Anfänge einer amerikanischen Metropole
1883, also gerade einmal 50 Jahre nach der Gründung, beschrieb der Schriftsteller Mark Twain Chicago als eine Stadt, die schneller aus den über sie gemachten Prophezeiungen herauswuchs, als man diese aufstellen könne. Doch bevor Chicago zu einer der größten und bedeutendsten amerikanischen Städte werden konnte, kam es zu dem üblichen territorialen Gerangel um ein vermeintlich neu entdecktes Gebiet. Zunächst waren es die Franzosen, die die Landansprüche der bis dahin ansässigen Bevölkerung antasteten. Als Jacques Marquette und Louis Joliet (auch Jolliet) um 1670 in Chicago, damals noch „shikaakwa“ („stinkende Zwiebel“), eintrafen, waren verschiedene Vertreter der Algonkin-Stämme in der Region sesshaft. Die Miami stellten unter ihnen die größte Gruppe dar. Mitte des 18. Jahrhunderts mussten sie jedoch weite Teile ihrer Landansprüche an die Potawatomi abtreten.
Der französische Priester Marquette und der Entdecker Joliet kamen den langen Weg vom nördlich gelegenen Green Bay im heutigen Wisconsin. Louis de Buade de Frontenac, der Gouverneur Neufrankreichs, hatte ihnen den Auftrag erteilt, neues Territorium zu erschließen und den Menschen, die sie auf ihrem Weg antrafen, „Gottes Wort“ zu bringen. Nebenbei war es Teil des ambitionierten Plans, die Quelle des Mississippi zu lokalisieren. Damit ist die Vorgeschichte Chicagos repräsentativ für die Geschehnisse im ganzen Land zu jener Zeit: sie zeigt die zwei Flügel der Europäischen Expansion in Nordamerika. Die kulturell-religiöse Expansion wurde durch Pastor Marquette mit seinen christlich motivierten Missionsansprüchen verkörpert. Jolliet hingegen suchte als Vertreter des anderen Flügels die säkularen, wirtschaftlichen und politischen Interessen voranzutreiben.
Nachdem Marquette und Joliet den Ort wieder verlassen und ihn gegenüber dem Gouverneur als besonders attraktiv beschrieben hatten, wurde dort zunächst von französischen Jesuiten im Jahr 1696 eine Missionsstation errichtet. Ziel war es, die Miami zu christianisieren. Die Mission wurde jedoch bereits vier Jahre später wieder geschlossen. Während der Fox-Kriege ging die Möglichkeit der Nutzung der Region um Chicago zurück. Die langanhaltenden Kämpfe zwischen Franzosen und Fox begannen 1712 und endeten, wenn auch mit Unterbrechungen, erst wieder im Jahr 1737.
Die erste dauerhafte Besiedlung von Chicago durch eine nicht indigene Gruppe ging von dem Fellhändler Jean Baptiste Pointe du Sable aus. Er etablierte gegen Ende der 1770er einen Handelsposten vor Ort. Bis zu diesem Zeitpunkt war Chicago für Amerikaner, Briten und Franzosen lediglich Zwischenstopp und Treffpunkt für Händler gewesen, jedoch kein Ort, an dem man sich dauerhaft niederließ. Der Handelsposten war denkbar günstig positioniert und sein Wachstum, sowie die kurz darauf folgende Entwicklung zur Stadt, waren eng mit der geographischen Lage Chicagos verbunden. Der Chicago River und der Michigansee boten ideale Möglichkeiten des Warentransports auf dem Wasserweg.
Point du Sable, selbst schwarz und aus Haiti stammend, verließ Chicago im Jahr 1800 unter dem dort zunehmend herrschenden amerikanischen Einfluss. Er sah sich wegen seiner Hautfarbe in Gefahr, seine Rechte und die Möglichkeit weiter Handel zu betreiben zu verlieren. Dass seine Ehefrau eine Potawatomi war, schürte diese Bedenken zusätzlich.
Nach 1800 und bis zur offiziellen Gründung Chicagos war der Ort vor allem durch das dort mehrfach errichtete Fort Dearborn geprägt. Die dort stationierten Soldaten und ihre Familien bildeten die Grundlage für eine an feste Regeln und Institutionen gebundene Gemeinde.
1818 wurde Illinois offiziell zu einem Bundestaat der USA. Immer mehr Menschen ließen sich in Chicago nieder, sodass die offizielle Gründung am 12. August 1833 mit rund 300 Einwohnern erfolgen konnte.
Im September 1833 kam es zum „Zweiten Vertrag von Chicago“. Am 26. und 27. September wurde in dessen Verlauf beschlossen, dass die bis dahin ansässigen oder regelmäßig auf dem Land siedelnden Stämme den Bereich westlich des Michigansees großräumig und innerhalb der nächsten drei Jahre verlassen sollten. Sie zogen in ein Reservat von ungefähr gleicher Größe, das sich westlich des Missouri Rivers befand.
Den Stadtstatus erhielt Chicago wenige Jahre danach, am 4. März 1837. Bis 1860 war die Einwohnerzahl von Chicago schon auf 100 000 Menschen angewachsen. Sie sollte auch in den nächsten Jahren rasant zunehmen. Sarah Este