Lebenslanger Kampf gegen die Sucht
Hans Fallada kannte beides: Den Abgrund genauso wie die Leichtigkeit des Seins. Häufiger bescherte das Leben dem Schriftsteller freilich Krisen: Sucht, Gefängnis, Aufenthalte in Nervenheilanstalten. Demgegenüber suchten das familiäre Glück und die literarische Schaffenskraft manchmal vergebens nach ihrem Recht. Heute vor 120 Jahren kam der Autor der Neuen Sachlichkeit in Greifswald als Rudolf Ditzen zur Welt. Er stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen, die bekanntlich kein Garant für ein glückliches Leben sind. Vielmehr litt er unter einem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater. 1911 wurde Fallada erstmals in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, nachdem er einen Mitschüler im Duell getötet hatte. Vereinbart hatten die Jungen eigentlich ein Scheinduell, das in einen Doppelsuizid münden sollte. Fallada wurde Schuldunfähigkeit bescheinigt, womit die Anklage gegen ihn fallengelassen wurde.
Alkohol und Opium, das waren die Süchte, mit denen er ein Leben lang zu kämpfen hatte. Beschaffungskriminalität brachte ihn zweimal ins Gefängnis. Außerdem lernte er diverse Nervenheilanstalten von innen kennen. Eine Phase des Glücks bescherte ihm Anna Issel, die er 1928 kennen lernte und ein Jahr später heiratete. Vier Kinder gingen aus dieser bis 1944 währenden Ehe hervor. Fallada erwies sich als kümmernder Vater, der für seinen Nachwuchs viele Geschichten schrieb.
Seine Einstellung zum Schreiben nahm teils pedantische Züge an: Er setzte sich ein Schreibpensum, das er täglich zu erfüllen hatte. Dass er sich als Schriftsteller etablieren konnte, ist neben seiner eigenen Beharrlichkeit sicherlich auch der Geduld seines Verlegers, Ernst Rowohlt, zu verdanken. Trotz erster erfolgloser Veröffentlichungen hielt dieser an ihm fest, was sich 1932 bezahlt machte, als mit dem Roman „Kleiner Mann – was nun?“ der internationale Durchbruch gelang. 1935 erklärten ihn die Nazis zum unerwünschten Autor, woraufhin Fallada sich auf das Schreiben unpolitischer Unterhaltungsliteratur verlegte. Eine Ausnahme bildete „Wolf unter Wölfen“ von 1937, das sich kritisch mit der Behandlung von Gefangenen in der Weimarer Republik auseinandersetzte und zu allem Überfluss von Joseph Goebbels gelobt wurde.
Viele seiner literarischen Texte entstanden unter schwierigen Umständen. Bei einem Streit mit seiner Ex-Frau schoss er unter Drogeneinfluss mit einer Pistole gegen einen Tisch, woraufhin er für drei Monate in die Landesanstalt Neustrelitz eingewiesen wurde. Dort verfasste er unter anderem den Roman „Der Trinker“. Harald Juhnke sollte den Romanhelden in der Verfilmung von 1995 auf grandiose Art und Weise verkörpern.
Sein letzter Roman, der zugleich als Schlüsselwerk gilt, stammt aus dem Jahr 1946, wiederum in Krisenzeiten geschrieben: Fallada hielt sich wegen seiner Suchtprobleme in der Nervenklinik der Berliner Charité auf. In nur vier Wochen schrieb er dort „Jeder stirbt für sich allein“. Im Zentrum der auf einer wahren Begebenheit beruhenden Handlung stehen die Eheleute Quangel aus Berlin, die nach dem Tod ihres geliebten Sohnes im Krieg zum Widerstand gegen die Nazis aufrufen. Sie bezahlen ihren Kampf gegen das Unrechtsregime schließlich mit dem Tod.
Drei Monate nach dem Abschluss des Werkes starb Hans Fallada an Herzversagen. Der Kulturbund nahm sich nun den Text vor und hielt ihn wohl für nicht einseitig genug, denn viele Passagen fehlten, als er 1947 im Aufbau-Verlag erschien. Erst 2011 kam die ungekürzte Fassung in die deutschen Buchläden. Dem vorausgegangen war eine Wiederentdeckung Hans Falladas durch die erste Übersetzung ins Englische von „Jeder stirbt für sich allein“ im Jahr 2009. In den USA und Großbritannien stürmte der Roman die Bestsellerlisten.
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