„Ungestüm wie ein singendes Tier“
Ihn live auf der Bühne singen zu hören, muss ein grandioses Erlebnis gewesen sein: von einem „Orkan namens Brel“ war in „Le Figaro“ zu lesen und „Der Spiegel“ klassifizierte ihn anlässlich eines Porträts als „empatisch und ungestüm wie ein singendes Tier“. Da war Jacques Brel, einer der ganz großem Chanson-Autoren und Sänger, allerdings schon auf Abschiedstournee unterwegs. Der Erfolg kam spät zu Brel: Nach einer unbeschwerten, wenn auch langweiligen Kindheit nahmen die Eltern den schlechten Schüler von der Schule: Er soll in der väterlichen Kartonagefabrik sein Auskommmen finden. Doch Jacques hat andere Pläne: In der Schule hat er zwar mehrere Klassen wiederholen müssen, aber auch eine Schultheatergruppe mitgegründet und bei den Pfadfindern erste eigene Lieder vorgetragen, zu denen er sich etwas unbeholfen auf der Gitarre begleitete. Es zieht ihn auf die Bühne und diesem Ruf muss gefolgt werden.
Zunächst treibt er sich mehr oder weniger erfolglos auf den Bühnen kleinerer Clubs in Brüssel herum, bis ihn ein Plattenmanager im Jahr 1953 nach Paris einlädt. Brel ergreift die Gelegenheit, verlässt Frau und Kinder und sucht den Erfolg in der französischen Hauptstadt. Doch der Erfolg lässt auf sich warten: „Ich habe lange debütiert, fünf Jahre lang“, erinnert er sich später. Mit „Quand on n’a que l’amour“ („Wenn man nur die Liebe hat“) erntet er 1956 erste Früchte, das Lied erreicht den dritten Platz der französischen Hitparade. Außerdem lernt er musikalische Mitstreiter kennen, die es ihm ermöglichten, sich mit ganzem Körpereinsatz auf der Bühne zu entfalten. Mit seinen Konzerten feiert er große Erfolge und im Jahr 1959 ist er bereits ein Star der französischen Chansonszene. Brel hat seine eigene Sprache gefunden, prangert voll Zorn die bürgerliche Scheinmoral an – und seine Lieder zünden sofort.
1961 feiert er Triumphe im „Olympia“ in Paris, das Orchester muss die Beifallsstürme quasi niederspielen, Brel tobt durch seine Auftritte und steht keinen Augenblick still auf der Bühne. Brel geht auf Welttournee – mit bis zu 30 Auftritten im Monat. Ab 1962 werden seine Chansontexte als Lehrmaterial an Schulen verwendet und 1964 kürt ihn die Londoner „Times“ zum „besten Chansonsänger der Welt“. Der Höhepunkt ist erreicht und Brel entscheidet sich überraschend, aufzuhören: Er will „kein alter Sänger“ sein, sein Publikum nicht betrügen und geht 1966 und 1967 auf ausgedehnte Abschiedstournee. Statt auf die Musik stürzt er sich nun ins Filmgeschäft, dreht an der Seite von Lino Ventura und auch zwei eigene, allerdings erfolglose Kinofilme. Auch auf die Bühne kehrt er noch einmal zurück, übersetzt das Musical „Man of La Mancha“, übernimmt die Hauptrolle und brilliert als Don Quijote.
Anfang der 70er-Jahre zieht er sich dann weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück und widmet sich seinen anderen zwei großen Leidenschaften: Der Segelei und der Fliegerei. Mit dem eigenen Flugzeug überquert er den Atlantik, außerdem plant er eine mehrjährige Weltumsegelung. Doch die Weltumsegelung muss abgebrochen werden, als bei Brel Lungenkrebs diagnostiziert wird. Seinen Wohnsitz hat er mittlerweile auf die Südsee-Insel Hiva Ova verlegt, auf der auch der Maler Paul Gauguin seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Dort findet er neue Inspiration und schreibt neue Chansons, die er im August 1977 in Paris einspielt. Die Platte trifft auf ein enormes Echo, bereits vor Auslieferung liegen mehr als eine Million Vorbestellungen vor.
Nur die belgischen Flamen fühlen sich verärgert, hat er ihnen doch – wieder einmal – ein garstiges Spottlied gewidmet und sie als „Nazis während der Kriege und Katholiken in der Zwischenzeit“ charakterisiert. Im Jahr 1978 musste Brel aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes seine Insel verlassen. Am 9. Oktober 1978 ist er in Paris gestorben. Nach wie vor ist er einer der führenden Repräsentanten des französischen Chansons, und verkauft – neben Edith Piaf – die meisten Musikalben in französischer Sprache. Zugleich ist er einer der in der Welt bekanntesten Belgier. Mehr als 150 seiner Chansons hat er selbst aufgenommen und unzählige namhafte Interpreten haben sie zudem in aller Welt bekannt gemacht.