zu Spekulationen hinreißen: So äußerte er sich in seinem posthum erschienenen „Cosmotheoros“ (1698) (Kosmologie) zur Existenz von extraterrestrischem Leben, was damals jedoch nicht ungewöhnlich war, nur enthielten seine Vorstellungen wesentlich mehr Details als die seiner Zeitgenossen. Ein Leben fernab der Erde werde von der Bibel weder bestätigt noch ausgeschlossen. Er erkannte, dass flüssiges Wasser eine der Grundbedingungen des Lebens darstellt und nicht auf allen Planeten in ausreichender Fülle vorhanden ist. Die große Distanz zwischen den Planeten sei von Gott beabsichtigt, damit auf ihnen befindliche Lebewesen keine Kenntnis voneinander erlangen könnten. Er hat aber wohl den ungeheuren technischen Fortschritt der Menschheit unterschätzt…