„Notwendigkeit der Lenkballone“
Womöglich gab Heinrich von Stephan den Anstoß. Am 25. April 1874 referierte der Generalpostmeister „Über Weltpost und Luftschiffahrt“. Der Gedanke, Postsendungen auf dem Luftweg zu befördern, hatte Stephan spätestens seit dem preußisch-französischen Krieg von 1870/71 beschäftigt, als Ballonfahrer einen wenn auch spärlichen Nachrichtenaustausch zwischen dem belagerten Paris und dem nicht besetzten Teil Frankreichs aufrecht erhielten. Für den regulären Luftpostverkehr waren Heißluftballons aber wenig geeignet, erkannte Stephan. Alternativen gab es seinerzeit keine.
Im Publikum saß ein württembergischer Generalstabsoffizier, der 1863/64 als Beobachter am amerikanischen Sezessionskrieg teilgenommen hatte. Unter anderem erlebte er den Aufstieg von Heißluftballons und durfte einmal selbst mitfahren. Natürlich betrachtete er den Einsatz der Luftfahrzeuge aus einer anderen Perspektive als Stephan, aus militärischer. Bis er sich der Luftfahrt verschrieb, sollten aber noch Jahre vergehen.
Ferdinand Adolf Heinrich August von Zeppelin, dessen Geburt vor 175 Jahren wir heute gedenken, absolvierte eine standesgemäße militärische Karriere. Nachdem er das Polytechnikum abgeschlossen hatte, begann er 1855 als Kadett seine Ausbildung an der Kriegsschule Ludwigsburg. Nach drei Jahren wurde er zum Leutnant befördert und beurlaubt, um Staatswissenschaften, Maschinenbau und Chemie zu studieren. Die vorsorgliche Mobilmachung im Zuge des französisch-italienischen Krieges führte 1859 zu einem abrupten Ende des Studiums, sodass Zeppelin formal keinen Abschluss hatte.
Dennoch durfte er 1863 in die Staaten reisen. Nach der Rückkehr nahm er unter anderem am preußisch-österreichischen Krieg von 1866 und am preußisch-französischen Krieg von 1870/71 teil. Mit einem ausgedehnten Erkundungsritt hinter die französischen Linien schrieb er Schlagzeilen. Bald kannte jedes Schulkind den Namen Zeppelin, wenn auch nicht dank der Leistungen, die seinen Namen weltberühmt machen sollten.
Nach Stephans Vortrag beschäftigte sich Zeppelin intensiver mit der Luftfahrttechnik. Ihm schwebte der Bau eines lenkbaren Ballons vor. Da er aber weiterhin im Militär Karriere machte und 1874 zum Major, 1882 zum Kommandeur des Ulanen-Regiments „König Karl“ und schließlich 1884 zum Oberst befördert wurde, kamen die Arbeiten am Luftschiff nur langsam voran. 1885 berief ihn die württembergische Regierung zum Militärbevollmächtigten an der Berliner Gesandtschaft, 1887 dann zum Gesandten. In Berlin fand er Zeit, die an den König gerichtete Denkschrift „Notwendigkeit der Lenkballone“ zu verfassen. Selbstverständlich standen die Vorteile für die Kriegsführung im Mittelpunkt der Ausführungen.
Ab 1891 konnte Zeppelin sein Vorhaben vorantreiben. Im Frühjahr hatte er in einer weiteren Denkschrift die Kommandogewalt Preußens über württembergische Truppen bemängelt. Der Kaiser war missgestimmt, die preußische Generalität beurteilte Zeppelins Leistungen im Herbstmanöver so negativ, dass der Abschied eine Frage der Ehre war. Demonstrativ beförderte Wilhelm II. – gemeint ist natürlich der König von Württemberg – Zeppelin zum Generalleutnant.
Fortan widmete sich Zeppelin ganz dem Bau eines starren Luftschiffes. Vom negativen Votum einer von Kaiser Wilhelm II. einberufenen Sachverständigenkommission ließ er sich ebenso wenig abschrecken wie vom gescheiterten Versuch, eine Million Mark für den Bau eines Luftschiffes einzusammeln. Gut 100.000 Mark bekam er zusammen, darunter 6000 Mark von Kaiser Wilhelm II. Inwiefern dessen Ausspruch, Zeppelin sei einer der „Dümmsten aller Süddeutschen“ tatsächlich gefallen ist, lässt sich nicht sicher feststellen.
Ein Aufruf des Vereins Deutscher Ingenieure, dem Zeppelin seit 1896 angehörte, brachte dann den Durchbruch. 1898 konnte Zeppelin die „Aktiengesellschaft zur Förderung der Luftschifffahrt“ gründen. Zu deren Stammkapital in Höhe von 800.000 Mark steuerte er die Hälfte aus seinem Privatvermögen bei. Im selben Jahr verlieh ihm das Kaiserliche Reichs-Patentamt den Schutz für einen „Lenkbaren Luftfahrzug mit mehreren hintereinander angeordneten Tragkörpern“ rückwirkend zum 31. August 1895.
1899 begann der Bau des ersten Luftschiffes. Die Hülle mit den zylindrischen Gaszellen bestand aus Aluminium-Längsträgern, um die ringförmig Querträger verliefen. Die beiden Gondeln waren fest mit dem Grundgerüst verbunden. Luftschrauben sollten das Luftschiff vorwärts treiben.
Am 2. Juli 1900 stieg das LZ 1 erstmals über dem Bodensee auf. Rund 12.000 Zuschauer verfolgten das Geschehen. Zwar musste das Luftschiff kurz darauf wegen eines technischen Defektes notwassern. In zwei weiteren Versuchsaufstiegen zeigte es aber, dass es schneller als ein bereits bekanntes französisches Luftschiff war. Mit 300 Kilogramm Nutzlast wäre allerdings weder ein wirtschaftlicher noch ein militärischer Einsatz sinnvoll gewesen.
Da alles Geld aufgebraucht war, musste Zeppelin sein erstes Luftschiff wieder zerlegen. Zudem war er gezwungen, die Werkzeuge zu verkaufen und die Aktiengesellschaft aufzulösen. Die Bevölkerung hatte aber begeistert auf das Spektakel reagiert. Es begannen Spendensammlungen, die schließlich den Bau des LZ 2 ermöglichten. Dieses bewies, dass Zeppelin auf dem richtigen Weg war. Mit dem LZ 3 gelang dann 1906 der Durchbruch. Es absolvierte zahlreiche Fahrten und wurde schließlich vom Militär gekauft. Dort erhielt es die Bezeichnung „Z I“.
Das Militär zeigte Interesse an einem weiteren Luftschiff, verlangte aber den Beweis, dass es 24 Stunden in der Luft bleiben kann. Eine Fahrt nach Mainz endete aber tragisch. Nachdem das LZ 4 wegen eines Defekts in Echterdingen bei Stuttgart landen musste, riss ein Sturm das Luftschiff aus der Verankerung. Es prallte gegen einen Baum und fing Feuer. Erneut rettete das Volk den tollkühnen Grafen, der zeitweise auch als der „Narr vom Bodensee“ galt. Die folgende Zeppelinspende erbrachte stolze 6.096.555 Mark und ermöglichte nicht nur den Bau weiterer Luftschiffe, sondern auch die Gründung der Zeppelin-Stiftung.
Das LZ 5 entstand als ziviles Luftschiff, wurde aber dann, wie zahlreiche weitere vom Militär übernommen. Die Geschichte der zivilen Luftschifffahrt begann mit dem LZ 6, dem ersten von insgesamt sieben an die Deutsche Luftschiffahrts-AG (DELAG) verkauften Fahrzeugen. Bis zur Entfesselung des Ersten Weltkrieges absolvierten sie gut 1500 Fahrten.
1910 kaufte Zeppelin große Flächen bei Potsdam. In der Pirschheide sollte auf 25 Hektar ein Luftfahrtzentrum für Europa entstehen. Die 1912 errichtete Halle war seinerzeit die größte Luftschiffhalle in Deutschland. Mit Kriegsbeginn begann die Fertigung von Luftschiffen für militärische Zwecke.
Im Kriegseinsatz zeigten sich aber bereits die Schwächen der Technik, die 20 Jahre später zu ihrem Ende führen sollten. Luftschiffe waren langsam, schwer zu steuern und träge, also den schnellen und wendigen Motorflugzeugen hoffnungslos unterlegen. Ob Zeppelin das noch erkannte, lässt sich nicht sicher sagen. Am 8. März 1917 verstarb er im Alter von 78 Jahren. Rund zehn Jahre später begann die kurzzeitige Blüte der Luftschifffahrt, die sich aber nur in Deutschland in größerem Maße durchsetzen konnte.
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