Wächter der Revolution
In den Jahren 1793 und 1794 radikalisierte sich die Französische Revolution. Gehörigen Anteil daran hatte Maximilien de Robespierre.
Der am 6. Mai 1758 in Arras geborene Jurist hatte schon immer als konsequenter und bescheidener Mann gegolten. In seiner Heimat war er auch deswegen zur Vertretung des Dritten Standes in die Generalstände gewählt worden, die im Sommer 1789 zusammengekommen waren, um über die krisenhafte wirtschaftliche Lage des Landes zu beratschlagen.
Geschehen war damals dann aber viel mehr als das: Der Dritte Strand, der allergrößte Teil der Franzosen, hatte sich erhoben, mehr politischen Einfluss gefordert und sich zur Nationalversammlung erklärt, einem nationalen Parlament, das die Interessen der gesamten Bevölkerung vertreten sollte, nicht nur die der privilegierten Stände Klerus und Adel.
Der vormals absolutistische Alleinherrscher, Louis XVI., war noch bis zum September 1792 König geblieben, dann war ihm und der Monarchie der Prozess gemacht worden.
Aber in der jungen Republik herrschte nun Unruhe: konterrevolutionäre Bedrohungen von Innen und Außen, dabei Kriege gegen koalierende Mächte wie Österreich und Preußen, unterschiedliche soziale Interessensgruppen und ihre politischen Vertreter, reaktionäre und progressive Kräfte. All dies sorgte für eine äußerst angespannte und instabile politische Situation.
Als die Sansculottes, Vertreter von Berufsgruppen des städtischen Kleinbürgertums, im Juni 1793 gewaltsam die dem gehobenen Bürgertum zugeneigten Girondisten aus dem 1792 eingerichteten Nationalkonvent trieben, sympathisierten sie mit Maximilien de Robespierres Jakobinern, die neben rechtlicher und politischer Gleichheit auch mehr sozioökonomische Partizipation für breitere Bevölkerungsschichten forderten.
Radikal-demokratisch in ihren Forderungen, waren Robespierres sansculottisch ermächtigte Anhänger gleichermaßen radikal in ihrer revolutionären Entschiedenheit und ihren Maßnahmen. Der Schutz der Republik wurde unter Robespierres Politik zum wichtigsten Ziel überhaupt, und der revolutionäre Zweck heiligte dabei die gewaltsamen Mittel. Ein revolutionär-patriotischer, von Robespierre im Dienst der „Tugend“ proklamierter „Terror“ wurde legitimes und explizites Regierungsprogramm.
Umgesetzt wurde er durch den zu Beginn des Jahres 1793 installierten Wohlfahrtsausschuss (französisch Comité de salut public), unter dessen nur zwölf Mitgliedern Robespierre der führende Kopf und Redner war und dem schon in den folgenden Monaten durch sein Zutun immer mehr politische Macht zugewiesen wurde. Im ganzen Land, zum Beispiel in der Vendée, gab es Aufstände und Kämpfe zwischen oppositionellen Gruppen und den jakobinischen Republikanern, die Dimensionen eines Bürgerkrieges erreichten. Überall, auch in den eigenen Reihen und im Konvent, griff Robespierres mit der Legislative verschmelzende Exekutive mit Denunziation, Inhaftierung, Prozess und Hinrichtung brutal durch. Fast 17.000 Todestrafen wurden verhängt, bevorzugt ausgeführt mit der Guillotine.
Robespierres von den gesellschaftstheoretischen und politischen Konzepten Jean-Jacques Rousseaus inspiriertes, auf Selbstverpflichtung und Gemeinwohl pochendes revolutionäres Denken und die dazugehörenden Maßnahmen waren eskaliert. Intellektuell-konzeptionell und, wenngleich nicht nur durch sein Wirken, auch praktisch. Sie waren zur Ideologie und Diktatur geworden. Zusammengeflossen war alles in einem Organ der zunehmend zentralisierten Macht, dem Wohlfahrtsausschuss.
Einem Überwachungsorgan, das der Wächter der Revolution, Maximilien de Robespierre, so schnell ausgebaut hatte, wie seine „Schreckensherrschaft“ und er selbst dann an der Guillotine endeten. Nur ein Jahr war seit seiner Wahl in den Wohlfahrtsausschuss am 27. Juli 1793 vergangen, als seine Gegner aus den eigenen Reihen erkannt hatten, dass nicht nur ihre politischen Positionen drohten, Opfer der Raserei Robespierres zu werden. Sie mussten ebenso um ihr Leben bangen.
Und auch die Revolution und die Republik selbst waren mittlerweile dadurch bedroht, dass sie mit dem Terror zusammengefallen waren. Marius Prill