Der Volksfreund & Die Ketten der Sklaverei
„Gemein und roh wie sein Äußeres war auch sein Inneres. Durch seine ungezügelten Worte, durch seine Gabe niedrig-populärer Darstellung und durch seine niederträchtigen Denunziationen wußte er das Volk zu Raub und Mord aufzureizen und sich zum Schrecken aller Parteien zu machen. Genußsüchtig und sittenlos, führte er mit dem auf unrechtmäßige Art erworbenen Geld ein üppiges Leben.“ Ein harsches Bild entwarf da „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ in der Ausgabe von 1908 von dem französischen Arzt, Journalisten und Wissenschaftler, der doch immerhin eine Ikone der französischen Revolution gewesen ist.
Doch Jean Paul Marat, geboren heute vor 270 Jahren, hatte sich den Hass der Nachwelt offenbar redlich verdient. Der begabte Schüler studierte zunächst Medizin in Paris und beschäftigte sich ausgiebig mit den Schriften von Montesquieu und Rousseau, bevor es ihn 1765 nach England zog. Dort lebte er zehn Jahre lang, praktizierte als Arzt und veröffentlichte erste Schriften, darunter 1774 sein berühmtes Werk „Die Ketten der Sklaverei“. 1777 kehrte er nach Frankreich zurück und wurde Militärarzt beim Grafen von Artois, dem Bruder des Königs. Allerlei Experimente führte er durch und verfasste Bücher zu den Themen „Elektrizität“, „Feuer“, „Licht“ und „Optik“, geriet aber durch seinen polemischen und hitzköpfigen Stil in Streit mit der Akademie der Wissenschaften.
Mit dem Ausbruch der französischen Revolution schlug Marats große Stunde. Er gründete eine Zeitung, den „Freund des Volkes“, in der er offensiv die republikanische Ideologie vertrat. Tatsächliche und auch angebliche Gegner der Revolution brandmarkte er als Verräter und Volksfeinde, veröffentlichte ihre Namen und lieferte sie damit dem Volkszorn aus. Von den Behörden wurde er alsbald verfolgt, verbarg sich jedoch im Untergrund, wo er sich möglicherweise seine schlimme Hauterkrankung zuzog.
Nach dem Sturz der Monarchie schloss er sich den Jakobinern um Robespierre und Danton an und rief zu Massenhinrichtungen auf. „Die Freiheit muss durch Gewalt begründet werden, und es ist jetzt der Augenblick gekommen, da man den vorübergehenden Despotismus der Freiheit einrichten muss, um den Despotismus der Könige zu vernichten“, forderte er im April 1793. Am 13. April 1793 wurde er von Charlotte Corday in seinem Badezimmer erstochen. Die von ihm propagierte Schreckensherrschaft dauerte jedoch noch bis zum Sommer 1794 an, wobei die Guillotine reichlich Nahrung fand, darunter auch Charlotte Corday, Danton, und am Ende Robespierre. Im Gegensatz zu seinen beiden Revolutionskollegen ist Marat nicht auf einer französischen Briefmarke vertreten.