„Eroberung neuen Lebensraumes im Osten“
Diese Tage stehen im Zeichen des Gedenkens. Der Deutsche Bundestag trat zusammen, um an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 und den 80. Jahrestag der Machtübertragung an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zu erinnern. Wenige Tage darauf, am gestrigen 2. Februar, jährte sich die Kapitulation der 6. Armee in der Schlacht um Stalingrad zum 70. Mal. Dass der Weg in den Abgrund führte, konnte die Reichswehr-Führung spätestens am 3. Februar 1933 wissen, also heute vor 80 Jahren.
Bereits in seinem programmatischen Buch „Mein Kampf“ hatte Hitler sein Ziel eindeutig benannt. Klar und unmissverständlich schrieb er: „Wir [die Nationalsozialisten; Anm. d. Verf.] stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken.“ Ein solches Ziel ließ sich nur durch einen Krieg erreichen, mochte es auch schon lange vor Hitler zur völkischen Ideologie gehört haben.
Am 3. Februar 1933 sprach Hitler dann vor der Reichswehr-Führung. Am Abend fand ein Essen in der Privatwohnung des Generals Kurt von Hammerstein-Equord statt, an dem die Kommandeure des Heeres und der Marine teilnahmen. Als offizieller Anlass diente mutmaßlich der 60. Geburtstag Konstantin von Neuraths, des Reichsaußenministers. Anwesend waren zudem Reichswehrminister Werner von Blomberg, der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, und der Chef des Reichswehrministeriums, Walter von Reichenau. Hinzu kamen Adjutanten und Familienangehörige.
Zwei Quellen belegen eindeutig, dass Hitler in seiner etwa zweieinhalbstündigen Rede klar den bevorstehenden Krieg ankündigte. Am bekanntesten sind die bereits 1954 veröffentlichten Aufzeichnungen des Offiziers Curt Liebmann. Er notierte: „Wie soll pol. Macht, wenn sie gewonnen ist, gebraucht werden? Jetzt noch nicht zu sagen. Vielleicht Erkämpfung neuer Export-Möglichk., vielleicht – und wohl besser – Eroberung neuen Lebensraumes im Osten u. dessen rücksichtslose Germanisierung.“ Da Liebmann somit zu den Mitwissern gezählt werden kann, hatte er womöglich ein Interesse, die eigene Rolle zu verharmlosen. Allerdings war er schon vor Kriegsbeginn in den Ruhestand versetzt worden, nahm dann kurz am Polen-Feldzug teil, um 1940 die Reichswehr wieder zu verlassen.
Bestätigt wurden Liebmanns Notizen erst 2001 mit der Veröffentlichung eines Spionageberichtes, mutmaßlich verfasst von Hammersteins Tochter Helga. Seit 1930 Mitglied der KPD, arbeitete sie für den kommunistischen Nachrichtendienst. Sie schrieb in den Tagen nach dem 3. Februar die Notizen Martin Baltzers ab, des Adjutanten von Admiral Erich Raeder. Am 6. Februar 1933 sandte der Nachrichtendienst die Abschrift in die Sowjetunion. Im Moskauer Archiv der Komintern blieb das Dokument erhalten. Demnach notierte Baltzer: „Das Ziel der Ausweitung des Lebensraumes des deutschen Volkes wird auch mit bewaffneter Hand erreicht werden. – Das Ziel würde wahrscheinlich der Osten sein. Doch eine Germanisierung der Bevölkerung des annektierten bezw. eroberten Landes ist nicht möglich. Man kann nur Boden germanisieren. Man muss wie Polen und Frankreich nach dem Kriege rücksichtslos einige Millionen Menschen ausweisen.“ Letzteres bezog sich wahrscheinlich auf Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg. In Polen und Frankreich mussten Deutschstämmige erklären, zu welchem Land sie sich bekennen. Ausgewiesen wurden sie aber in der Regel nicht.
Die Reichswehr-Führung nahm Hitler – für sie nicht mehr als ein „böhmischer Gefreiter“, so ein weit verbreiteter Titel – nicht ernst. Liebmann meinte sich sogar daran zu erinnern, einer der Anwesenden habe nach Hitlers Abschied „Stets war die Rede kecker als die Tat“ gesagt. Damit handelte die Reichswehr-Führung letzten Endes ebenso wie die konservativen und liberalen Politiker, die Hitlers Regierung angehörten, und wie die Parteien, die wenig später dem Ermächtigungsgesetz zustimmen sollten. Als sie, wenn überhaupt, ihren Irrtum erkannten, war es zu spät.
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