Widerstand gegen die Diktatur
Wahrscheinlich war es ihr in die Wiege gelegt, dass sie zur Stimme der Unterdrückten wurde. Geboren am 20. November 1923 im heutigen Gauteng, damals Springs, Transvaal, gehörte sie zur weißen Minderheit in Südafrika. Innerhalb der weißen Minderheit, die bis in die neunziger Jahre hinein viel Unheil angerichtet hat, zählte sie zur Minderheit der Juden. Obgleich die aus England und Litauen stammenden Eltern sie weltlich erzogen und sie östlich Johannesburgs eine ruhige Kindheit in ausschließlich weißem Umfeld genoss, spürte sie früh, dass sie nicht richtig dazu gehörte. Das mag zum Teil auf den häuslichen Unterricht zurückzuführen sein, den sie wegen einer fälschlich diagnostizierten Herzschwäche lange vor der Mutter erteilt bekam. Doch erlebten Juden immer und überall, dass sie offen oder subtil ausgegrenzt wurden. Schon in ihren ersten literarischen Werken – Veröffentlichungen aus der Kindheit ausgenommen – beschäftigte sie sich mit den Folgen, die sicht- und unsichtbare Mauern für die Menschen auf beiden Seiten zeitigen, insbesondere vor dem Hintergrund der südafrikanischen Apartheidspolitik.
Nadine Gordimer beschränkte sich aber nicht auf die Rolle der beobachtenden und beschreibenden Intellektuellen. Sie beteiligte sich aktiv am Widerstand gegen die Diktatur der weißen Minderheit. Damit stieß sie nicht nur bei dieser auf Ablehnung. Auch eine stetig wachsende Zahl Schwarzer sah während der sechziger und siebziger Jahre in weißer Unterstützung den Versuch, eine geistige und psychische Abhängigkeit zu schaffen. Später setzten sich zwar die gemäßigten Politiker durch. Das Misstrauen begleitete Gordimer aber zeitlebens, sowohl auf weißer als auch auf schwarzer Seite.
Weltweite Anerkennung
Literarisch versuchte sie, die Grenzen zu überwinden. Ihre Romane, Kurzgeschichten und Essays fanden weltweit größere Anerkennung als in der Heimat. Dort steht sie zwar auf einer Ebene mit Nelson Mandela und Desmond Tutu – trotz anderer Hautfarbe. Den Alltag prägen aber jene, die lieber Ämter und Geld verteilen, statt die Ideale der Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit hochzuhalten. Nadine Gordimer begleitete denn auch die Aktivitäten des von ihr während des Verbots unterstützten Afrikanischen Nationalkongresses mit oftmals deutlich geäußerter Skepsis. Immerhin braucht sie im demokratisierten Südafrika keine Verfolgung mehr zu befürchten.
Auch mit nunmehr 90 Jahren zählt Gordimer zu den Aktiven, die öffentlich das Wort ergreifen. Eine enge Freundschaft verbindet sie seit mehr als 50 Jahren mit Günter Grass. Kennengelernt hatten sie sich, als Gordimer in den fünfziger Jahren die Heimat ihres Mannes besuchen wollte, des 1935 emigrierten Reinhold Cassirer. Ihre Kinder verließen Südafrika. Nadine Gordimer blieb und verfolgt kritisch Entwicklungen, die mitunter nach einer Stimme der Unterdrückten verlangen.