Festgeschnallt um die Erde
Was Männer können, können Frauen allemal. In gewissen Kreisen ruft die Aussage noch immer Erstaunen hervor. Spätestens seit den Männern des FC Bayern München erst 2013 gelungen ist, was die Frauen des 1. FFC Frankfurt schon 2002 und 2008, die Frauen des VfL Wolfsburg dann 2013 geschafft haben, müsste eigentlich jeder erkennen, dass Frauen den Männern zumindest ebenbürtig sind.
Daher verwundert es kaum, dass nach Jurij Aleksejevitsch Gagarins Weltraumflug bald die Frage im Raume stand, wann die erste Frau unseren Planeten zeitweise verlassen werde. Heute vor 50 Jahren war es soweit. An Bord von „Wostok-6“ startete Valentina Vladimirovna Tereschkova, geboren am 6. März 1937, um 9.30 Uhr Weltzeit (Universal Time) im Kosmodrom von Baikonur zu einer dreitägigen Erdumrundung in 168 bis 218 Kilometern Höhe. Insgesamt 48-mal kreiste sie um die Erde, festgeschnallt in der Landekapsel, die einen Durchmesser von gerade einmal 2,3 Metern aufwies. Gleich am ersten Tag gelang die geplante Begegnung mit „Wostok-5“, dem Raumschiff, mit dem Valerij Fedorowitsch Bykovskij zwei Tage zuvor gestartet war. Die übrige Zeit fertigte Tereschkova Foto- und Filmaufnahmen von der Erde. Ein geplantes naturwissenschaftliches Experiment musste sie dagegen absagen, da sie die Ausrüstung dafür nicht erreichen konnte. Am 19. Juni um 8.20 Uhr landete sie mit dem Fallschirm in der Kasachischen Sowjetrepublik, etwa 620 Kilometer nordöstlich von Karaganda. Kontrollierte Landungen der Raumkapseln gab es seinerzeit noch nicht. Tereschkova musste daher in großer Höhe den Schleudersitz betätigen.
Anders als Gagarin war Tereschkova nicht zur Kampfpilotin ausgebildet worden, sondern hatte sich als Fallschirmspringerin für die Aufgabe qualifiziert. Nach der Schule hatte sie mehrere Jahre unter anderem als Büglerin in der Fabrik gearbeitet. Im Abendstudium erwarb sie das Technikerdiplom. Seit 1955 als Fallschirmspringerin aktiv, gelang es ihr nach mehreren Anläufen, die Kosmonautenschule zu besuchen. Gemeinsam mit vier weiteren Bewerberinnen bildete sie die zweite Kosmonautengruppe, die für einen Raumflug ausgebildet wurde. Zwei Kandidatinnen schieden aus; eine hatte die theoretische Prüfung nicht bestanden, andere musste der Gesundheit Tribut zollen. Als dann feststand, dass für die beiden letzten Wostok-Flüge – „Wostok-5“ und „Wostock-6“ – ein Mann und eine Frau berücksichtigt werden sollten, stand bald Tereschkova als Kosmonautin fest.
Wie seinerzeit üblich, war der wissenschaftliche Ertrag gering, die propagandistische Wirkung gewaltig. Nach dem Start des Satelliten „Sputnik“ und Gagarins Flug hatte die Sowjetunion im Wettstreit mit den Vereinigten Staaten ein weiteres Mal die Nase vorn. Zugleich wollte sie demonstrieren, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht nur auf dem Papier stand – der Alltag sah, wie die geringe Zahl Frauen in Führungspositionen belegt, allerdings anders aus.
Tereschkovas Popularität überdauerte die Sowjetunion, in der sie formal herausragende Positionen bekleidete: 1966 trat sie in den Obersten Sowjet ein, übernahm 1968 die Leitung des Frauenkomitees, gehörte ab 1971 dem Zentralkomitee der KPdSU an, gelangte 1974 in das Präsidium des Oberstens Sowjets und war im Scheinparlament ab 1976 stellvertretende Vorsitzende der Kommission für Erziehung, Wissenschaft und Kultur. Ab 1994 leitete sie das Russische Zentrum für internationale kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit. Statt in der KPdSU ist sie Mitglied der Putin-Partei „Einiges Russland“, für die sie in der Duma der Oblast Jaroslawl sitzt. Ihre Ordenssammlung, zu der zwei Lenin-Orden diverse weitere Auszeichnungen der Sowjetunion und der Karl-Marx-Orden der DDR zählen, wuchs um den russischen Verdienstorden für das Vaterland 3. und 2. Klasse.
Erst 1982 schickten die Sowjets erneut eine Frau ins All, Svetlana Jevgenjevna Savizkaja, die zwei Raumflüge absolvierte. 1995 gelang dann Jelena Vladimirovna Kondakova der erste Langzeitraumflug.