„Bring mich zum Staunen!“
„Die Schwierigkeit zu sein“: Unter diesem Titel erschien 1947 das autobiographisch geprägte Meisterwerk Jean Cocteaus, der als Dichter, Schriftsteller, Maler und Cineast wohl zu den vielseitigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts zählt und mit Größen wie Erik Satie, Pablo Picasso oder Igor Stravinsky freundschaftlichen Umgang pflegte. Ungeachtet seines Erfolges hat er sich aber dennoch zeitlebens als einen Leidenden empfunden. Als Jean Cocteau am 5. Juli des Jahres 1889 in einem Vorort von Paris als letztes von drei Kindern geboren wird, findet sein Genius sehr günstige Bedingungen vor: Vater Georges, ein angesehener Anwalt, zeichnet leidenschaftlich gerne und Großvater Athanase ist begeisterter Sammler und Musikliebhaber. Der kleine Jean tut es ihnen bald gleich, entwickelt sich aber zu einem nervösen Knaben, der oft kränkelt und einen Hang zu Capricen zeigt. Wenige Monate vor Jeans neunten Geburtstag erschießt sich der Vater aus bis heute ungeklärten Gründen, und erst im Jahr seines eigenen Todes vermochte Jean Cocteau darüber zu sprechen.
Während seiner Zeit am Gymnasium in Condorcet öffnet ihm der Verlust eines Freundes plötzlich die Augen und er fühlt sich fortan allem Schönen verbunden, selbst wenn die eigene Liebe dabei unerwidert bleibt. Seine Lehrer attestieren ihm Intelligenz, er gilt aber auch als unbeständig und konzentrationsschwach, lediglich in den Fächern Zeichnen, Turnen und Deutsch tut er sich hervor. Infolge häufiger Krankheit wird er der Schule verwiesen und besteht 1906 erstmals seine Abiturprüfung nicht. Sogar Privatunterricht zeigt keinerlei Wirkung, sodass er nach dem dritten Versuch aufgibt. Er schreibt lieber Gedichte und entwickelt sich bald zu einem schwärmerischen Theaterbesucher. Dabei lernt er den zu seiner Zeit bekanntesten Tragöden Edouard de Max kennen, der ihn zum Schreiben ermutigt, aber auch anbietet, eine Matinee im Théâtre Fémina für ihn zu organisieren, damit er Gelegenheit hat, seine poetischen Werke vorzutragen. Die Veranstaltung wird in akademischen wie literarischen Kreisen ein großer Erfolg.
Im Jahr 1909 lernt er Sergei Djagilew, den Impresario des Ensembles „Ballets Russes“, kennen, der ihn mit den berühmten Worten „Étonne-moi!“ (Bring mich zum Staunen!) für die literarische Umsetzung seines Genres gewinnen möchte. Cocteau schreibt daraufhin das Libretto des exotischen Balletts „Le Dieu bleu“. Zur gleichen Zeit begegnet er auch dem Komponisten Igor Stravinsky, der gerade an seinem Werk „Le Sacre du Printemps“ arbeitet. Während er diesem im Frühjahr 1914 in der Schweiz einen Besuch abstattet, vollendet er sein erstes Buch „Le Potomak“.
Obgleich für untauglich befunden, engagiert er sich im Ersten Weltkrieges kurzzeitig für das Rote Kreuz, kehrt aber bald wieder in das zivile Leben zurück. 1917 macht er die Bekanntschaft mit Pablo Picasso und sie beginnen in Rom mit der Vorbereitung des experimentellen Balletts „Parade“. Eric Satie komponiert die Musik, Leonide Massine übernimmt die Choreographie und Picasso entwirft Bühnenbilder sowie Kostüme. Der Erfolg bei der Premiere in Paris bleibt zunächst aus, erst einige Jahre später reüssiert das Stück.
Im Folgejahr lernt er den 16-jährigen Novellisten Raymond Radiguet kennen, und es entwickelt sich zwischen den beiden eine innige Freundschaft. Dieser übt fortan auf Leben und Werk Cocteaus einen sehr starken Einfluss aus. Als Radiguet 1923 an Typhus erkrankt und stirbt, sucht der unglückliche Jean seinen Schmerz mit Opium zu betäuben und gerät dadurch in eine langjährige Abhängigkeit. Im Verlauf seiner Entziehungskuren schafft er aber seine wohl bedeutendsten Werke, wie die Novelle „Les Enfants terribles“ (1929) und das Bühnenstück „Orphée“ (1950). 1930 wird Cocteaus erster Film, „Le Sang d’un poète“ uraufgeführt, der seine persönliche Mythologie kommentieren soll. Dieser wird, wie auch das wenige Jahre später geschriebene Theaterstück „La Machine infernal“ (1934), das den Ödipus-Mythos thematisiert, ein großer Erfolg.
In den nun folgenden 15 Jahren kommt Cocteaus schöpferische Tätigkeit beinahe zum Erliegen, da er erneut der Opiumsucht verfällt und sich aus dieser erst durch die Hilfe seines Freundes und späteren Lebenspartners, des Schauspielers Jean Marais, befreien kann. Mit dem Film „La Belle et la Bête“ (1945), in welchem Marais gleich in drei Rollen brilliert, gelingt ihm aber sofort ein erfolgreiches Comeback. Es folgt sein Meisterwerk „La Difficulté d’être“ (1947), das sich am Stil des Schriftstellers Michel de Montaigne anlehnt. Auch in „Orpheus“ (1949) führt Cocteau erneut Regie.
Dieses Jahr markiert einen bedeutenden Punkt in Jean Cocteaus Leben, da ihm mit der Aufnahme in die französische Ehrenlegion erstmals offizielle Anerkennung zuteil wird, und nur noch seine Berufung in die Académie française (1955) diese zu übertreffen vermag.
In den letzten Jahren seines Lebens widmet er sich zunehmend graphischen Arbeiten. So dekoriert er beispielsweise die Wände der Villa Santo Sospir in Saint-Jean-Cap-Ferrat (1950), die Kirche Nôtre-Dame-de-France in London, die Kapelle Saint-Blaise-des-Simples in Milly-la-Forêt (1959) und das Freilufttheater in Cap-d’Ail (1962). Außerdem erschien zu drei Gelegenheiten die Nationalfigur der „Marianne“ in seinem Design auf Briefmarken.
Trotz seiner schlechten Gesundheit bewältigt Jean Cocteau zeit seines Lebens ein enormes Arbeitspensum. Am 11. Oktober 1963, heute vor fünfzig Jahren, stirbt er an den Folgen eines Herzinfarktes. Er ist in Saint-Blaise-hors-les-Murs in Milly-la-Forêt beigesetzt und tröstet dort bis heute seine Nachwelt mit den Worten: „Je reste avec vous“ – Ich bleibe bei euch. Anatol Kraus