„Bravo Knirps, Du hast bestanden!“
Philosoph, libertärer Polit-Theoretiker, Widerstandskämpfer und Schriftsteller. Viele haben ihn als „Meister des Absurden“ ins Herz geschlossen, andere lieben den unbeugsamen, einzelgängerischen Intellektuellentyp, den er perfekt verkörperte. Seine Romane gehören zu den berühmtesten Werken der französischen Literatur. Böse Zungen behaupten, sein Roman „der Fremde“ sei die einzige Textgrundlage für viele Romanistik-Studien. Auch philosophische Essays aus seiner Feder wie „Der Mythos des Sisyphos“ und „Der Mensch in der Revolte“ sind epochal. Heute vor 100 Jahren wurde der Literatur-Nobelpreisträger Albert Camus in Mondovi in der Nähe von Algier geboren. Früh verlor der kleine Albert seinen Vater, der als Wehrpflichtiger eines Zuavenregiments zu Beginn des Ersten Weltkrieges tödlich verletzt wurde.
Seine Mutter konnte weder lesen noch schreiben. Nach dem Tod des Vaters zog die Familie zur Großmutter. Schon früh musste er einen eigenen Beitrag zum Unterhalt der Familie leisten. Später sollte sich Camus daran erinnern, dass dies kein Ort gewesen sei, sich philosophischen Fragen zu widmen. Da wenig über den Ursprung seiner Familie in Europa bekannt war, fühlte er sich wie „Der erste Mensch“ – so nannte er ein autobiografisch inspiriertes Romanfragment, das 1994 erst viele Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Beschrieben werden darin Erfahrung der Vaterlosigkeit und des Abgeschnittenseins von Familientraditionen. So ging es nicht nur dem kleinen Albert. Es ist ein eindrucksvolles Portrait der „pieds noirs“, das die Schattenseiten des kolonialen Lebens beleuchtet.
Das Talent des kleinen Albert wurde erkannt und gefördert. Er bereitete sich erfolgreich auf die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium vor. Sein Klassenlehrer überreichte ihm die Prüfungsergebnisse mit den Worten „Bravo Knirps, Du hast bestanden!“ Doch mit dem Aufstieg des kleinen Alberts kam ein Gefühl der Entfremdung hinzu: Das beschämende Gefühl von Armut – und auch die Scham, sich dafür geschämt zu haben. Er versuchte ab sofort, seine Herkunft zu verbergen. Als Fußball-Ass und nicht zuletzt aufgrund seines Aussehens gewann er schnell an Beliebtheit. Auf dem Gymnasium lernte er Latein und wird umfassend in der Geistesgeschichte unterwiesen. In diese Zeit fiel auch der erste Ausbruch der Tuberkulose beim jungen Albert. Sie wird ihn in seinem Leben immer wieder beeinträchtigen, aber auch sein philosophisches Nachdenken über Leben und Tod anregen. Studium und philosophische Praxis verbinden sich in Camus Werk auf einzigartige Weise.
Nach der Schule begann er ein Studium der Philosophie an der neu gegründeten Universität Algier. Er las Kafka, Dostojewski, Kierkegaard und vieles mehr. Camus begegnete dem Philosophen Jean Grenier, beide verband eine lebenslange Freundschaft. Seine Studien schloss er mit einer Arbeit über antike Philosophie ab. Es folgte eine ausgedehnte Reise durch Europa. In Prag machte der Kafka-Fan Camus lange Station. Dort fühlte er sich aber auch durch die Enge der Stadt sehr beengt. Zurück in Algier gab es schlechte Neuigkeiten. Es konnten keine weiteren Studienabschlüsse erworben werden. Die Agrégation, ein anspruchsvolles Examen im Wettbewerbsverfahren, galt als Eintritt für die Universitäts- und Lehrerlaufbahn. Albert wurde davon ausgeschlossen, denn er galt als zu schwach und kränklich für die körperlichen Anforderungen des Lehrerberufs. Der junge Absolvent schlug sich mit Nebenjobs als Reporter und Hilfsmeteorologe durch – ein damals durchaus beliebter Brotberuf für Philosophen.
Im Studium begann er, sich politisch zu engagieren. Gewalt- und Ideologiekritische Ideen und Visionen einer befreiten Gesellschaft sind der rote Faden seines Werkes. Es blieb nicht bei philosophischen Fingerübungen. Camus engagierte sich für anti-kolonialistische Initiativen und betätigte sich als Mitbegründer eines Arbeitertheaters. In dieser Zeit entsteht sein erstes Drama „Caligula“. Noch heute steht es im Spielplan von etablierten Theatern und Laien-Ensembles. Albert engagierte sich in der KP und verließ sie bald wieder. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich engagierte er sich im Widerstand. Unter einem Pseudonym wurde er Chefredakteur der sozialistischen Zeitschrift „Combat“. In dieser siedelte er auch nach Frankreich über. In der Nachkriegszeit setzte schließlich der lang ersehnte Erfolg ein. Zusammen mit Jean-Paul-Sarte wurde er zum Vordenker des Existenzialismus. Zwischen beiden Schriftstellern kam es 1951 anlässlich der Veröffentlichung von Camus libertärem Essay „Der Mensch in der Revolte“ zum Bruch. Der Erfolg blieb aus. Der Nobelpreis 1957 würdigte ihn als mutigen Schriftsteller, der sich den dringenden Gewissensfragen dieser Zeit widmete. Neuausbrüche seiner Krankheit in dieser Zeit beeinträchtigten weitere Projekte.
Von dem Geld, mit dem der Nobelpreis dotiert war, kaufte er sich ein Landhaus in der Provence, das er mit größter Liebe fürs Detail einrichtete. Kurz darauf, am 4. Januar 1960 starb er als Beifahrer bei einem Autounfall. Camus‘ 100. Geburtstag wird eingehend gefeiert. Pünktlich zum Geburtstag erscheinen neue Biografien, Essaybände und eine Neuausgabe seiner politischen Schriften. Frankreichreisende können sich auf eine Ausstellung in Aix-en-Provence freuen. Begleitet wird sie von Filmvorführungen, Diskussionsveranstaltungen, Aufführungen und Lesungen seiner Werke.