Burleskes Gedankenexperiment
Einem größeren Publikum bekannt wurde er mit einer Katze. Einer fiktiven Katze, wohlgemerkt. An Tierversuchen hat Erwin Schrödinger, der heute vor 125 Jahren geboren wurde, wohlweislich nie mitgewirkt. Die berühmte Geschichte von „Schrödingers Katze“ schildert ein reines Gedankenexperiment, mit dem Schrödinger veranschaulichen wollte, dass die Quantenmechanik andere Denkstrukturen erfordert als die klassische Mechanik. Um nicht über Teilchen, die sich Normalsterbliche eh kaum vorstellen können, sprechen zu müssen, wählte er Objekte, die ein jeder mehr oder minder gut kennt.
In der Geschichte sitzt eine Katze in einem geschlossenen Raum. In diesem befindet sich eine radioaktive Substanz, die innerhalb einer festgesetzten Zeitspanne mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zerfällt. Ist sie zerfallen, setzt sie ein Gift frei, das die Katze umgehend tötet. Wahrscheinlichkeitsrechnung bedeutet aber stets, dass ein Ereignis eintritt oder auch nicht. Mit Bestimmtheit sagt sie grundsätzlich nichts voraus. Da der Raum geschlossen ist, kann man nach Ablauf der Zeit nicht feststellen, ob die radioaktive Substanz tatsächlich zerfallen ist oder nicht. Quantenmechanisch gesprochen, hat sie den Zustand der Überlagerung erreicht – einen Zustand, den die klassische Mechanik nicht kennt. Für die Katze bedeutet dies, dass sie entweder tot ist oder nicht. Auch für sie gilt der Zustand der Überlagerung. Erst beim Öffnen des Raumes kann man messen, ob die Substanz zerfallen und die Katze tot ist. Jede Messung greift aber in das System ein, das sie untersucht. Im Falle von Schrödingers Katze bewirkt die Messung, dass die Wellenfunktion der Teilchen zwingend zusammenfällt. Folglich führt erst die Messung dazu, dass die Substanz und die Katze einen der Zustände einnehmen müssen. Solange keine Messung stattfindet, verharren bei Ablauf der festgesetzten Zeitspanne die radioaktive Substanz und die Katze im Zustand der Überlagerung.
Wer des Öfteren Katzen beobachtet hat, der erkennt natürlich schnell, dass die Geschichte rein theoretischer Natur sein muss. Schrödinger selbst nannte das Gedankenexperiment sogar „burlesk“. Anders als viele Fachkollegen versuchte der Österreicher, wissenschaftliche Erkenntnisse einem allgemein gebildeten Publikum nahe zu bringen. Auch zur Allgemeinen Relativitätstheorie veröffentlichte er beispielsweise verallgemeinernde Erklärungen.
Gemeinsam unter anderem mit Max Planck, Werner Heisenberg, Paul Dirac und Max Born galt Schrödinger schon zu Lebzeiten als einer der wegweisenden Mitbegründer der Quantenmechanik. Mit der nach ihm benannten Gleichung gelang es ihm, quantenmechanische Phänomene in jene Bereiche der Mathematik zu überführen, die auch in der klassischen Mechanik genutzt werden. Allerdings interpretierte er Energie nicht als richtungsunabhängige Größe, sondern als Operator. Mit der Gleichung konnten die Physiker unzählige Eigenschaften von Atomen, Molekülen und Festkörpern quantenmechanisch erklären. Schrödinger erhielt für sie 1933 den Nobelpreis für Physik zugesprochen, gemeinsam mit Paul Dirac, der annähernd zeitgleich und unabhängig von Schrödinger nachgewiesen hatte, dass klassische Mechanik und Quantenmechanik gleichartig waren.
Schrödinger, engagierter Gegner des Nationalsozialismus, hatte zu dem Zeitpunkt bereits seinen Arbeitsplatz an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität – die heutige Humboldt-Universität – verlassen und war nach Oxford gegangen. 1936 nahm er einen Ruf an die Grazer Karl-Franzens-Universität an. Nach der deutschen Annektion Österreichs, 1938, wechselte er nach Dublin. Erst 1956 kehrte er in seine Heimat zurück und lehrte bis zu seinem Tod am 4. Januar 1961 an der Universität Wien die theoretische Physik. Zu seinem 100. Geburtstag legte die Österreichische Post 1987 eine Sondermarke zu fünf Schilling auf, die ein Porträt Schrödingers zeigt.