„Es geht mir nicht um Politik oder Poesie, sondern um die Menschenrechte“
40 Jahre nachdem Pablo Neruda am 23. September 1973 starb, wird in diesem Jahr noch einmal nach den Umständen seines Todes gefragt: Erlag der politisch engagierte chilenische Dichter, der im Jahr 1971 den Literaturnobelpreis erhielt, einem Krebsleiden, oder wurde er Opfer des brutalen Pinochet-Regimes?
Neruda kam am 12. Juli 1904 in Parral als Neftali Ricardo Reyes Basualto zur Welt. In den 20er-Jahren studierte er in Santiago de Chile. Danach wurde er aber nicht, wie angedacht, Französischlehrer, sondern Diplomat. In Asien, Argentinien und Mitte der 30er-Jahre dann in Madrid.
Gedichte schrieb er zu diesem Zeitpunkt schon lange. Bereits 1924 war der Gedichtband „Zwanzig Liebesgedichte und ein verzweifeltes Lied“ erschienen. Allerdings unter einem anderen Namen. „Pablo“ hatte der Autor wahrscheinlich vom Komponisten Pablo de Sarasate. Für den Nachnamen „Neruda“ könnte es zwei Quellen gegeben haben: Den tschechischen Dichter Jan Neruda, vielleicht aber auch die Violinistin Wilma Norman-Neruda, der de Sarasate einmal ein Werk gewidmet hatte.
Im Spanien der 30er-Jahre wurden nicht nur die literarischen Arbeiten Nerudas angesichts der politischen Entwicklungen und im Besonderen in Folge der Ermordung seines Freundes und Dichter-Kollegen Garcia Lorca durch Faschisten politischer. Nachdem er das Land als Gegner der Putschisten General Francos hatte verlassen müssen, wurde er, zurück in Chile, in den 40er-Jahren selbst Politiker. 1945 wurde Neruda zum Senator gewählt und trat der Kommunistischen Partei bei. Als heftigen Kritiker der Regierung Gabriel Gonzáles Videlas, die sich nach anfänglicher Zusammenarbeit von den chilenischen Kommunisten distanzierte und im weltpolitischen Kontext zunehmend in Richtung Westen orientierte, erklärte man ihn schließlich zum offiziellen Feind der Demokratie. Neruda floh aus Chile und fand politisches Exil in Europa.
1952 konnte er aber wieder nach Chile. Und zu dieser Zeit erschien auch der groß angelegte Gedichtzyklus „Canto General“ („Der Große Gesang“), der sich mit lateinamerikanischer Geschichte und Identität – im Besonderen im Licht der Kolonialisierung – befasst. Er gilt als Hauptwerk Pablo Nerudas.
Neruda fand aber nicht nur für das leid- wie würdevolle, beschwerliche Schicksal Chiles oder Südamerikas eine sinnliche, sowohl sensible als auch kraftvolle Sprache. Bei der Verleihung des Literaturnobelpreises nannte man ihn in Stockholm einen „Dichter der verletzten Menschenwürde“. In ähnlicher Weise begriff Neruda selbst sein Streben als gleichzeitig uneingegrenzt wie eindeutig ausgerichtet:„Es geht mir nicht um Politik oder Poesie, sondern um die Menschenrechte“, sagte er.
Neruda dachte und agierte dabei international. Nach Europa, genauer, nach Paris, und zur Diplomatie kehrte er noch ein weiteres Mal zurück – als Botschafter unter der 1970 durch ein Linksbündnis zustande gekommenen Regierung Salvador Allendes. Dass Neruda zu diesem Zeitpunkt schon krank war, ist bekannt. Er legte seine diplomatische Tätigkeit deswegen schliesslich nieder.
Ungeklärt bleibt sein Ende dennoch: Auf Bestreben der Kommunistischen Partei, die vermutet, dass Gefolgsleute Pinochets ihn in einem Krankenhaus in Santiago vergifteten, wurde die Leiche Nerudas im Frühjahr 2013 exhumiert. Das Regime habe in Neruda einen potentiellen Anführer des politischen Widerstands gesehen und ihn daher – so wie es wie in unzähligen anderen Fällen geschah – schon kurz nach der Machtübernahme kaltblütig ermordet. Untermauert wird diese These auch von Aussagen des ehemaligen Privatsekretärs und Fahrers von Neruda. Der ehemalige chilenische Präsident Eduardo Frei, davon geht man heute aus, wurde zudem unter genau den Umständen – eine Vergiftung während eines Krankenhausaufenthaltes – getötet, die sich auch bei Neruda annehmen lassen. An seiner eventuellen Ermordung könnte, wie am Sturz Allendes im September 1973 überhaupt, auch die Regierung der USA beteiligt gewesen sein, die den Militärputsch Pinochets unterstützte. Das Streben nach einer endgültigen Klärung der Todesumstände Nerudas ist im Chile der Gegenwart so auch symbolischer Teil einer Aufarbeitung der Geschehnisse während der Pinochet-Diktatur.