„Jesus Christus mit der Knarre“
Liebe Hildita, Aleidita, Camilo, Celia und Ernesto: Solltet Ihr einmal diesen Brief lesen müssen, dann deshalb, weil ich nicht mehr unter Euch bin. Ihr werdet Euch kaum an mich erinnern, die Kleinsten gar nicht. Euer Vater war ein Mann, der getan hat, was er für richtig hielt, und der seinen Überzeugungen stets treu geblieben ist.
Was auch immer man ihm vorwerfen könnte, seinen Überzeugungen ist er tatsächlich stets treu geblieben, und ist am Ende für sie gestorben: Ernesto Guevara de la Serna, geboren heute vor 85 Jahren in Argentinien, ist als Revolutionär unter dem Namen „Che“ Guevara weltbekannt und eine Ikone des 20. Jahrhunderts geworden. Dabei entstammt er einem durchaus gutbürgerlichen, wenn auch finanziell nicht sonderlich gut gestellten Elternhaus. Im Alter von zwei Jahren erkrankt der Junge nach einem Badeausflug an Asthma, was sein Leben prägt. Trotzdem bleibt er stets sportbegeistert, beim Fußball platziert er als Torwart sein Inhaliergerät neben dem Pfosten.
Nach der Schule beginnt er ein Medizinstudium und arbeitet nebenher als Krankenpfleger, auf Öltankern und in Leprakrankenhäusern. Anfang der 50er Jahre bereist er das Inland Argentiniens und lernt zum ersten Mal die krassen sozialen Unterschiede des Landes kennen, 1952 unternimmt er mit einem Freund eine Reise per Motorrad durch Südamerika, das Motorrad geht unterwegs kaputt, die beiden reisen per Anhalter und per Floß weiter und besuchen Chile, Peru, Macchu Picchu, Brasilien, Kolumbien, wo sie in den Bürgerkrieg geraten, und erreichen nach sieben Monaten Venezuela. 1953 bekommt Guevara seine Zulassung als Arzt und reist erneut durch Südamerika, gerät in die revolutionären Unruhen in Bolivien, und in Guatemala in Kontakt mit kubanischen Emigranten. Von diesen erhält er den Spitznamen „Che“, da er in fast jedem Satz den Guarani-Ausdruck „Che“ verwendet, der soviel wie „He, Du!“ bedeutet.
1954 kommt es auf Betreiben der „United Fruit Company“ (heute: „Chiquita“) und des CIA zum Putsch in Guatemala, da der guatemaltekische Präsident eine Agrarreform durchführen wollte. Unter diesen Eindrücken wird Guevara militanter in seinem Kampf gegen die Ungerechtigkeit, in Mexiko lernt er wenig später Fidel Castro kennen und lässt sich mit anderen Freiwilligen von einem Veteranen des spanischen Bürgerkriegs militärisch ausbilden. An der Seite Castros geht er zurück nach Kuba, wo die Revolution schließlich Erfolg hat und der kubanische Diktator vertrieben wird. 1959 wird Che Guevara offizielle kubanischer Staatsbürger, im Sommer wird er Präsident der kubanischen Nationalbank, zugleich versucht er die Industrialisierung des Landes voranzutreiben, wenn auch mit mehr oder weniger stalinistischen Methoden, so setzt er sich ebenso für Arbeitslager ein wie für die Liquidierung politischer Gegner. 1961 wird er Industrieminister, in der Kubakrise setzt er sich vergeblich für den Einsatz der sowjetischen Raketen gegen die USA ein.
Von der realen Politik schnell enttäuscht, will er sich wieder dem Kampf widmen und die Revolution in alle Welt tragen: 1965 verlässt er Kuba und versucht erfolglos im Kongo einen Umsturz herbeizuführen. 1966 geht er nach Bolivien, um dort eine Guerillatruppe aufzubauen. Von der einheimischen Bevölkerung in ihren Bemühungen um deren Befreiung weitgehend ignoriert, wird die Truppe schnell aufgerieben. Che wird verletzt gefangen genommen, verhört und am 9. Oktober 1967 erschossen. Zugleich wird der Mythos des heldenhaften Revolutionärs geboren, Ches Konterfei nach dem berühmten Foto von Alberto Kordas erscheint bald überall auf der Welt auf T-Shirts, Kaffeetassen und Protestplakaten, wo immer gegen Ungerechtigkeit aufbegehrt wird, ist das Porträt des jungen Che nicht fern, bis heute:
Der rote Stern an der Jacke
Im schwarzen Bart die Zigarre
Jesus Christus mit der Knarre
– so führt Dein Bild uns zur Attacke
übersetzte der Liedermacher Wolf Biermann seinerzeit eine Lobeshymne auf den Commandante. Auch auf Briefmarken ist Che, mittlerweile eine Bildikone und ein Teil der Popkultur des 20. Jahrhunderts, immer noch präsent, natürlich unzählige Male in Kuba, einmal als Gemeinschaftsausgabe mit der Sowjetunion, dazu in Bolivien, Argentinien und, etwas ungewöhnlich ausschauend, in Belgien. Und blickt man sich heute um in der Welt, hätte Che Guevara wohl immer noch keine Schwierigkeiten, einen neuen Einsatzort zu finden…