Vom Vogel- zum Menschenflug
Luftschiff oder Flugzeug? Diese Frage stand in der Luftfahrt bis in die dreißiger Jahre hinein im Raum. Ferdinand von Zeppelins Luftschiffe erregten weltweit Aufmerksamkeit. Ihre Technik schien verblüffend einfach: Ein mit Leichtgas gefüllter Auftriebskörper hielt das Luftschiff in der Schwebe, Luftschrauben trieben es vorwärts und übernahmen die Steuerung. Gewöhnlich verfügten die Luftschiffe über Ottomotoren, doch gab es auch welche mit Dieselmotoren und Elektromotoren. Insbesondere die Fahrten der Zeppeline zählten zu den Ereignissen, von denen die Zeitungen berichteten. Wo immer ein Luftschiff landete, strömten die Menschen herbei. Doch schon zu Beginn ihrer Ära stand die Ablösung bereit.
Luftschiffe waren nämlich wegen ihrer Größe äußerst träge. Das gewaltige Volumen der Auftriebskörper erhöhte den Luftwiderstand, sodass die Geschwindigkeit der auch als „fliegende Zigarren“ apostrophierten Maschinen über 150 Kilometer pro Stunde kaum hinausgehen kann. Start und Landung erforderten zudem einen hohen Personalbedarf, da die Luftschiffe am Boden verzurrt werden mussten, was wohl nicht ganz ungefährlich war. Keineswegs bereitete allein das Unglück von Lakehurst den Zeppelinen den Garaus. Sie wären auch so von Maschinen abgelöst worden, die nach dem Prinzip des Vogelflugs arbeiteten.
Ihm verhalf Otto Lilienthal zum Durchbruch. Die These, er sei als erster Mensch geflogen, lässt sich zwar nicht hundertprozentig bestätigen; neben Ballonfahrern – sie folgten nicht dem Prinzip des Vogelflugs – gab es vor Lilienthal bereits Pioniere, die Versuche absolvierten, beispielsweise Albrecht Ludwig Berblinger, George Cayley und Aleksandr Moschaiski. Lilienthal, heute vor 165 Jahren in Anklam geboren, gelangen aber die ersten erfolgreichen kontrollierten Gleitflüge nach dem Prinzip des Vogelfluges. Aus dem Gleitflug leitete sich schließlich der Motorflug ab, für den Männer wie Karl Jatho, unbestritten der erste Motorflieger weltweit, sowie Wilbur und Orville Wright stehen, die als erste gesteuerte Motorflüge über längere Distanzen absolvierten.
Mehr als 1000 Flüge unternahm Lilienthal, bis er am 9. August 1896 bei Stölln – gelegen zwischen Rathenow und Neustadt an der Dosse – aus 15 Metern Höhe abstürzte und tags drauf seinen Verletzungen erlag. Doch weniger in der großen Zahl der Flüge lag Lilienthals großes Verdienst denn in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der im Studium des Vogelfluges und später in den praktischen Versuchen gewonnenen Erkenntnisse.
Als erster stellte er klar, dass Auftrieb und Vortrieb unabhängig voneinander umzusetzen sind. Dass die Flügel der Vögel dank ihrer Wölbung einen besseren Auftrieb ermöglichten als ebene Tragflächen, hatten auch andere Flugpioniere erkannt und beschrieben. Lilienthal aber hinterließ eine Vielzahl Tabellen mit genauestens Messergebnissen, die er zur Entwicklung seiner Flugapparate nutzte und denen spätere Flugpioniere wertvolle Daten für ihre Konstruktionen entnahmen. Zudem fertigte er höchst präzise Zeichnungen. An den theoretischen Vorarbeiten, die in das 1899 veröffentlichte Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ mündeten, hatte Lilienthals anderthalb Jahre jüngerer Bruder Gustav mitgewirkt, der an den praktischen Flugversuchen dann aber nicht teilnahm.
Beide waren im Gymnasium erstmals mit dem Vogelflug in Berührung gekommen. Zu ihren Lehrern gehörte der Astronom Gustav Spörer, der wertvolle Beiträge zur Erforschung der Sonnenflecken und ihrer Zyklen geleistet hatte. Während Otto Lilienthal eine gewerbetechnische Ausbildung absolvierte und danach an der Gewerbeakademie studierte, lernte Gustav Lilienthal zuerst das Maurerhandwerk, um dann die Bauakademie zu besuchen. Ihre Schließung während des Krieges gegen Frankreich 1870/71 führte dazu, dass er ohne Abschluss blieb. Beide scheiterten zunächst mit Versuchen, sich selbstständig zu machen; Gustav Lilienthal ging deswegen sogar für fünf Jahre nach Australien. Dem Anker-Steinbaukasten, den beide gemeinsam entwickelt hatten, verhalf Friedrich A. Richter zum Durchbruch, nachdem ihm die Lilienthals ihre Erfindung aus Geldmangel verkauft hatten.
Mit einem Schlangenrohrkessel, für den er 1881 das Patent erhielt, begann Otto Lilienthals wirtschaftlicher Aufstieg. Er entwickelte eine Wand-Dampfmaschine und einen Kleinmotor und konnte in seiner Fabrik bald bis zu 60 Arbeiter und Angestellte beschäftigen. Die Dampfkessel- und Maschinenfabrik Otto Lilienthal avancierte dann auch 1894 zum ersten Serienhersteller von Flugapparaten weltweit. Zugleich schrieb sich Lilienthal in die Annalen der Sozialgeschichte ein, da er seine Beschäftigten bereits 1890 mit 25 Prozent am Unternehmensgewinn beteiligte.
Im Garten seines Hauses begann er kurz nach Veröffentlichung des epochalen Buches mit den praktischen Versuchen. Den Auftakt machten Stehübungen gegen den Wind, ehe er von einem Sprungbrett aus erste Hopser unternahm. 1891 wagte er sich dann an längere Gleitflüge und fand in Derwitz bei Potsdam, heute ein Teil Werders, einen Absprungplatz. Später stieg er von den Rauhen Bergen in Steglitz bei Berlin und in den Rhinower Bergen bei Stölln auf. In Lichterfelde bei Berlin ließ er einen 15 Meter hohen Hügel aufschütten, den Fliegeberg.
Über seine erfolgreichen Flugversuche veröffentlichte Lilienthal zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften, ging aber auch den Weg an die allgemeine Öffentlichkeit. Zudem trat er in Kontakt zu verschiedenen Pionieren der Fotografie, die für damalige Verhältnisse sensationelle Aufnahmen fertigten und veröffentlichten. Zweifellos war Lilienthal auch ein guter Selbstvermarkter. Insgesamt entwickelte er mindestens 21 Fluggeräte. Ein von ihm als „Normalsegelapparat“ bezeichneter Gleitflieger ging 1894 in die Serienproduktion. Im Folgejahr erprobte Lilienthal erstmals Doppeldecker.
Trotz Lilienthals Pionierleistungen setzten sich aber zunächst einmal die Luftschiffe durch. Ihr Prinzip war vom Ballonflug her bestens bekannt. Gut zehn Jahre nach Lilienthals ersten Experimenten begann dann das Zeitalter des Motorfluges, der die Luftschiffe schließlich verdrängte.
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