Mit sizilianischer Bauernehre
„Cavelleria Rusticana“ („Sizilianische Bauernehre“) von Pietro Mascagni zählt zu den berühmteren Werken der Operngeschichte. Andere Arbeiten des italienischen Komponisten sind zwar weniger bekannt. Aber als „One hit wonder der Oper“ muss man ihn deswegen nicht behandeln. Der berühmteste Vertreter des „verismo“ („Verismus“) kam am 7. Dezember 1863 in Livorno zur Welt. Mit musikalischen Tätigkeiten Geld verdienen konnte Mascagni nach seiner Zeit am Mailänder Konservatorium, das er ohne Abschluss verlassen hatte, durchaus. Aber völlig befriedigend war die Arbeit als Dirigent einer reisenden Operngruppe und als Leiter der Philharmonie von Cerignola zwischen 1885 und 1888 künstlerisch wahrscheinlich nicht. Mascagni hatte schließlich schon selbst komponiert, als er noch nicht einmal 20 Jahre alt gewesen war.
1889 allerdings gewann er mit der einaktigen Oper „Cavelleria Rusticana“ einen Wettbewerb des Verlegers Edoardo Sonzogno. Und danach passierte viel, und dies sehr schnell. Das Werk wurde nicht nur an italienischen, sondern auch an zahlreichen Opernhäusern Europas aufgeführt. Man spielte die Oper in amerikanischen Städten und auch in Buenos Aires. Ein Jahr nach der römischen Uraufführung im Mai 1890 war Pietro Mascagni schon ein angesehener und gefragter Komponist.
„Cavelleria rusticana“ war eine Sensation, beendete sie doch eine seit einigen Jahrzehnten währende innovationsarme Phase in der italienischen Oper. Giovanni Targioni-Tozzetti, den Mascagni seit seiner Kindheit kannte, und Guido Menasci hatten das Libretto geschrieben. Und zwar nach der Vorlage der gleichnamigen Geschichte von Giovanni Verga, einem Autor „veristischer“, d.h. „wahrer“ Literatur. Diese behandelte in realistischer Art und Weise alltägliche Situationen in „echten“ und dabei einfachen sozialen Verhältnissen. Und das tat auch die in einem sizilianischen Dorf spielende Oper: Sie erzählt von der Bäuerin Santuzza, die ihren geliebten Turridu der Untreue mit Lola, der Frau des Fuhrmannes Alfio, verdächtigt. Nachdem Santuzza Alfio von ihrer Ahnung berichtet hat, nötigt dieser Turridu zum Duell mit tödlichem Ausgang. Dem leidenschaftlichen Verhalten der Figuren und der ungeschönten, gewaltsamen Entfaltung der schlichten, aber speziell durch ihre sexuelle Aufladung machtvollen Geschehnisse entsprach die dramatische Intensität der Musik Mascagnis. Die klang in eher direkter und schmerzhafter Weise emotional und „wahr“ als dass sie elegant oder gar verspielt gewesen wäre. Und dabei ging Mascagni weiter als George Bizets 1875 in Paris uraufgeführte Oper „Carmen“. Was „reale“ und gegenwärtige Schauplätze und Figuren, sowie von eher körperlichen Leidenschaften getriebene Handlung betraf, hatte die in der internationalen Opernwelt allerdings schon in dieselbe Richtung gewiesen.
Wenngleich oft auch Giacomo Puccinis „Tosca“ dazu gezählt wird, ist neben Mascagni Ruggero Leoncavallo der bis heute prominenteste Komponist eines eigentlichen „Verismo“. Und sein „I Pagliaci“ („Der Bajazzo“) wird oft zusammen mit Mascagnis Hauptwerk gespielt. Es handelt sich dabei nämlich auch um eine kurze, einaktige Oper, die Leoncavallo ebenfalls bei Sonzogno eingereicht hatte.
Wie bei manchem Künstler waren „Cavelleria rusticana“ und ihr durchschlagender Effekt für Mascagni auf längere Sicht Segen und Fluch zugleich. Zwar konnte er eine weitere, arbeitsreiche und vielfältige Karriere auf seinem Operndebut aufbauen. Er wurde Leiter der Konservatorien in Pesaro, dem Geburtsort Gioachino Rossinis, und in Rom und dirigierte u.a. in Russland, den USA und Südamerika. Weitere Opern schrieb Mascagni auch. „L´amico Fritz“ („Freund Fritz“) und die 1899 uraufgeführte „Iris“ zum Beispiel. Aber im Ganzen verblaßten nachfolgende Arbeiten und ihre Rezeption im Vergleich mit seinem großen Meisterwerk.
50 Jahre nach ihrer ersten Aufführung hatte Mascagni noch über eine Studioaufnahme von „Cavelleria rusticana“ gewacht, bevor er 1945 im Alter von 82 Jahren in Rom starb.