Wenig vertrauenserweckende Theorie
Sein Leben endete in einer Tragödie. Als Erfinder, vor allem als Tüftler hatte er sich bis heute andauernden Ruhm erworben; nur wenigen ist es vergönnt, dass ihr Name zum Gattungsbegriff wird. In geschäftlichen Dingen agierte er aber arg unglücklich. Daher gelang es ihm nicht, von seiner großen Erfindung langfristig zu profitieren. Vielmehr drohten Verarmung oder sogar Privatkonkurs — die Details sind umstritten. Wahrscheinlich wählte er deswegen den Freitod.
Am 29. September 1913 ging Rudolf Diesel an Bord des Postdampfers „Dresden“, der ihn von Antwerpen nach Harwich bringen sollte. In London fand ein Treffen des Unternehmens Consolidated Diesel Manufacturing statt, an dem der Erfinder des Selbstzünders teilnehmen sollte. Nach dem Abendessen, das er in guter Stimmung eingenommen hatte, kehrte Diesel nicht in seine Kabine zurück. Die Suche nach dem Vermissten blieb fast zwei Wochen lang erfolglos. Dann entdeckte die Besatzung des niederländischen Regierungslotsenbootes „Cortsen“ am 10. Oktober die Leiche eines im Wasser treibenden Mannes. Eine Bergung der Leiche war wegen des hohen Seeganges und des Zustandes des Körpers unmöglich. Immerhin gelang es der Besatzung, der Kleidung des Toten einige Gegenstände zu entnehmen. Das Brillenetui, die Pastillendose, das Portemonnaie und das Taschenmesser stammten aus dem Besitz Diesels, erklärte sein Sohn Eugen. Die Umstände des Todes blieben umstritten; ein Unfall wurde ebenso als Alternative zum Suizid genannt wie Mord, zumal, wie so oft in solchen Fällen, manche Indizien entsprechende Deutung erfuhren. Die schwierige bis aussichtslose wirtschaftliche Lage Diesels macht aber einen Freitod äußerst wahrscheinlich.
Rudolf Christian Karl Diesel kam am 18. März 1858 in Paris zur Welt. Sein Vater hatte 1848 Augsburg verlassen, nachdem ihm in der französischen Hauptstadt seine künftige Gemahlin begegnet war. Bereits mit zwölf Jahren erhielt Diesel 1870 seine erste Auszeichnung, eine Bronzemedaille der Société Pour L’Instruction Elémentaire. Kurz darauf musste die Familie Frankreich verlassen — der deutsch-französische Krieg war ausgebrochen — und zog nach London. Am 1. November desselben Jahres fuhr Diesel dann allein nach Augsburg, um bei seinem Onkel zu leben. Dieser unterrichtete an der Königlichen Kreis-Gewerbeschule, die fortan auch Rudolf Diesel besuchte. Spätestens dort entschied Diesel, Ingenieur zu werden, „Mechaniker“, wie man seinerzeit sagte. Die Gewerbeschule schloss er 1873 als Jahrgangsbester ab, die Ausbildung an der Industrieschule, einem Vorläufer der heutigen Augsburger Universität, zwei Jahre darauf, wiederum als Erster. Zwischen 1875 und 1880 studierte er an der Technischen Hochschule in München und legte schließlich die beste Abschlussarbeit seit der Gründung der Hochschule vor.
Sein Interesse galt der Thermodynamik. In der Kältemaschinenfabrik von Carl Linde, heute ein Weltkonzern, gelang es ihm schnell aufzusteigen. Doch schon während des Studiums hatte er entschieden, eine „ideale Wärmekraftmaschine“ bauen zu wollen. Er kannte die Theorie des idealen Kreisprozesses, die der französische Physiker Nicolas Léonard Sadi Carnot entwickelt hatte. Ferner waren ihm natürlich die Motoren seiner Zeit vertraut, darunter der Verbrennungsmotor Nicolaus August Ottos. Diesels Theorie war allerdings wenig vertrauenserweckend, plante er seinen Motor doch mit Drücken, die den Fachleuten als unbeherrschbar galten.
Sein erstes Patent für die „Arbeitsverfahren und Ausführungsart für Verbrennungsmaschinen“ erhielt er am 23. Februar 1892, ausgestellt am 28. des Monats. Im Folgejahr veränderte er die Theorie, nachdem der erste selbstgebaute Motor zumindest gezeigt hatte, dass Diesel auf dem richtigen Weg war. Nach Veröffentlichung des Buches „Theorie und Konstruktion eines rationellen Wärmemotors zum Ersatz der Dampfmaschinen und der heute bekannten Verbrennungsmotoren“ wurde der Generaldirektor der Maschinenfabrik Augsburg, Heinrich von Buz, auf Diesel aufmerksam. Buz holte ihn nach Augsburg, förderte fortan die Entwicklung des Motors finanziell und stellte Mitarbeiter ein, die Diesel zur Hand gingen.
Der schließlich erfolgreiche Motor, der 1897 funktionstüchtig war, wich in zahlreichen Details von den ursprünglichen Patenten ab, sodass Patentstreitigkeiten mit anderen Erfindern nur eine Frage der Zeit waren. Auch spätere Veränderungen, dank derer der Motor serienreif wurde, entsprachen nicht der von Diesel eingereichten Schutzschrift. Die Maschinenfabrik Augsburg baute den Motor und verdiente gut daran. Auch Lizenznehmer im In- und Ausland arbeiteten überwiegend erfolgreich. Diesel musste sich dagegen der Patenklagen erwehren. Die Prozesse kosteten ihn nicht nur reichlich Geld, sie zerrütteten auch Diesels ohnehin nach den langen Jahren unermüdlicher Arbeit angeschlagene Gesundheit. Mit der Anlage des Geldes, das er mit seinem Motor verdiente, hatte er zudem wenig Glück.
Den Einsatz des heute nach ihm benannten Motors in der Schifffahrt konnte er noch miterleben. Am Bau der ersten Diesellokomotive wirkte er mit; sie sollte sich nicht durchsetzen. In großem Stile wurde der Motor erst gebaut, nachdem weitere technische Lösungen vorlagen. Besonders von Bedeutung war die von Robert Bosch entwickelte Einspritzung. Für den Einsatz des Dieselmotors im Schienenverkehr schufen Ingenieure eine wirkungsvolle elektrische Kraftübertragung, derweil Hermann Föttinger das Strömungsgetriebe erfand. Im Alltag trug schließlich der Finanzminister entscheidend zum Durchbruch des Dieselmotors bei. Als die Mineralölindustrie im Zuge der Massenmotorisierung auf großen Mengen Schweröls — das Leichtöl oder Benzin ließ sich bestens verkaufen — sitzen zu bleiben drohte, senkte er die Mineralölsteuer für Diesel deutlich. Dabei blieb es bis heute, obwohl es längst keinen Grund mehr für die unterschiedliche steuerliche Belastung beider Kraftstoffarten gibt.
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