Alternative zur Dampfmaschine
Eine „neue, rationelle Wärmekraftmaschine“, das war es, was Rudolf Christian Karl Diesel vorschwebte. Er war 35 Jahre alt, als es am 10. August 1893 in Augsburg zur ersten Zündung seines neuartigen „rationellen Wärmemotors“ kam.
Augsburg war die Geburtsstadt seines Vaters. Diesel war dort 23 Jahre zuvor angekommen. Seine Eltern hatten ihn damals zu Augsburger Verwandten geben müssen. Die Familie war auf der Flucht. Der Deutsch-Französische Krieg hatte sie gezwungen, Paris, die Stadt, in der Rudolf seine ersten Lebensjahre verbracht hatte, zu verlassen. Um die finanzielle Versorgung und die schulischen Aussichten des Jungen würde es in Augsburg besser bestellt sein als unter den unsicheren Umständen des familiären Exils, meinten die Eltern. Wohlhabend war die Familie um den Lederwarenhändler Theodor Diesel aber auch vorher nicht gewesen.
In Augsburg nahm die Ausbildung Rudolfs mit dem Besuch der örtlichen Industrieschule dann früh und entschieden ihren auf Naturwissenschaft und Technik ausgerichteten Lauf. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit dem hervorragenden Ingenieurs-Examen an der Polytechnischen Hochschule in München im Jahr 1880. Danach war Diesel in leitender Position in Paris und Berlin für das Kühlmaschinenunternehmen Carl von Lindes tätig, der während des Studiums in den siebziger Jahren sein Lehrer gewesen war.
Und bei seinem Münchner Professor war Diesel auch mit der „Kreisprozess-Theorie“ des französischen Thermodynamikers Nicolas Léonard Sadi Carnot in Berührung gekommen. Davon angeregt, hatte er begonnen, über eine effizientere und dabei für den massenhaften Gebrauch praktikable und erschwingliche Alternative zur Dampfmaschine nachzudenken.
Eine solche Alternative sollte die „neue, rationelle Wärmekraftmaschine“ darstellen, die sich Diesel zu Beginn des Jahres 1893 patentieren ließ. „Theorie und Konstruktion eines rationellen Wärmemotors zum Ersatz der Dampfmaschinen und der heute bekannten Verbrennungsmotoren“ war dementsprechend der Titel des Buches, das er im selben Jahr veröffentlichte.
Mit dem Kruppschen Stahlwerk hatte Diesel bei der Herstellung des Prototyps vom Sommer 1893 einen prominenten und potenten Partner an seiner Seite. Der Mann, der ihm daneben maßgeblich half, Idee und Theorie in die Tat umzusetzen, war ein Augsburger Ingenieur. Wie es schon sein Vater getan hatte, stand auch Heinrich von Buz der Maschinenfabrik Augsburg vor. Mit Diesel hatte er schon zusammengearbeitet, als dieser noch in Diensten des von Lindeschen Unternehmens gestanden hatte.
Für einen kontinuierlichen Betrieb und damit eine serienmäßige Fertigung stand Diesels Motor aber erst vier Jahre nach der erstmaligen Zündung bereit. Die Konstruktion unterschied sich in zahlreichen Details von den ursprünglichen Ideen. Doch der Motor erwies sich als erfolgreich. Maßgeblich trug dazu ab 1898 die Dieselmotorenfabrik Augsburg bei, die schon zwei Jahre später einen englischen Ableger erhielt. Auch wollten ausländische Firmen den Motor bauen und waren bereit, dafür Lizenzgebühren zu zahlen.
Diesels dabei akkumulierter Wohlstand und seine weltweite Bekanntheit wurden allerdings von ersten Anzeichen der seelischen und körperlichen Erschöpfung begleitet. Neben der technischen Weiterentwicklung seines Verbrennungsmotors hatten ihn nach 1893 in hohem Umfang auch dessen Vermarktung und patentrechtliche Fragen beschäftigt. Themen- und Handlungsfelder, bezüglich derer man Diesel heute keine ausgesprochene Neigung zuschreibt.
Theorien über eine sich verschlechternde Gemütslage Diesels reichen bis hin zu seinem tragischen Tod: Nachdem er Ende September 1913 während einer Schiffsreise von Antwerpen nach England verschwunden war, identifizierte man im folgenden Monat einen in der unruhigen See treibenden Körper als die Leiche Rudolf Diesels. Neben Vermutungen über einen Suizid, der auch mit finanziellen Schwierigkeiten Diesels erklärt wird, halten andere Stimmen es für möglich, dass der prominente Ingenieur Opfer eines Verbrechens wurde. In diesem Zusammenhang ist neben Branchen-Konkurrenten von den höchsten Reihen der deutschen Politik die Rede, denen der in internationalen Dimensionen denkende und im Besonderen auch mit Unternehmen in Frankreich und England verhandelnde Diesel zu wenig kriegsbegeistert und patriotisch gewesen sei.
Tatsächlich hatte Diesel seine Arbeit eher mit Nationalismus und Militarismus überwindenden Gedanken über einen gesamtmenschheitlichen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit verbunden als mit großkapitalistischem Kalkül oder gar militärischer Nutzbarmachung. Seine weitreichenden und konkreten sozialen und politischen Ambitionen hatte er sogar dezidiert in der 1903 veröffentlichten Schrift „Solidarismus. Natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen“ zum Ausdruck gebracht.
Der Motor, den Diesel entwickelt hatte, kam zeit seines Lebens aufgrund seiner anfänglichen Größe und seines Gewichts vor allem in der Schiffahrt und stationär zum Einsatz. Eine erste Diesellokomotive, an deren Entwicklung Rudolf Diesel noch beteiligt war, eignete sich nicht für den planmäßigen Zugbetrieb. Die Nutzung weiterentwickelter Dieselmotoren für Last- und Personenkraftwagen, die dann im Jahrzehnt nach seinem Tod ihren Anfang nahm, durfte der schon mit 55 Jahren verstorbene Namensgeber nicht mehr miterleben.
Mittelamerika 2024 (ÜK 1.2)
ISBN: 978-3-95402-494-0
Preis: 98,00 €
Versandkostenfreie Lieferung innerhalb Deutschlands.
Jetzt bestellen