Atomwaffen waren gefechtsbereit
Warnungen gab es zur Genüge. Die Geheimdienste schlugen sie jedoch in den Wind. So deutlich waren die Kräfteverhältnisse 1967 gewesen, dass die Verantwortlichen den Gegner sträflich unterschätzten. Die Revanchedrohungen wurden belächelt. Selbst die große Schutzmacht, die Vereinigten Staaten, sahen darin nur Wichtigtuerei. Dabei war die Demütigung 1967 derart deutlich ausgefallen, dass eigentlich jederzeit mit unüberlegten Handlungen gerechnet werden musste.
Am 5. Oktober 1973 teilte dann ein ägyptischer Mossad-Agent mit, der Angriff auf Israel erfolge am Folgetag um 18 Uhr. Dieses Mal handelten die Israeli, wenn auch nur halbherzig. Verteidigungsminister Moishe Dajan lehnte sowohl die Generalmobilmachung als auch den möglichen Präventivschlag ab. Israel dürfe nicht als Aggressor dastehen, da ansonsten die Unterstützung durch die USA verloren gehen könne. Immerhin ließ Ministerpräsidentin Golda Meir dann die Mobilmachung von bis zu 100.000 Reservisten zu. Als die Kampfhandlungen dann am 6. Oktober um 14 Uhr einsetzten, war die israelische Armee aber dennoch nur bedingt einsatzbereit.
Der Angriff erfolgte von zwei Seiten. Im Norden durchbrachen die Syrer die Verteidigungslinien unterhalb der Golanhöhen und stießen ins Jordantal vor. Im Süden durchschnitten ägyptische Einheiten mit von Deutschland und Großbritannien gelieferten Hochdruckwasserpumpen den Verteidigungswall am Suezkanal, überquerten diesen und drangen in den Sinai ein. Syrer und Ägypter waren von der Sowjetunion mit modernsten Waffensystemen ausgerüstet worden. In den ersten Tagen starben hunderte israelischer Soldaten, weitere gerieten in Gefangenschaft. Zudem verlor die Armee rund 500 Panzer und etwa 50 Flugzeuge. Die Lage war so prekär, das Meir den Befehl gab, 13 Raketen des Typs Jericho mit 500 Kilometern Reichweite gefechtsklar zu machen — bestückt mit Atomwaffen.
Schneller als von ihnen selbst erwartet, kamen die Israeli aber wieder in die Offensive. Maßgeblich trug dazu die Entscheidung bei, die Luftwaffe von der Südfront abzuziehen und im Norden einzusetzen. Im Jordantal gebe es Siedlungen, im Sinai nur Sand, argumentierte Dajan. Schnell gewann die Luftwaffe die Lufthoheit auch über Syrien. Dank schneller Waffenlieferungen der USA konnte die Armee bis zum 9. Oktober den Angriff zurückschlagen und stand kurz darauf vor den Toren von Damaskus. Da die Sowjets mit zügigen Waffenlieferungen überfordert waren, musste der syrische Diktator Hafiz al-Assad den Kreml um Vermittlung eines Waffenstillstandes bitten.
US-Außenminister Henry Kissinger verzögerte indessen die Gespräche, da ihm längst klar war, dass Israel spätere Verhandlungen aus einer Position der Stärke heraus führen würde, wenn der Krieg nicht sofort ende. Zudem lehnte Anwar el Sadat, der ägyptische Diktator, einen Waffenstillstand kategorisch ab, da er gemeinsam mit seinem Generalstab den Vormarsch der ägyptischen Truppen in der Wüste so falsch deutete, dass die Generäle sogar zuließen, dass große Truppenteile den Schutzschirm sowjetischer Raketen verließen. Als sich die Israeli wieder verstärkt der Südfront zuwandten, kam es am 14. Oktober zu einer gigantischen Panzerschlacht, die Historiker mitunter als die größte Panzerschlacht seit dem Zweiten Weltkrieg definieren. Zwei Tage später überquerten die Israeli den Suezkanal und marschierten auf Kairo zu. Zudem gelang es ihnen, die 20.000 Mann starke dritte ägyptische Armee einzukesseln. Nunmehr bat auch Sadat Leonid Breshnev um Vermittlung eines Waffenstillstandes.
USA und Sowjets lancieren gemeinsam eine Resolution des Weltsicherheitsrates. Diese führt noch nicht zu einem Ende der Kampfhandlungen, auch wenn es wiederholt zu zeitweisen Waffenstillständen kam. Die Resolution 340 vom 25. Oktober beendete den Krieg dann. Kurz darauf kam es erstmals seit 1948 zu direkten Gesprächen zwischen Israeli und Ägyptern, die sich über die Versorgung der Soldaten der eingeschlossenen dritten ägyptischen Armee verständigten. Ein kleines Fundament des Vertrauens war damit gelegt. Kissinger nutzte es für seine legendäre Pendeldiplomatie. Als dann am 19. November 1977 Sadat nach Jerusalem flog und vor der Knesset sprach, endete zumindest an der israelischen Südgrenze das Zeitalter der Feindseligkeiten. Im Norden war und ist man bis heute nicht soweit. Obwohl die Syrer mit rund 3000 Toten — Israel 2521, Ägypten etwa 2000 — die größten Verluste zu beklagen hatten, lehnte Assad Friedensgespräche mit Israel rundweg ab.
Der israelischen Gesellschaft versetzen die Ägypter und Syrer mit ihrem Angriff einen schweren Schock. Erstmals stand das Land vor einer Niederlage. Die Führungen der Geheimdienste und der Armee trugen zwar die Hauptschuld an der knapp vermiedenen Katastrophe. Die Regierung musste aber zurücktreten. Die Arbeiterpartei verlor die nächsten Wahlen. Da am 6. Oktober 1973 nach jüdischem Kalender der höchste jüdische Feiertag, der Versöhnungstag, hebräisch Jom Kippur, stattfand, spricht man heute gewöhnlich vom Jom-Kippur-Krieg.