Nationale Heimstätte
„Existenzrecht Israels“ – was für ein merkwürdiger Begriff. Wohl niemand käme auf den Gedanken, über ein Existenzrecht des Libanons zu sprechen, den nicht selten mit Schusswaffen, Granaten und Bomben ausgetragenen Auseinandersetzungen der Volks- und Religionsgruppen zum Trotz. Auch würde sich wohl lächerlich machen, wer über das Existenzrecht Österreichs spräche, obgleich es die Alliierten waren, die nach dem Ersten Weltkrieg Bestrebungen in Österreich vereitelten, das Land dem Deutschen Reich einzugliedern. Selbst jenen Ländern, deren Grenzen von den europäischen Kolonialherren gezogen wurden, billigt man ganz selbstverständlich das Existenzrecht zu. Nur über Israel wird diskutiert – seit nunmehr 65 Jahren.
Den Termin hatten die Briten bestimmt. Seit dem Ende des Osmanischen Reichs waren sie für die Geschicke Palästinas und Transjordaniens verantwortlich, zunächst im Auftrag des Völkerbundes, dann der jungen Vereinten Nationen. Der Völkerbund schrieb 1922 fest, dass die Juden in Palästina eine nationale Heimstätte erhalten sollen – „Jewish National Home“. 1937 regte eine britische Kommission unter Vorsitz William Peels dann an, das Land zu teilen.
Spätestens mit Entfesselung des Zweiten Weltkrieges stellten sich die Araber mehrheitlich an die Seite Hitlers. Im Gegenzug förderten die Briten den Aufbau eigenständiger jüdischer Streitkräfte, indem sie in der eigenen Armee eine jüdische Brigade einrichteten und den paramilitärischen Palmach unterstützten. Offiziell dienten rund 26.000 jüdische Bewohner Palästinas in der britischen Armee. Zudem arbeiteten die Briten mit dem Jischuw zusammen, den Körperschaften der jüdischen Siedler. Gemeinsames Ziel war die Verhinderung einer Invasion der Achsenmächte.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges steigerten sich die Spannungen zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung. Die Briten vermittelten eher halbherzig und traten das Problem an die Vereinten Nationen ab, die am 29. November 1947 einen Teilungsplan beschlossen. Mit Frankreich, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten stimmten drei der fünf Vetomächte im Weltsicherheitsrat für die Resolution. Großbritannien und die Republik China enthielten sich. Dagegen votierten vor allem arabische und islamische Staaten. Der Teilungsplan sah vor, dass sowohl der jüdische als auch der arabische Staat demokratische Verfassungen erhalten sollten, die einen umfassenden Schutz der Menschen- und Minderheitenrechte garantierten. Obwohl der Plan für die jüdischen Siedler überwiegend unfruchtbares Land, unter anderem den Negev, vorsah, stimmte die jüdische Bevölkerung mehrheitlich für die Annahme. Die Araber dagegen riefen den heiligen Krieg aus.
Offiziell begann der israelische Unabhängigkeitskrieg erst nach der Staatsgründung. Real tobte er bereits zu Zeiten der britischen Herrschaft über Palästina. Die Araber konnten auf die Unterstützung der Machthaber in den unabhängigen oder ebenfalls unter britischer beziehungsweise französischer Mandatschaft stehenden Ländern setzen, die Juden mussten Hilfe anderswo suchen. Da Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten ein Waffenembargo einhielten, blickten die Juden in den Osten des Alten Kontinentes. Die Sowjetunion stimmte Waffenlieferungen der Tschechoslowakei zu, leitete womöglich nach der Unabhängigkeitserklärung Israels selbst Waffen über die Tschechoslowakei nach Israel. Der erste Waffenlieferungsvertrag zwischen den ungleichen Partnern – hier ein vor der Eigenstaatlichkeit stehendes Land, dort ein Zweinationenstaat, der gerade unter sowjetische Herrschaft geriet – wurde im Dezember 1947 unterzeichnet.
Mit Beginn des 15. Mai 1948 sollte das britische Mandat enden. Tags zuvor verlas David Ben Gurion vor dem im März gegründeten Jüdischen Volksrat die Unabhängigkeitserklärung – direkt übertragen im Rundfunksender „Kol Israel“, Die Stimme Israels. Mit Anbruch des 15. Mai begannen dann Offensiven der arabischen Staaten. Dass sie recht schnell scheiterten, hing nicht nur mit der Unterschätzung der Gegenseite zusammen. Auch verfolgten die arabischen Herrscher mehrheitlich eigene Ziele, die keineswegs mit der Unabhängigkeit eines Staates in Palästina vereinbar waren. So wollte der König von Jordanien das Westjordanland annektieren. Der Großmufti von Jerusalem hatte dagegen kein Interesse an einer zu starken Militärpräsenz anderer Länder in Palästina, da er um seinen Einfluss fürchtete.
Den Israeli gelang es, mit geschickter Mundpropaganda auf arabischer Seite den Eindruck zu erwecken, dass gewaltige jüdische Verbände als Verstärkung bereitstünden. Yigal Allon trieb auf diese Weise ganze Dörfer in die Flucht. Zugleich verbreiteten jüdische Terrorbanden Angst und Schrecken, insbesondere die Irgun und die Lechi, geführt von den späteren Ministerpräsidenten Menachem Begin und Jitzhak Shamir. Sie lehnten den Zionismus ab und vertraten nationalistische und völkische Positionen. Terroristen der Lechi ermordeten am 17. September 1948 den Chefvermittler der Vereinten Nationen, den Schweden Folke Bernadotte.
Nach gewaltigen Verlusten auf beiden Seiten gelang den Israeli die Zerschlagung der arabischen Armeen. Weite Teile Palästinas standen nunmehr unter jüdischer Kontrolle. Lediglich der Gaza-Streifen und das Westjordanland waren ägyptisch respektive jordanisch besetzt. Eine Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten erfolgt nicht, wäre aber auch wertlos gewesen, da deren Führungen nach der verheerenden Niederlage vor allem innenpolitisch mit dem Erhalt ihrer Macht beschäftigt waren. In den Ländern herrschen bis heute überwiegend Diktaturen, während in Israel seit jeher demokratisch gewählte Regierungen wirkten. In Israel herrscht ein für den Nahen Osten einmaliges Maß an Freiheit. Darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen Israel und seinen Nachbarn – seit nunmehr 65 Jahren.
Warum aber steht im diesjährigen Kalender der 16. April als Israels Unabhängigkeitstag? Nun, der 14. Mai 1948 entsprach dem 5. Ijar 5708 nach jüdischem Kalender. Der erste Tag in Eigenstaatlichkeit war der 6. Ijar, ein Schabat. Der jüdische Kalender ist ein Mondkalender. Folglich verschieben sich die Tage gegenüber dem Gregorianischen Kalender. Dem Kalendarium ist es auch geschuldet, dass der Unabhängigkeitstag zu unterschiedlichen jüdischen Tagen begangen wird. Dieses Jahr war es der 6. Ijar 5773, gregorianisch der 16. April 2013. Im vergangenen Jahr erfolgte der Eintrag zum 4. Ijar 5662, dem 26. April 2012. Wir folgen auf dieser Seite dem Gregorianischen Kalender und widmen daher das heutige Kalenderblatt dem Staat, über dessen Existenzrecht seit nunmehr 65 Jahren diskutiert wird.
Ein ausgewogen guter Artikel zum Existenzrecht Israels. Schöne Vorlage für den Thematiker.
Wundern Sie sich aber nicht über zu erwartende böse Kommentare.
Frank H.Walter