Marke der Woche: Schweigen im Wald
Gerade die kleinen bzw. kleinsten europäischen Postverwaltungen zeigen sich bekanntlich als steter Quell zahlreicher Motiv-Marken. Schiffe, Blumen, Vögel – der Motivsammler freut sich, auch wenn manch anderer Philatelist vielleicht ein wenig die Nase rümpft. Die Kanalinsel Jersey ist bekannt dafür, fast keine Einzelmarken herauszugeben, sondern immer ein thematisches Pärchen aus Kleinbogen und Block anzubieten. So auch bei der nächsten angekündigten Sondermarken-Serie, die am 14. August an die Postschalter kommen wird.
Die Ausgabe heißt „Jerseys Vogelwelt (Teil 6) – bedrohte Vogelarten“ und zeigt neben Kleinspecht, Afrikanischem Schwarzkehlchen und Goldammer auch Girlitz, Gimpel und Zaunammer. Man freut sich an den gewohnt schönen Abbildungen, das bunte Gefieder hübsch umrahmt von Blüten, Knospen und blauem Himmel… und dann stutzt man. Was stand da doch gleich? „Bedrohte Vogelarten“? Der Kleinspecht ist bedroht? Der Dompfaff auch? Man kann es kaum glauben. Die vertrauten kleinen Kerlchen, die man seit frühester Kindheit als festen Bestandteil von Garten und Wald erlebt hat, können doch unmöglich vom Aussterben bedroht sein. Sind sie ja auch nicht, zumindest nicht überall, wenn auch auf Jersey. Allerdings sieht es für unsere heimischen Singvögel auch nicht unbedingt rosig aus. Seit Jahren tauchen in den Medien immer wieder Meldungen über rätselhaftes Vogelsterben auf. In den USA fielen vergangenes Jahr in manchen Regionen Hunderte Vögel tot vom Himmel, man fand keine befriedigende Erklärung. Zum Glück sind die USA ja sehr weit weg, das wird uns schon nicht betreffen… Doch im Herbst 2011 wurde der Naturschutzbund NaBu im Rhein-Neckar-Gebiet hellhörig, als besorgte Vogelfreunde das Verschwinden der Amseln meldeten. Eine Untersuchung verendeter Tiere im Hamburger Tropeninstitut bestätigte einen unheimlichen Verdacht: Die Amseln waren am tropischen Usutu-Virus verstorben, der eigentlich von afrikanischen Stechmücken übertragen wird, sich aber mittlerweile auch in den europäischen Mückenpolulationen zu verbreiten scheint. Auch in Österreich, und Italien hat es Fälle von Usutu-Viruserkrankungen gegeben, die durch die Mücke auch auf Menschen übertragen werden können.
Aber wir wollen keine Panik verbreiten. Bisher handelt es sich im Einzelfälle. Was aber nachdenklich stimmen sollte, ist die Tatsache, dass unsere globalisierte Welt mit den sich verändernden Rahmenbedingungen aus Klima, Lebensräumen und Umweltgiften Entwicklungen anstößt, deren Resultate für uns nicht vorhersehbar sind. Viele Würfel rollen bereits und lassen sich nicht mehr stoppen. Aber jeder kann mit gesundem Menschenverstand dazu beitragen, dass die Sondermarken-Reihe der bedrohten Arten nicht unbegrenzt fortgesetzt werden muss. Die Pflanzen wachsen seit Jahrmillionen ohne Kunstdünger und Schädlingsbefall hat es ebenfalls schon immer gegeben, vielleicht probiert man lieber einmal traditionelle Methoden statt mit Pestiziden gleich noch alle anderen Lebewesen zu belasten. Der große deutsche Satiriker und Künstler Chlodwig Poth brachte es in seinem Bilderroman „50 Jahre Überfluss“ mit zwei Zeichnungen schön auf dem Punkt – 1. Bild: Vater und Sohn gehen durch den Wald und sehen überall tote Vögel, es schert sie aber nicht weiter. 2. Bild: Vater und Sohn rennen umschwirrt von schwarzen Insektenwolken aus dem Wald heraus, Kommentar: „Wir hätten uns eigentlich denken können, dass nach dem großen Vogelsterben die große Insektenplage kommt…“
Ja, hätten wir. Also fangen wir doch bitte gleich jetzt an mit denken!
Gedruckter Plattenfehler-Katalog Bund + Berlin, 8. Auflage 2023
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