Türkei: Gefängnis für Gedichte
„Leben einzeln und frei.
Wie ein Baum und dabei
Brüderlich wie ein Wald
Diese Sehnsucht ist alt …“
Diese Zeilen des Dichters Nâzim Hikmet sind auch in Deutschland bekannt geworden: Der Liedermacher Hannes Wader hatte sie in den 70er-Jahren vertont. Und blickt man heute nach Istanbul, scheinen Hikmets Worte nach wie vor aktuell zu sein… Zwar ist Hikmet der berühmteste Dichter der Türkei und wohl der einzige türkische Lyriker, der auch international bekannt geworden ist, doch hat sich seine Heimat stets schwergetan mit dem Poeten. Geboren im Jahr 1902 als Sohn eines Paschas, ist Hikmet zunächst Anhänger des nationalen Befreiungskampfes von Atatürk, bevor er sich für die russische Oktoberrevolution begeistert. 1921 geht er nach Moskau, studiert an der „Kommunistischen Universität für die Arbeiter des Ostens“ und lernt Gedichte des russischen Futuristen Wladimir Majakowski kennen. Beeinflusst von Majakowski, wird Hikmet die türkische Lyrik radikal modernisieren. 1924 kehrt er in die Türkei zurück und wird sogleich Mitglied der verbotenen „Kommunistischen Partei der Türkei“.
Für seine Überzeugungen wird er insgesamt 17 Jahre in Haft verbringen und trotzdem immer unermüdlich schreiben. „Im Gefängnis zu sitzen, ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, das Aufgeben zu vermeiden“, schreibt der überzeugte Anhänger der intellektuellen Opposition später im Gefängnis. Für die Mitarbeit bei linken Zeitungen zu 15 Jahren verurteilt, flieht er 1926 für drei Jahre nach Moskau. Nach seiner Rückkehr wird er 1928 für sieben Monate inhaftiert und 1933 erneut wegen eines Gedichtes zu fünf Jahren verurteilt. Aufgrund einer Amnestie gelangt er nach zwei Jahren in Freiheit, wird aber 1938 erneut angeklagt. Eines seiner Gedichte ist bei Militärkadetten gefunden worden, Hikmet wird wegen Hochverrats zu 28 Jahren verurteilt. In der Haft schreibt er mehrere Bücher und unzählige Gedichte, die trotz Publikationsverbot nach draußen gelangen.
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1950 wird er aufgrund des internationalen Drucks nach zwölf Jahren Haft begnadigt, doch trotz seines hohen Alters und seiner angegriffenen Gesundheit wollen ihn die Behörden nun zum Militärdienst zwingen. Hikmet flieht in einem Ruderboot über das schwarze Meer und geht ins Exil nach Moskau, nun endgültig. Dort, fern der Heimat, ist der „Dichter des Widerstands“ heute vor 50 Jahren gestorben. 1982 erschien in der Sowjetunion eine Briefmarke zu seinem 80. Geburtstag, das Jahr 2002 erklärten die Vereinten Nationen zum „Nâzim Hikmet Jahr“. Obwohl Jahrzehnte lang von offizieller Seite totgeschwiegen, kennt doch fast jeder türkische Bürger Gedichte von Hikmet. Auch vom türkischen Stast ist er mittlerweile weitgehend rehabilitiert worden.