Salonfähig in besseren Kreisen
Heute sind die Grenzen fließend. Die zu Herbert von Karajans Zeiten bei den Berliner Philharmonikern engagierte Klarinettistin Sabine Meyer spielte Standards von Benny Goodman ein, derweil der ausgewiesene Jazz-Pianist Keith Jarrett „Das wohltemperierte Klavier“ aufnahm – Buch I auf dem Flügel, Buch II auf dem Cembalo. Die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker legten ein Album mit Melodien der Beatles vor, eher dem Rock zuzurechnende Musiker wie Wolfgang Ambros warteten mit sinfonischen Interpretationen bekannter Lieder auf. Praktisch alle wichtigen Klassikorchester verließen die angestammten Konzertsäle, um auf Freilicht- und anderen Bühnen aufzutreten, während Die Toten Hosen den Weg ins Wiener Burgtheater fanden.
Vor 75 Jahren galt es noch als Sensation, dass Benjamin David Goodman mit seiner Bigband am 16. Januar 1938 in der Carnegie Hall auftreten durfte, einem klassischen Konzerthaus im Stil der italienischen Renaissance. Schon Wochen vorher waren alle Eintrittskarten verkauft, trotz des für damalige Verhältnisse hohen Preises von 2,75 Dollar. Fachjournalisten bemängelten zwar, dass Goodman lediglich eine für ihn typische Show geboten habe. Das Publikum aber reagierte begeistert. Mit dem umjubelten Konzert machte Goodman den Jazz auch in den sogenannten besseren Kreisen salonfähig. Ob eine Rundfunkübertragung stattgefunden hat, ist umstritten – Belege dafür scheint es nicht zu geben. Die während des Konzertes gefertigte Aufnahme weist, bedingt durch die eingesetzten Geräte, einige technische Mängel auf. Erst 1950, nach langem Zögern Goodmans, erfolgte ihre Veröffentlichung. Bis heute verkaufte sich das Doppelalbum – die CD-Versionen weisen mehr Titel auf als die ursprüngliche Fassung auf Langspielplatte – millionenfach.
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Keineswegs handelte es sich jedoch um das erste Jazzkonzert in der Carnegie Hall. Mit Goodman spielte indessen erstmals einer der Großen des Genres dort solistisch, begleitet von einer Bigband, in der zahlreiche später selbst als Solisten hervorgetretene Musiker mitwirkten. Auch hatte Goodman bereits die Grenzen in die entgegengesetzte Richtung überschritten und mit dem Budapest String Quartet das Klarinettenquintett Wolfgang Amadeus Mozarts aufgenommen. Später folgten weitere klassische Aufnahmen, darunter die Einspielung des Karinettenkonzerts Carl August Nielsens, die man durchaus in die Referenzklasse einordnen kann. Béla Bartók, Paul Hindemith und andere Tonsetzer widmeten dem Jazzklarinettisten sogar Konzerte. Dass sie ihn schätzten, lag wohl nicht zuletzt an seiner rundum soliden, traditionellen Ausbildung. Technisch spielte Goodman perfekt, ganz gleich, in welchem Genre.